Der Bundesrat hat in seiner 909. Sitzung am 3. Mai 2013 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich das Ziel des Verordnungsvorschlages, eine wettbewerbliche Vergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen im Schienenpersonennahverkehr vorzugeben, um den Wettbewerb auf den inländischen Märkten zu verstärken. Dies eröffnet Chancen für eine wirtschaftlichere Verwendung der für den öffentlichen Schienenpersonennahverkehr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel.
- 2. Dessen ungeachtet bestehen gegen den Verordnungsvorschlag, insbesondere aufgrund des hohen Detaillierungsgrades der Regelungen, erhebliche Bedenken.
- 3. Der Bundesrat lehnt die Änderung der Definition der zuständigen örtlichen Behörde ab. Zum einen werden mit der neuen Definition neue unbestimmte Rechtsbegriffe "städtischer Ballungsraum" und "ländlicher Bezirk" eingeführt, die eher zu mehr Rechtsunsicherheit als zu der von der Kommission gewünschten Rechtsklarheit beitragen. Zum anderen wird der Handlungsspielraum der zuständigen örtlichen Behörden, gebietsübergreifende Zusammenschlüsse zu bilden, in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt und die Möglichkeit der Direktvergabe nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung an interne Betreiber damit in vielen Fällen ausgeschlossen.
- 4. Er betrachtet insbesondere die Verpflichtung zur Aufstellung von Plänen mit sehr detaillierten Vorgaben bis hin zu Notfallplänen für Störungen als unverhältnismäßig. Die von der Kommission vorgesehenen Regelungen stellen eine Überregulierung dar und würden weit in die Zuständigkeitsbereiche der zuständigen Behörden eingreifen.
- 5. Der Bundesrat hält es unabhängig von der zuvor dargestellten Kritik an der Verhältnismäßigkeit für nicht zielführend, bei der Beurteilung des Grades der Zielerreichung bei dem Plan für den öffentlichen Verkehr lediglich auf die Kostenwirksamkeit abzustellen. Vielmehr wären Qualitätsaspekte zu berücksichtigen und es wäre auf die wirtschaftlichste Art der Leistungserstellung abzustellen. Eine verpflichtende Konsultation von Verkehrsunternehmen oder Arbeitnehmervertretern und -vertreterinnen bei der Erstellung dieser Spezifikationen lehnt der Bundesrat als zu weitgehende Vorgabe für die zuständigen Behörden ab.
- 6. Er weist darauf hin, dass in Artikel 4 Absatz 8 ergänzend eine Regelung aufzunehmen ist, wonach die Altbetreiber (EVU) und die Infrastrukturunternehmen (EIU) verpflichtet sind, den ausschreibenden Stellen die notwendigen Daten zur Verfügung zu stellen. Dies betrifft insbesondere ausschreibungsrelevante Daten zur Fahrgastnachfrage und zu Fahrgeldeinnahmen der EVU und Daten zur Infrastruktur der EIU, die jeweils nur in diesen Unternehmen vorliegen. Dabei ist sicherzustellen, dass Kostensätze des bislang den Verkehr erbringenden Unternehmens nicht veröffentlicht werden müssen.
- 7. Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich die Einführung einer wettbewerblichen Vergabepflicht von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen im Schienenpersonennahverkehr. Die Praxis möglicher Fallgestaltungen hat allerdings gezeigt, dass Ausnahmeregelungen grundsätzlich und auch über den 3. Dezember 2019 hinaus (Neufassung Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 1) möglich sein müssen. Dies gilt zumindest für die folgenden Fälle:
- - Insolvenz eines Eisenbahnverkehrsunternehmens,
- - Notfälle,
- - Nicht rechtzeitig bereitgestellte Infrastruktur,
- - Technische Probleme bei Fahrzeugen oder beim Zulassungsverfahren für Fahrzeuge,
- - Stadtbahnverkehre mit teilweise nicht diskriminierungsfreiem Infrastrukturzugang,
- - Erforderliche Laufzeitharmonisierungen zur Bildung von wirtschaftlichen Ausschreibungsnetzen,
- - Harmonisierung von länderübergreifenden Verkehrsverträgen mit unterschiedlichen Laufzeiten,
- - Linienverlängerungen,
- - Staatsgrenzen überschreitende Verkehre.
In diesem Zusammenhang muss unter anderem die Möglichkeit erhalten bleiben, öffentliche Dienstleistungsaufträge für Schienenverkehrsdienste direkt vergeben zu können, wenn der jährliche Leistungsumfang 300 000 km nicht überschreitet.
- 8. Der Bundesrat verkennt nicht, dass die Finanzierung von Schienenfahrzeugen für die Verkehrsunternehmen zunehmend schwieriger wird. Allerdings sieht er es nicht als Aufgabe der Kommission an, hier detaillierte Vorgaben für die zuständigen Behörden hinsichtlich der Unterstützung von Eisenbahnverkehrsunternehmen festzulegen. Ob und welche Hilfestellungen die zuständigen Behörden im Einzelnen leisten wollen, muss diesen unter Berücksichtigung der jeweiligen Rahmenbedingungen selbst überlassen bleiben. Im Übrigen sieht der Bundesrat bei der Regelung, einen diskriminierungsfreien Zugang zu Rollmaterial vorzugeben, die Gefahr, dass dies auch nicht rechtssicher vorgegeben werden kann. Rechtliche Auseinandersetzungen dürften damit zu erwarten sein. Erforderlich ist zudem, dass die Vorschrift nicht auf andere schienengestützte Verkehrsträger als Eisenbahnen wie U-Bahnen, Straßenbahnen oder Stadtbahnen anzuwenden ist.
- 9. Er kann nicht akzeptieren, dass auch im straßengebundenen ÖPNV nach dem Verordnungsvorschlag (Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 1 Satz 2) die Wahlmöglichkeit der zuständigen Behörden, öffentliche Dienstleistungsaufträge direkt oder im Wettbewerb zu vergeben, faktisch unterbunden werden soll. Denn entgegen der Begründung (Abschnitt 3.9 der Vorlage) ist die beabsichtigte Regelung so zu verstehen, dass ab dem 3. Dezember 2019 ausschließlich wettbewerbliche Vergaben nach Artikel 5 Absatz 3 zulässig wären. Die nach dem Verordnungsvorschlag geforderte ausschließliche Vergabe im wettbewerblichen Verfahren, die sogar nicht einmal den einschlägigen allgemeinen Vergaberegelungen entsprechen dürfte, schränkt die zuständigen Behörden unverhältnismäßig ein.
- 10. Der Bundesrat lehnt vor allem den offensichtlich geplanten Wegfall des Artikels 9 ab, mit dem Ausgleichsleistungen für Verkehrsleistungen derzeit beihilferechtlich zugelassen wurden. Er hat die Sorge, dass die bewährte, bislang in der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 enthaltene Notifizierungsfreistellung durch neue, nicht sachgerechte Transparenz- und Überwachungspflichten der Kommission ersetzt werden könnte.