Der Bundesrat hat in seiner 854. Sitzung am 13. Februar 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat kann sich der in der Mitteilung enthaltenen verkürzenden Darstellung, die EU-Mitgliedstaaten und die Kommission arbeiteten im Rahmen des bisher gültigen Instruments der EU-Bildungskooperation, des im Frühjahr 2002 verabredeten Arbeitsprogramms "Bildung und Ausbildung 2010", zusammen, "um die nationalen Reformen der Bildungssysteme zu unterstützen" (vgl. Nummer 1), nicht anschließen und weist insbesondere die in der Mitteilung enthaltene Kommissionsauffassung, dass für die Politik der allgemeinen und beruflichen Bildung "primär" die Mitgliedstaaten zuständig seien (vgl. Nummer 2.1), zurück. Tatsächlich wurde das Arbeitsprogramm vor allem als Mittel des vertieften Informations- und Erfahrungsaustauschs sowie zur Formulierung gemeinsamer rechtlich nicht bindender Zielsetzungen geschaffen, wobei z.B. die im Rahmen der Peer-Learning-Maßnahmen vorgestellten bewährten Verfahren durchaus wertvolle Impulse für die nationale Politikgestaltung darstellen können. Der Bundesrat bekräftigt, dass die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Rahmen des Arbeitsprogramms bzw. der Anwendung der "Offenen Methode
- 2. Vor diesem Hintergrund weist der Bundesrat auch die Kommissionsforderung, zur Bewältigung bestehender Herausforderungen im Bildungsbereich solle "eine gemeinsame Politik umgesetzt werden, die die Bildungssysteme zur Gänze abdeckt" (vgl. Nummer 3), als Verletzung des in Artikeln 149/150 EGV enthaltenen expliziten Harmonisierungsverbots zurück.
- 3. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission vorgeschlagene Ausrichtung der künftigen EU-Bildungskooperation bis zum Jahr 2020 auf langfristige strategische Herausforderungen und stellt fest, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Bereiche weitgehend den bisher für das Arbeitsprogramm "Bildung und Ausbildung 2010" geltenden strategischen Zielen sowie den in der Bundesrepublik Deutschland im Bildungsbereich diskutierten Themen entsprechen.
- 4. Der Bundesrat stellt fest, dass die Kommission ihren Vorschlag zur Gestaltung der EU-Bildungskooperation bis zum Jahr 2020 unter Vorbehalt stellt und im Jahr 2010 im Hinblick auf die bis dahin zu erfolgende Neufassung der gemeinschaftlichen Strategie für Wachstum und Beschäftigung eine Überprüfung und ggf. Überarbeitung des strategischen Rahmens vorsieht. Der Bundesrat bedauert, dass die Kommission die EU-Bildungskooperation, die über eine eigene Rechtsgrundlage im Vertrag verfügt, offenbar zunehmend als integrierten Politikbereich sehen möchte, und warnt davor, über die starke Verschränkung der EU-Bildungskooperation mit der gemeinschaftlichen Beschäftigungspolitik unter zunehmender Akzentuierung der bloßen Beschäftigungsfähigkeit des Individuums den von den deutschen Bildungseinrichtungen verfolgten ganzheitlichen Bildungsanspruch auf europäischer Ebene zu verfehlen.
