Der Bundesrat hat in seiner 836. Sitzung am 21. September 2007 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt und unterstützt das Anliegen der Kommission, die Verbraucherrechte auf dem Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt zu stärken und den Wettbewerb auf den Energiemärkten durch das Handeln informierter und aktiver Verbraucher zu intensivieren. Der Bundesrat begrüßt deshalb auch die Zielsetzung der Kommission, das Informationsangebot für die Bürger und Bürgerinnen als Orientierungshilfe bei der Wahl des Versorgers und der Entscheidung zwischen verschiedenen Versorgungsoptionen zu verbessern. Die Wahrung der Interessen der Verbraucher und Verbraucherinnen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur vollständigen Öffnung der Energiemärkte.
- 2. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Grenzen des Verbraucherschutzes aber dort zu ziehen sind, wo das Leitbild des mündigen Verbrauchers in Frage gestellt und die Entwicklung der Märkte durch eine zu hohe Regulierungsdichte infolge des von der Kommission geforderten "höchstmöglichen" Verbraucherschutzniveaus behindert wird. Gefordert ist hier jedoch die Balance zwischen den notwendigen Liberalisierungsschritten auf der einen und einer angemessenen Verbraucher schützenden Reglementierung auf der anderen Seite.
- 3. Die Kommission sollte sich deshalb in ihrer Charta der Rechte der Energieverbraucher auf die Zusammenfassung des geltenden EU-Verbraucherrechts im Energiebereich beschränken und den Verbrauchern auf diesem Wege eine umfassende Informationsmöglichkeit zur Verfügung stellen.
- 4. Der Bundesrat weist angesichts der Ausführungen der Kommission zu möglichen Inhalten einer zukünftigen Charta der Rechte der Energieverbraucher (Anhang I unter A.b, E.b und H.b) vorsorglich darauf hin, dass es der Kommission in diesem Rahmen lediglich gestattet ist, unverbindliche Vorschläge zur Interpretation des von ihr zitierten und eher allgemein gehaltenen Gemeinschaftsrechts zu unterbreiten. Darüber hinausgehende und verbindliche Vorgaben, die von den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung und der Anwendung zu berücksichtigen wären, haben unabhängig von der Frage nach ihrer Sinnhaftigkeit in diesem Zusammenhang zu unterbleiben. Die Weiterentwicklung des Sekundärrechts der EG ist allein Sache des Gemeinschaftsgesetzgebers, den die Kommission durch Schaffung eines Instruments unbestimmten Rechtscharakters nicht übergehen darf ("keine Rechtsetzung durch die Hintertür").
- 5. Des Weiteren befürwortet der Bundesrat das Ziel, den bürokratischen Aufwand beim Wechsel eines Kunden zu einem anderen Anbieter zu reduzieren. Diese Maßnahmen tragen zur Stärkung des Wettbewerbs auf den Energiemärkten bei.
- 6. Die von der Kommission vorgeschlagene behördliche Beobachtung und Veröffentlichung der Endkundenpreise lehnt der Bundesrat ab. Da zahlreiche Preisvergleiche bereits im Internet angeboten werden und auch die Verbraucherberatungsstellen die Energieverbraucher entsprechend beraten, sieht der Bundesrat keine Notwendigkeit dafür, dass zusätzlich staatliche Stellen diese Informationen bereitstellen.
- 7. Darüber hinaus ist es Sache der Mitgliedstaaten, ob sie ergänzende Regelungen im Sinne des Anhangs I unter A.c, B.c, C.c, F.c, G.c, H.c und I.c treffen. Besonders bedenklich erscheinen dem Bundesrat in diesem Zusammenhang "Empfehlungen" der Kommission im Sinne des Anhangs I unter F.c 1, eine für den Verbraucher kostenfreie außergerichtliche Streitbeilegung als "Standard" vorzugeben oder die Mitgliedstaaten aufzufordern, "auf dem Markt einzugreifen" (Anhang I unter H.c).
- 8. Der Vorschlag, die Mitgliedstaaten sollten in den Markt eingreifen, um sozialverträgliche Preise und Bedingungen für genau definierte Kategorien von Strom- und Gasverbrauchern in abgelegenen Gebieten oder mit besonderen Bedürfnissen zu schaffen, begegnet auch erheblichen ordnungspolitischen (und bei privatwirtschaftlichen Energieversorgungsunternehmen auch verfassungsrechtlichen) Bedenken. Staatliche Preiseingriffe über die bestehende Regulierung der Strom- und Erdgasmärkte hinaus lehnt der Bundesrat ab. Die Strom- und Gaspreise sollen sich grundsätzlich kostenorientiert und nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen bilden. Zielsetzung der Marktliberalisierung ist es, dass sich der mündige Verbraucher entsprechend marktwirtschaftlicher Gesetze eigenverantwortlich aus den verfügbaren Angeboten den für ihn günstigsten Anbieter selbst auswählt. Die Unterstützung von sozial besonders bedürftigen Verbrauchern sollte wie bisher durch die Anwendung sozialpolitischer Instrumente gewährleistet werden. Soweit hierzu nicht bereits die europarechtliche Kompetenz fehlt, liegt ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip vor.
- 9. In diesem Zusammenhang wäre beispielsweise auch eine Vorgabe der Kommission abzulehnen, dass eine Unterbrechung der Energieversorgung bei fortlaufender Nichtzahlung der geforderten Entgelte unzulässig sei. Die Begünstigung einer Verbrauchergruppe könnte in diesem Fall zur Belastung aller anderen zahlungswilligen Kunden führen, die ihrerseits schutzwürdige Verbraucher sind.