Unterrichtung durch die Bundesregierung
Stellungnahme der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates zur Bekämpfung von Sozialleistungsmissbrauch

Bundesministerium für Arbeit und Soziales Berlin, den 11. September 2007

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Harald Ringstorff

Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
die Bundesregierung hat zu der Entschließung des Bundesrates vom 10. Februar 2006 (BR-Drs. 892/05 (PDF) ) in ihrer Stellungnahme vom 13. Juli 2006 (BR-Drs. 585/06 (PDF) ) eine Prüfung zugesagt, ob der von den Ländern angeregte Datenabgleich von der geltenden Rechtslage umfasst ist und - bei negativem Ergebnis - ob eine gesetzliche Regelung zur Übermittlung und zum Abgleich von Daten zwischen Ermittlungsbehörden und Sozialleistungsträgern erforderlich und verhältnismäßig ist. Diese Prüfung ist nun abgeschlossen. Aus den unten im Einzelnen aufgeführten Sach- und Rechtsgründen befürwortet die Bundesregierung nicht, für die genannten Fälle eine Rechtsgrundlage zu schaffen.

Der Entschließung des Bundesrates lag bekanntlich folgender Vorgang zugrunde: Bei einem Steuerstrafverfahren stellten im Jahr 2000 der Zoll und die Staatsanwaltschaft Frankfurt fest, dass in Deutschland lebende Türken Geldbeträge auf ihre Sparkonten in der Türkei eingezahlt hatten. Der Zoll nahm an, dass ca. 30 % dieser Kontoinhaber Arbeitslosenhilfe bezögen, und übermittelte die Namensliste der Bundesagentur für Arbeit. Die Bundesagentur für Arbeit konnte die Daten jedoch nicht verwerten, da sie hierfür keine Rechtsgrundlage gegeben sah. Mit dem Entschließungsantrag hat der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, die Regelungslücke zu schließen.

Nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit ist kein weiterer Fall bekannt, in dem durch Ermittlungsbehörden bei einer Bank oder vergleichbaren Einrichtung Belege über Ein- und Auszahlung, vergleichbare Transaktionen oder verwahrte Vermögenswerte aufgedeckt wurden, die Anlass auf Verdacht von Sozialleistungsmissbrauch gaben und von den Ermittlungsbehörden an die Bundesagentur für Arbeit übermittelt wurden. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich bei dem geschilderten Vorgang um einen Einzelfall handelt.

Mit dem Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom 23. Juli 2004 (BGBl. 2004 1 Nr. 39, S. 1842) und dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 24. Dezember 2003 (BGBl. 1, S. 2954) - wurden weit reichende Möglichkeiten eingeführt, um den Missbrauch von Sozialleistungen zu bekämpfen. Zum Instrumentarium gehört auch ein Datenabgleich, wie z.B. zwischen der Bundesagentur für Arbeit und anderen Sozialleistungsträgern sowie den Finanzämtern nach § 52 SGB II. Voraussetzung für einen solchen Abgleich ist, dass die betroffenen Personen Sozialleistungen empfangen und aufgrund dieses Leistungsbezuges im öffentlichen Interesse einer Überprüfung der Voraussetzungen für die Berechtigung unterzogen sind. Davon unterscheidet sich grundlegend der Fall, der der Entschließung des Bundesrates zugrunde lag. In diesem Verfahren sollen personenbezogene Daten eines unbestimmbaren Personenkreises von den Zollbehörden an die Bundesagentur für Arbeit übermittelt werden und erst der Abgleich dieser Daten mit den Sozialdaten der Bundesagentur für Arbeit soll Auskunft darüber geben, ob diese Personen Sozialleistungen beziehen und ob möglicherweise Missbrauch vorlag.

Die Auffassung der Bundesagentur für Arbeit, dass eine Abgleichsbefugnis der Bundesagentur für Arbeit für die von den Zollbehörden übermittelten Daten nicht besteht, ist nach Auffassung der Bundesregierung zutreffend.

Eine gegebenenfalls zu schaffende rechtliche Befugnis der Bundesagentur für Arbeit, Daten von Personen, die auf ausländischen Konten Guthaben führen, mit ihrem Sozialdatenbestand im automatisierten Verfahren abzugleichen, ist an dem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz, zu messen. Aufgrund des hohen Stellenwertes dieses Verfassungsgutes darf ein automatisierter Datenabgleich nur ausnahmsweise und bei einem vorrangigen öffentlichen Interesse zugelassen werden.

Dieser Datenabgleich müsste nach den Maßstäben der Verfassung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein.

Bereits die Geeignetheit des Datenabgleichs zur Aufdeckung von Sozialleistungsmissbrauch erscheint angesichts der geringen Erkenntnisse in diesem Bereich zweifelhaft.

Wie dargelegt, hat der der Entschließung des Bundesrates zugrunde gelegte Vorfall Einzelfallcharakter. Es liegen keine belastbaren Daten über die Frage vor, wie viele Personen, die Guthabenkonten im Ausland besitzen, in Deutschland Sozialleistungen beziehen.

Zur Erforderlichkeit des Datenabgleichs ist anzumerken, dass das Vorliegen von Guthaben - inländischen oder ausländischen - bereits Gegenstand der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialleistungen ist. Dabei setzt die Prüfung richtigerweise bei den Sozialleistungsempfängern an und nimmt nicht einen unbestimmt großen Personenkreis unter Generalverdacht.

Schließlich ist auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nicht gegeben, da die Datensätze der. Zollbehörden lediglich aufgrund der Vermutung entstanden sind, dass Kapitalanleger im Ausland unter Verschweigen der Angabe ihres ausländischen Vermögens in Deutschland bedarfsabhängige Leistungen der sozialen Sicherung beziehen. Es ist daher kaum eingrenzbar, welche Daten über welchen Personenkreis von der Bundesagentur für Arbeit abgeglichen werden sollen. Im Unterschied zu bereits bestehenden Datenabgleichsverfahren ist noch nicht einmal bekannt, ob der Betroffene überhaupt Sozialleistungen bezieht und somit an einem Sozialleistungsverhältnis beteiligt ist und - wenigstens theoretisch - Sozialleistungsmissbrauch begehen könnte.

Aus diesen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Schaffung der vom Bundesrat angeregten Übermittlungs- und Abgleichsbefugnis mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar ist. Bereits jetzt bestehen verschiedene Möglichkeiten des Datenabgleichs zur Verhinderung von Sozialleistungsmissbrauch, insbesondere der Datenabgleich zwischen verschiedenen Leistungsträgern. Sie knüpfen in sinnvoller Weise an den konkreten Leistungsbezug an und nicht an einen unbestimmten Personenkreis, bei dem durch den Datenabgleich erst überprüft werden soll, ob er überhaupt Sozialleistungen empfängt.


Mit freundlichen Grüßen
Franz Müntefering