- 5. Der Bundesrat befürwortet den bereits im Rahmen des bisherigen Arbeitsprogramms angewandten und bewährten Ansatz, während der zwölfjährigen Laufzeit des strategischen Rahmens in Ausdifferenzierung der großen strategischen Linien jeweils prioritäre Bereiche der EU-Bildungskooperation festzulegen, und stellt fest, dass die Kommission beabsichtigt, diesen Ansatz nunmehr durch eine zeitliche Komponente zu ergänzen. Der Bundesrat hält den von der Kommission vorgesehenen (möglicherweise der von ihr für 2010 vorgesehenen Überarbeitung der gemeinschaftlichen Strategie für Wachstum und Beschäftigung geschuldeten) zweijährigen Zeitraum für die Befassung mit konkreten Prioritäten für zu eng, da sich Entwicklungen im Bildungsbereich allenfalls mittelfristig abzeichnen. Darüber hinaus sind die Ergebnisse der EU-Bildungskooperation auf Grund der vertraglichen Bestimmungen nicht von den Mitgliedstaaten umzusetzen, sondern stellen aus Sicht der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und in Anwendung der Bestimmungen von Artikeln 149/150 EGV ein Angebot dar, das von der politischen Ebene in Betracht gezogen und ggf. teilweise oder zur Gänze bei der Politikgestaltung im eigenen Verantwortungsbereich zu Rate gezogen werden kann. Aus Sicht des Bundesrates stellt die bei der Darstellung einzelner prioritärer Kooperationsbereiche immer wieder auftretende Kommissionsforderung nach "Umsetzung" bzw. "voller Berücksichtigung" einzelner Aspekte einen Verstoß gegen die vertraglich zugesicherte strikte Beachtung der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Bildungsinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems durch die Gemeinschaft sowie gegen die immer wieder von der Kommission betonte Freiwilligkeit der mitgliedstaatlichen Teilnahme am Prozess dar und wird deshalb zurückgewiesen.
- 6. Der Bundesrat lehnt auch die in diesem Zusammenhang von der Kommission geforderte Aufstellung von nationalen Aktionsplänen (vgl. Nummer 3.2 zu Grundfertigkeiten in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften) oder die Schaffung von Zielvorgaben und Finanzierungsinstrumenten auf nationaler Ebene (vgl. Nummer 3.1 zur Ausweitung der Mobilität zu Lernzwecken) sowie eine Verpflichtung zur Verknüpfung nationaler Zielsetzungen mit europäischen Durchschnittsbezugswerten (vgl. Nummer 4.4) als Eingriff in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ab.
- 7. Wie die von der Kommission benannten übergeordneten strategischen Herausforderungen für den Zeitraum 2009 bis 2020 entsprechen auch die vorgeschlagenen prioritären Kooperationsbereiche für 2009 bis 2010 weitgehend den in den deutschen Ländern diskutierten Themen. Über die oben dargestellten grundsätzlichen Erwägungen hinaus nimmt der Bundesrat zu einzelnen prioritären Bereichen wie folgt kritisch Stellung:
- - Ausweitung der Mobilität zu Lernzwecken (vgl. Nummer 3.1): Der Bundesrat unterstreicht die Bedeutung der Mobilität für das Europa des Wissens sowie die grundsätzliche Bereitschaft der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, zu einer Steigerung der Mobilität im Bildungsbereich beizutragen, weist aber vorsorglich darauf hin, dass die von den Bildungsministern auf ihrer Ratstagung am 21. November 2008 im Rahmen von Schlussfolgerungen zur Mobilität junger Menschen angenommenen grundsätzlichen Erwägungen zur Mobilität junger Menschen (z.B. "Jedes Schulkind an allgemein bildenden oder Berufsschulen sollte die Möglichkeit haben, im Laufe seiner Schulzeit an einem Mobilitätsprogramm teilzunehmen" - 2008/C 320/03) nicht zur Ableitung berechtigen, dass sich die Mitgliedstaaten dadurch z.B. für den Schulbereich dazu verpflichtet hätten, eine diesbezügliche quantitative Zielvorstellung in Höhe von 100 % vorzusehen.
- - Steuerung und Finanzierung (vgl. Nummer 3.2): Abgesehen von seiner grundsätzlichen Ablehnung einer quasi verpflichtenden Umsetzung von Elementen der EU-Bildungskooperation nimmt der Bundesrat mit Verwunderung zur Kenntnis, dass die Kommission im Hinblick auf den Europäischen Bezugsrahmen für die Qualitätssicherung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung (vgl. BR-Drucksache 249/08(B) ) trotz der erheblichen Umgestaltung, die der diesbezügliche Kommissionsvorschlag bis zu seiner Verabschiedung als Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates erfahren hat, auch weiterhin von einer "Umsetzung" des Bezugsrahmens ausgeht. Tatsächlich sieht die Empfehlung vor, dass die Mitgliedstaaten die von der Kommission vorgeschlagenen Indikatoren als unverbindlichen "Werkzeugkasten" verwenden. Die Forderung (vgl. Nummer 3.2) nach der Entwicklung von "Normen für Fachkräfte in der Erwachsenenbildung" durch die Mitgliedstaaten weist der Bundesrat zurück. Die Anstrengungen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Weiter- und Erwachsenenbildung durch Bund und Länder haben in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte erreicht. Sie verfolgen allerdings nicht die Entwicklung von Normen für einzelne Qualitätsaspekte, sondern ganzheitliche, institutionell ausgerichtete Qualitätsentwicklungskonzepte.
