Der Bundesrat hat in seiner 822. Sitzung am 19. Mai 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt vor dem Hintergrund der positiven Grundsatzentscheidung des Europäischen Rates die geplante Einrichtung des Globalisierungsfonds zur Kenntnis.
- 2. Der Bundesrat hält jedoch die Einrichtung eines neuen Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (EGF) für nicht zielführend. Es bestehen massive Zweifel bezüglich der Zielsetzung, der Umsetzung und der Erreichbarkeit eines den finanziellen Mitteleinsatz rechtfertigenden Mehrwerts. Ein neuer Fonds würde nicht nur zusätzliche Mittel, sondern auch ein neues Regelwerk und den Aufbau einer gesonderten Bürokratie erfordern. Das Vorhaben steht damit den Bemühungen um Entbürokratisierung und Deregulierung auf europäischer Ebene diametral entgegen.
- 3. Der EGF steht auch im deutlichen Widerspruch zu den von der Kommission selbst nachdrücklich angemahnten Wirtschafts- und Arbeitsmarktreformen. Es besteht die Gefahr, dass Mitgliedstaaten belohnt werden, die notwendige strukturelle Reformen nur zögerlich oder nicht durchgeführt haben.
- 4. Der Bundesrat stellt fest, dass entgegen ursprünglicher Planungen die Finanzierung des EGF über nicht abgerufene Haushaltsmittel erfolgen soll, womit eine Schmälerung der Strukturfonds, insbesondere des Europäischen Sozialfonds (ESF), vermieden wird.
- 5. Der Bundesrat verweist auf die Begründung im Verordnungsvorschlag, dass die Zielsetzungen des EGF nicht von den einzelnen Mitgliedstaaten verwirklicht werden können, da es sich "um eine Manifestation der Solidarität unter den Mitgliedstaaten handelt". Angesichts der Tatsache, dass in den Mitgliedstaaten zur Abfederung arbeitsmarktpolitischer und sozialer Krisen ein vielfältiges arbeitsmarkt- und sozialpolitisches Instrumentarium zur Verfügung steht und die zuschussfähigen Maßnahmen nach Artikel 3 in Deutschland zum großen Teil nach dem SGB III bzw. durch den ESF förderfähig sind, hält er die Ausführungen insoweit für nicht überzeugend.
- 6. Zur Bewältigung der Anpassungsprobleme von Arbeitnehmern steht, soweit die Gemeinschaftsebene betroffen ist, mit den vorhandenen Europäischen Strukturfonds, hier speziell dem ESF, ein über längere Zeit eingeführtes und bewährtes Instrumentarium zur Verfügung. So könnten etwa dem Grunde nach wünschenswerte Umschulungsmaßnahmen bei entsprechender Änderung der Regeln auch über die Strukturfonds finanziert werden.
- 7. Der Bundesrat betont, dass das oberste Ziel der Maßnahmen, die Wiedereingliederung der betroffenen Arbeitnehmer in den 1. Arbeitsmarkt, eindeutig zum Ausdruck kommen muss. Der Einsatz von Instrumenten zur Vermeidung der Arbeitslosigkeit (SGB III) darf durch den EGF weder erschwert noch verhindert werden.
- 8. Der Fonds weckt als neue Finanzquelle neue Begehrlichkeiten und ist mit dem Erfordernis der Begrenzung des EU-Haushalts nicht zu vereinbaren.
- 9. Der Bundesrat stellt fest, dass die konkrete Ausgestaltung der Verordnung eine Reihe von Fragen aufwirft. So hat die Kommission beispielsweise äußerst komplexe technokratische Kriterien dafür ausgearbeitet, unter welchen Bedingungen Unterstützung aus dem EGF geleistet werden kann. Insbesondere ist nicht klar, wie der Nachweis gelingen soll, dass Arbeitsplatzverluste auf die Auswirkungen der Globalisierung zurückzuführen sind. Die in der Verordnung genannten Kriterien sind im Sinne eines möglichst unbürokratischen Verfahrens nicht handhabbar.
