847. Sitzung des Bundesrates am 19. September 2008
A
Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass es gelungen ist, das Armutsrisiko durch Sozialtransfers von 26 auf 13 Prozent zu halbieren. Grundsicherung, Sozialgeld und Sozialhilfe inklusive der Transfers für Miete und Heizung haben 2005 über 50 Prozent des mittleren Einkommens gesichert, die kostenfreie Krankenversicherung nicht mitgerechnet. Das Einkommen von Geringverdienern bzw. so genannten Aufstockern, die zusätzlich zum Lohn ergänzende Grundsicherung erhalten dürfte auf Grund von Freibeträgen bei der Anrechnung auf Sozialleistungen regelmäßig über der Armutsrisikoschwelle gelegen haben.
- 2. Der Bundesrat merkt an, dass bei der Würdigung der Ergebnisse des Dritten Armuts- und Reichtumsberichts zwei Aspekte berücksichtigt werden müssen.
Zum einen beruht der Bericht auf der Datenbasis des Jahres 2005. Seitdem hat sich die Lage am Arbeitsmarkt dank der guten konjunkturellen Entwicklung aber deutlich verbessert. So sank die jahresdurchschnittliche Zahl der Arbeitslosen zwischen 2005 und 2007 um 22 Prozent oder 1,1 Millionen.
Davon profitierten auch Gruppen mit besonders hohem Armutsrisiko, wie Langzeitarbeitslose, ältere Arbeitslose oder Ausländer.
- 3. Weiterhin ist die Arbeitslosigkeit jedoch eine Hauptursache von Armut und sozialer Ausgrenzung. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Bundesregierung, dass Bildung ein wichtiger Schlüssel zur Armutsvermeidung ist. Daneben muss die Armutsbekämpfung allerdings vorrangig dadurch erfolgen, dass erwerbsfähige Arbeitslose aktiviert und möglichst schnell in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden.
- 4. Insbesondere ist der Bundesrat der Auffassung, dass die zukünftigen Armutsrisiken älterer arbeitsloser Erwerbsfähiger (über 55 Jahre) stärker thematisiert werden müssen. Arbeitslosigkeit ist gerade für ältere Erwerbsfähige auf Grund der bisher noch nicht ausreichenden Wiedereinstellungschancen ein hohes Risiko für sozialen Abstieg und das Abgleiten in Armut. Aus diesem Grund sind weiterhin entschlossene Schritte zur Beseitigung von Beschäftigungshemmnissen für Ältere notwendig, um deren bessere Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen.
- 5. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung in diesem Zusammenhang auf, darzulegen welche Schritte sie über die "Initiative 50 plus" hinaus plant, um älteren Erwerbslosen einen Wiedereinstieg in das Arbeitsleben zu ermöglichen.
Ein Irrweg wäre es, wenn die Pläne für eine Nachfolgeregelung für die 2009 auslaufende Altersteilzeit umgesetzt und damit neue Subventionstatbestände für einen frühzeitigen Übergang in die Rente ermöglicht würden.
- 6. Der zweite Aspekt ist der Trend zum Einpersonenhaushalt. Hier liegt eine entscheidende Ursache für die Steigerung des Armutsrisikos in den vergangenen Jahren. Durch die Armuts- und Reichtumsmessung nach dem bedarfsgewichteten Pro-Kopf-Einkommen und nicht nach dem tatsächlichen Pro-Kopf-Einkommen sind die Kosten der Haushaltsführung pro Kopf in Mehrpersonenhaushalten niedriger als in Einpersonenhaushalten. Dahinter steckt die Logik, dass sich Paare die Kosten für Miete, Nebenkosten und notwendigen Anschaffungen teilen können. Es führt aber dazu, dass die Personen bei einer Trennung statistisch ärmer gerechnet werden, auch wenn sich an der tatsächlichen Einkommenssituation nichts ändert.
- 7. Angesichts der veralteten Datenbasis und dem gesellschaftlichen Trend zu Einpersonenhaushalten warnt der Bundesrat davor, aus den Ergebnissen reflexartig sozialpolitischen Handlungsbedarf, wie z.B. die Einführung weiterer branchenspezifischer Mindestlöhne, abzuleiten. Die Einführung zu hoher Mindestlöhne kann negative Beschäftigungseffekte verursachen und das Armutsrisiko damit erhöhen.
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- 8. Der federführende Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, der Ausschuss für Frauen und Jugend, der Gesundheitsausschuss, der Ausschuss für Kulturfragen und der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung empfehlen dem Bundesrat, von dem Bericht Kenntnis zu nehmen.