- - Grundfertigkeiten in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften (vgl. Nummer 3.2): Der Bundesrat sieht in einer vertieften europaweiten Diskussion, wie die Grundfertigkeiten der Schülerinnen und Schüler sowie von Erwachsenen verbessert werden können, einen Mehrwert und misst Ergebnissen eines diesbezüglichen Informations- und Erfahrungsaustausches der Mitgliedstaaten sowie der Ermittlung bewährter Verfahren aus der Bildungspraxis einzelner Mitgliedstaaten große Bedeutung zu. Der Bundesrat kann allerdings nicht erkennen, inwieweit die Einrichtung eines weiteren beratenden Gremiums der EU-Bildungskooperation, einer von der Kommission angeregten sogenannten Hochrangigen Gruppe zur Lesekompetenz, hierbei förderlich sein könnte, und spricht sich vor dem Hintergrund seiner grundsätzlichen Ablehnung einer inflationären Einsetzung neuer Gremien auf europäischer Ebene sowie der Vermeidung der Doppelung bereits bestehender Strukturen gegen die Schaffung einer solchen Hochrangigen Gruppe aus. Nach Auffassung des Bundesrates sollte die Befassung mit dieser Thematik im Rahmen der Peer-Learning-Maßnahmen erfolgen, deren Aufgabe die Identifizierung und Verbreitung bewährter Verfahren zur Verbesserung der Grundfertigkeiten im Lesen, in der Mathematik und den Naturwissenschaften aus den einzelnen Mitgliedstaaten ist, wobei die Bewertung der einzelnen Verfahren im Hinblick auf ein möglicherweise bestehendes Übertragungspotenzial in andere Kontexte und die Entscheidung hinsichtlich einer etwaigen Umsetzbarkeit einzelner Verfahren in den mitgliedstaatlichen Bildungssystemen ohnehin von der jeweiligen politischen Ebene der Mitgliedstaaten und nicht auf europäischer Ebene durch die Kommission oder eine Hochrangige Gruppe zu treffen sein wird. Der Bundesrat widerspricht auch in diesem Zusammenhang nachdrücklich der Kommissionstendenz, einzelne Verfahren als europaweite Muster darzustellen und dadurch eine europaweite Konvergenz im Bildungsbereich anzustreben.
- - Lernende mit besonderen Bedürfnissen (vgl. Nummer 3.3): Hinsichtlich der Kommissionsforderung nach einer "Integration der Dienste in das reguläre Schulwesen" bekräftigt der Bundesrat seine Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag zur Schaffung einer Agenda für die europäische Zusammenarbeit im Schulwesen (BR-Drucksache 497/08(B) ).
- 8. Der Bundesrat stellt fest, dass, während die Kommission sich in Bezug auf die inhaltliche Gestaltung der künftigen EU-Bildungskooperation weitgehend für Kontinuität entschieden hat, sie im Hinblick auf die Instrumente der EU-Bildungskooperation die Einleitung eines grundlegenden Wandels beabsichtigt. Dies wird in der Mitteilung selbst nur angedeutet, wo die Kommission lediglich eine "Verbesserung der Arbeitsmethoden für die künftige offene Methode der Koordinierung" (vgl. Nummer 5) fordert und in ihrem Fazit feststellt, dass "mehr denn je [...] eine wirksame offene Methode der Koordinierung benötigt" werde. Der Bundesrat weist darauf hin, dass das bisherige Arbeitsprogramm "Bildung und Ausbildung 2010" getragen wird vom Grundsatz des freiwilligen Voneinander-Lernens und die Durchführung des Arbeitsprogramms laut Beschluss der EU-Bildungsminister vom Frühjahr 2002 auf einer Anwendung der neuen offenen Koordinierungsmethode im Rahmen der Artikel 149/150 EGV sowie im Rahmen eines "völlig dezentralen Ansatzes" fußt. Der von der Kommission in der Mitteilung dargestellte Ansatz einer Steuerung der Bildungssysteme der Mitgliedstaaten durch die EU-Bildungskooperation, die sich auf eine fortlaufende Evaluierung und Bewertung der Leistungen der mitgliedstaatlichen Bildungssysteme durch die Kommission stützen würde, stellt einen grundlegenden Paradigmenwechsel dar, den der Bundesrat ablehnt, da er weder vertraglich gedeckt noch aus Sicht der Länder in der Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund der Vielfalt der Bildungssysteme in der EU zielführend wäre (vgl. BR-Drucksache 714/05(B) ).
- 9. In diesem Zusammenhang lehnt der Bundesrat besonders die nachstehenden Elemente einer von der Kommission geforderten Intensivierung der Anwendung der offenen Methode der Koordinierung im Bildungsbereich ab:
- - Erstellung sogenannter "Länderberichte" durch die Kommission (vgl. Nummer 4.3): Die von der Kommission in der Mitteilung lediglich kurz erwähnte, aber im Rahmen der Tätigkeiten der Arbeitsgruppe für Indikatoren und Benchmarks ohne Mandatierung zumindest durch Rückkoppelung mit Ratsgremien bereits eingeleitete Erstellung von indikatoren- und benchmarkgestützten Berichten zur Bildungsperformanz eines jeden EU-Mitgliedstaats sowie der EWR-Staaten und der EU-Beitrittskandidatenstaaten, die "Bewertungen der Lage in den einzelnen Ländern" (vgl. Nummer 4.3) durch die Kommission enthalten, wird vom Bundesrat als nicht vertragskonforme Bewertung der bildungspolitischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten zurückgewiesen. In diesem Zusammenhang erklärt der Bundesrat erneut seine Ablehnung von bildungspolitischen Empfehlungen der Kommission an die Mitgliedstaaten.
- - Peer-Review-Aktivitäten (vgl. Nummer 4.1): Der Bundesrat bekräftigt seine kritische Haltung zur Durchführung von Peer-Review-Aktivitäten im Rahmen der EU-Bildungskooperation, vgl. BR-Drucksache 837/07(B) , und betont vorsorglich, dass er einem zunehmenden Ersatz von Peer-Learning-Maßnahmen durch verpflichtende Peer-Review-Verfahren nicht zustimmt.
- - Aufwertung der informellen Hochrangigen Gruppe im Bildungsbereich (vgl. Nummer 4.1): Der Bundesrat bringt sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, dass die Kommission nach abschlägiger Reaktion der Mitgliedstaaten während der portugiesischen, slowenischen und französischen Ratspräsidentschaften nunmehr erneut ihre bislang wiederholt vorgetragene, aber nicht konsensfähige Forderung nach einer Aufwertung der informellen Hochrangigen Gruppe vorträgt und somit den erklärten Willen der ganz überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten erneut missachtet hat. Der Bundesrat bekräftigt seine strikte Ablehnung einer maßgeblichen Veränderung in der Gremienstruktur im EU-Bildungsbereich zu Gunsten der Hochrangigen Gruppe (vgl. BR-Drucksache 837/07(B) ), da die Aufwertung dieser Gruppe dazu geeignet wäre, die Bedeutung des EU-Bildungsausschusses als einziges dem EU-Bildungsministerrat direkt zuarbeitendes formales Ratsgremium entscheidend zu schwächen.
- 10. Hinsichtlich der Kommissionsforderung nach der Schaffung einer "neuen Benchmark-Reihe" (vgl. Nummer 4.4), die durch detaillierte Vorschläge untermauert wird, stellt der Bundesrat einen weiteren Paradigmenwechsel fest, den er für unvereinbar mit den für die EU-Bildungskooperation geltenden vertraglichen Bedingungen hält: Während bisher europäische Durchschnittsbezugswerte (Benchmarks) im Mittelpunkt der Bemühungen standen, ist die Kommission nunmehr bemüht, eine Entwicklung in Richtung genuiner Benchmarks einzuleiten, und verlangt von den Mitgliedstaaten unmissverständlich, die einzelnen europäischen Benchmarks mit nationalen Zielvorgaben zu verknüpfen. Der Bundesrat bekräftigt zum wiederholten Male seine Ablehnung der Festlegung genuiner Benchmarks zur Überprüfung der Qualität der mitgliedstaatlichen Bildungssysteme (vgl. zuletzt BR-Drucksache 249/08(B) ) und weist darauf hin, dass gemäß der Ratsschlussfolgerungen vom 5. Mai 2003 (vgl. 2003/C 134/02) die Schaffung europäischer Durchschnittsbezugswerte keine Festlegung einzelstaatlicher Ziele enthält und keine Entscheidungen vorgibt, die von den jeweiligen Regierungen getroffen werden müssten (vgl. auch BR-Drucksache 870/02(Beschluss) sowie zuletzt BR-Drucksache 249/08(B) ).
- 11. Unbeschadet seiner grundsätzlich kritischen Haltung zu europäischen Durchschnittsbezugswerten, der Ablehnung genuiner Benchmarks im Bildungsbereich sowie der von ihm bekräftigten Notwendigkeit der Befassung mit Vorschlägen zu neuen europäischen Durchschnittsbezugswerten in dem dafür vorgesehenen kohärenten Rahmen für Indikatoren und Benchmarks nimmt der Bundesrat zu strukturellen Aspekten der Weiterführung bzw. Weiterentwicklung oder gar Ergänzung der gegenwärtigen fünf europäischen Durchschnittsbezugswerte wie folgt Stellung:
- - Der Bundesrat betrachtet den vorgeschlagenen Zeitrahmen von zwölf Jahren bis 2020 als geeignet für eine verlässliche Darstellung von Entwicklungen in den Bildungssystemen der Mitgliedstaaten.
- - Bei der Verabredung gemeinsamer unverbindlicher Zielsetzungen in Form von bis zum Jahr 2020 zu erzielenden europäischen Durchschnittsbezugswerten sind realistischen Ansätzen der Vorrang vor überambitionierten Erwartungshaltungen zu geben, um zu vermeiden, dass wie gegenwärtig zum Abschluss des Arbeitsprogramms "Bildung und Ausbildung 2010" der ganz überwiegende Teil (vier von fünf) der in Aussicht genommenen Zielsetzungen auf Grund unrealistischer Planungen nicht erreicht wird.
- - Angesichts der bereits auf informeller Ebene eingeleiteten ratsseitigen Diskussion der Thematik lehnt der Bundesrat in diesem Zusammenhang vorsorglich die Einführung von direkten Schwellenvorgaben in Form von Mindeststandards für jeden einzelnen europäischen Durchschnittsbezugswert in Verbindung mit der Schaffung eines mitgliedstaatspezifischen Verfahrens (Verabredung mit der Kommission, ob der einzelne Mitgliedstaat in den jeweiligen Bildungsbereichen einen für 2020 angesetzten EU-Mindeststandard anstreben, sich höhere Ziele oder gar keinen nationalen Benchmark setzen soll) aus den bereits dargestellten grundsätzlichen Erwägungen, aber auch im Hinblick auf die nicht absehbaren Auswirkungen dieses Ansatzes auf föderal verfasste Mitgliedstaaten ab.
- 12. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass alle Vorschläge für veränderte oder neue europäische Durchschnittsbezugswerte einer äußerst sorgfältigen Prüfung des jeweils zu erwartenden europäischen Mehrwerts sowie einer eingehenden Kosten-Nutzen-Analyse unter besonderer Berücksichtigung des damit in Verbindung stehenden Verwaltungsaufwands zu unterziehen sind, und nimmt zu einzelnen, damit in Verbindung stehenden inhaltlichen Aspekten vorläufig wie folgt Stellung:
- - Die Weiterführung bzw. Weiterentwicklung der bereits bestehenden europäischen Durchschnittsbezugswerte zu frühen Schulabgängern (Nummer 4.4.3), zu Grundfertigkeiten im Leseverstehen in erweiterter Form (Nummer 4.4.2) sowie zur Beteiligung 25- bis 64-Jähriger am lebenslangen Lernen (Nummer 4.4.1) mag grundsätzlich sinnvoll erscheinen, wobei die von der Kommission vorgeschlagene Zielsetzung für Grundfertigkeiten in den drei angeführten Bereichen relativ ehrgeizig erscheint. Der Bundesrat bekräftigt in Hinblick auf den europäischen Durchschnittsbezugswert zur Beteiligung am lebenslangen Lernen seine Forderung nach einer Überarbeitung des ungeeigneten Indikators, der durch die Befragungsgrundlage (Maßnahmen, die bis zu vier Wochen vor dem Befragungszeitpunkt stattgefunden haben) zu indikatorinduziert äußerst niedrigen Werten führen muss, die bei der Zugrundelegung anderer Indikatoren nicht aufträten (vgl. zuletzt BR-Drucksache 141/07(B) ) und hält darüber hinaus die von der Kommission für 2020 vorgeschlagene Zielsetzung für zu ehrgeizig. Bei der Weiterentwicklung der europäischen Durchschnittsbezugswerte zur Beteiligung der 25- bis 64-Jährigen an der Weiter- und Erwachsenenbildung empfiehlt der Bundesrat die Berücksichtigung der bereits bestehenden europäischen Vereinbarungen zum sogenannten Adult Education Survey (AES).
- - Von den beiden aus Sicht der Kommission durch die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Barcelona im März 2002 legitimierten Vorschlägen zur Teilnahme an Maßnahmen zur vorschulischen Bildung (Nummer 4.4.3) sowie zu Fremdsprachenkenntnissen (Nummer 4.4.2) lehnt der Bundesrat die Schaffung eines europäischen Durchschnittsbezugswertes zur Anzahl der unterrichteten Fremdsprachen in der Sekundarstufe I ab, da dieser als direkte Vorgabe für die Gestaltung der Bildungsinhalte und des Bildungssystems, das laut Artikel 149 EGV einem Harmonisierungsverbot unterliegt, und somit als massiver Eingriff in die Kulturhoheit der Länder in der Bundesrepublik Deutschland zu sehen ist. Unbeschadet der grundsätzlichen Zurückweisung dieses Durchschnittsbezugswertes erscheint dem Bundesrat die von der Kommission vorgeschlagene Zielsetzung, die im Übrigen den in einigen deutschen Ländern stark nachgefragten Lateinunterricht im gymnasialen Bereich nicht berücksichtigt und daher im Hinblick auf die statistische Erfassung des Fremdsprachenunterrichts für Deutschland zu Verzerrungen führen muss, in Höhe von 80 % bis zum Jahr 2020 bei der Zugrundelegung eines derzeitigen europäischen Durchschnittswertes von 52 % unrealistisch.
- - Der Bundesrat bekräftigt seine Ablehnung der Schaffung eines europäischen Durchschnittsbezugswerts zu Investitionen in die Hochschulbildung (Nummer 4.4.2; vgl. BR-Drucksache 093/06(B) ).
- - Der von der Kommission vorgeschlagene Durchschnittsbezugswert zum Anteil der Hochschulabsolventen an den 30- bis 34-Jährigen (Nummer 4.4.2) erweist sich für Mitgliedstaaten, die über ein ausgeprägtes duales System verfügen, als äußerst problematisch, da er die Ausbildungsleistungen des dualen Systems und der beruflichen Aufstiegsfortbildung nicht berücksichtigt und daher zu Verzerrungen führen muss. Der Bundesrat lehnt ihn auf Grund dieser Erwägungen ab.
- - Im Hinblick auf die aus Kommissionssicht neu zu entwickelnden europäischen Durchschnittsbezugswerte Beschäftigungsfähigkeit (Nummer 4.4.2) sowie Innovation und Kreativität (Nummer 4.4.4) tritt der Bundesrat dafür ein, der Kommission allenfalls einen Prüfauftrag hinsichtlich der Erarbeitung von Indikatoren in beiden Bereichen zu erteilen, weiterführende diesbezügliche Entscheidungen aber zurückzustellen und die Frage der Aufwertung möglicherweise zur Verfügung stehender Indikatoren zu neuen europäischen Durchschnittsbezugswerten - wie zwischen Rat und Kommission eigentlich vereinbart - im Rahmen der Prüfung einer Erweiterung des kohärenten Rahmens für Indikatoren und Benchmarks zu behandeln und der Ebene des EU-Bildungsministerrates vorzubehalten.
- - Während die Kommission im Hinblick auf die Aufnahme der Bereiche Beschäftigungsfähigkeit sowie Innovation und Kreativität von der Notwendigkeit der Einleitung von Entwicklungsarbeiten zur Erstellung diesbezüglicher Indikatoren ausgeht, schlägt sie im Hinblick auf den Bereich der Mobilität (Nummer 4.4.1) direkt die Schaffung eines europäischen Durchschnittsbezugswerts vor, ohne jedoch zu erläutern, auf der Grundlage welchen Indikators ein etwaiger Durchschnittsbezugswert geschaffen werden soll. Der Bundesrat bekräftigt in diesem Zusammenhang seine bereits oben dargelegten Erwägungen und bedauert, dass, nachdem die Kommission offenbar nicht von der Notwendigkeit der Entwicklung eines Indikators ausgeht, sie ihre diesbezüglichen Pläne nicht offenlegt. Der Bundesrat stellt vorsorglich fest, dass er möglicherweise von der Kommission erwogene diesbezügliche quantitative Zielsetzungen für die Mobilität in einzelnen Bildungsbereichen ablehnt.
- 13. Der Bundesrat stimmt dem Vorschlag der Kommission zu, die von Rat und Kommission vorzulegenden Zwischenberichte stärker auf bestimmte Handlungsschwerpunkte auszurichten und dabei den Zweijahresrhythmus für die Erstellung der Berichte beizubehalten. Der Bundesrat erwartet durch eine stärkere Fokussierung der Berichtlegung eine merkliche Reduzierung des mit der Erstellung der Beiträge der Mitgliedstaaten verbundenen Aufwands. Allerdings betont der Bundesrat, dass die Länder bei der Erstellung des deutschen Beitrags zum Zwischenbericht die von der Kommission vorgenommene Reduzierung der Zwischenberichte auf "Fortschrittsberichte" in Form einer Beschränkung der Berichterstattung auf "ihre politischen Maßnahmen mit Blick auf die allgemeinen Ziele der offenen Methode der Koordinierung" (vgl. Nummer 4.3) nicht mittragen. Der Bundesrat lehnt eine Konzeption künftiger Berichte als Beantwortung einer reinen Abfrage der Kommission, inwieweit Elemente der EU-Bildungskooperation in den deutschen Bildungssystemen umgesetzt werden, ab und betont, dass aus seiner Sicht auch weiterhin über die allgemeinen Entwicklungen in den Bildungssystemen in der Bundesrepublik Deutschland berichtet werden sollte.
- 14. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission in Aussicht gestellte Verbesserung der Verbreitung einzelner Ergebnisse der EU-Bildungskooperation in Form der Schaffung einer Internetseite zu politischen Initiativen und bewährten Verfahren.
- 15. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, seine Stellungnahme gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen, da die Vorlage im ganz überwiegenden Schwerpunkt die allgemeine schulische Bildung und damit die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder betrifft.
- 16. Gemäß § 6 Absatz 2 EUZBLG ist die Verhandlungsführung auf einen Vertreter der Länder zu übertragen.