- 10. Die Inanspruchnahme des Fonds sollte jedoch mit möglichst geringem bürokratischem Aufwand verbunden sein. Der Bundesrat hält es daher für erforderlich, Artikel 2 zu überarbeiten, und zwar mit dem Ziel, eindeutige und einfache ohne großen bürokratischen Aufwand nachweisbare Förderkriterien festzulegen. Die Förderkriterien dürfen auch nicht als Belohnung für nicht durchgeführte Strukturreformen ausgestaltet werden. Die in Artikel 2 genannten Interventionskriterien sind angesichts eines Binnenmarkts mit rund 20 Millionen Unternehmen nicht eindeutig, für Deutschland nur schwer erfüllbar und nicht bzw. nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand nachweisbar. Der Zusammenhang zwischen Veränderungen im Welthandelsgefüge und konkreten Auswirkungen auf einzelne Sektoren bzw. Unternehmen und daraus folgende Entlassungen wird sich in der Praxis kaum nachvollziehen lassen. Zudem stellt sich in Artikel 2 Buchstabe a die Frage, welche Entlassungen, insbesondere in welchem Zeitraum, bei Zulieferern bzw. nachgeschalteten Herstellern, relevant sind.
- 11. Unter struktur- und beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten sind Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch den Ausbau von Forschung, Bildung, Qualifizierung und die Modernisierung der Infrastruktur vorzuziehen. Dadurch verbesserte Arbeitsplatzchancen helfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern letztlich mehr als zeitlich begrenzte Unterstützungsgelder.
- 12. Es ist nicht vermittelbar, warum nicht auch Betriebsverlagerungen innerhalb der EU erfasst werden sollen. Offenbar will die Kommission auf diese Weise vermeiden dass von der EU geförderte Betriebsverlagerungen Maßnahmen des EGF auslösen. Sie würde sich damit in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten setzen. Für die Betroffenen macht es jedoch keinen Unterschied, ob ihre Arbeitsplätze in Staaten innerhalb oder außerhalb der EU verlagert werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist kaum zu vermitteln, dass sie keine Unterstützung erhalten, wenn ihr Arbeitgeber sein Unternehmen in ein anderes EU-Land verlagert, während ein anderer Arbeitsloser Hilfe erhalten kann, weil sein Arbeitsplatz in ein Drittland verlagert wird. Ungeachtet aller Überlegungen zur Auflage des EGF sollte sichergestellt werden, dass Gemeinschaftsmittel nicht dazu eingesetzt werden, Betriebsverlagerungen innerhalb der EU zu fördern.
- 13. Die Absicht der Kommission, bei der Verteilung der Mittel zwar nicht nach "nationalen Quoten" zu verfahren, aber für eine "faire Aufteilung" der Fondsmittel unter den Mitgliedstaaten zu sorgen, deutet darauf hin, dass am Ende doch wieder der Proporz und nicht die Bedürftigkeit wichtigstes Verteilungskriterium ist und die ohnehin beschränkten Mittel nicht vollständig im Sinne der oben genannten Zielstellung eingesetzt werden.
- 14. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Beurteilung eingereichter Anträge in erster Linie durch die Kommission erfolgt, die Mitgliedstaaten jedoch für die Verwaltung der durch den Fonds unterstützen Maßnahmen und die Finanzkontrolle alleine verantwortlich sind. Dadurch entsteht eine Diskrepanz zwischen Entscheidung und Verantwortung. Diese ist geeignet, von den notwendigen nationalen Hausaufgaben im Bereich Ausgabenkonsolidierung und Strukturreformen abzulenken und zusätzliche Bürokratie zu schaffen, anstatt sie zu reduzieren.
- 15. Da es angesichts von Arbeitnehmern, die von Entlassungen betroffen sind, immer um "schnelle Hilfe" gehen muss, wird nicht ersichtlich, in welcher Form, der EGF die nationalen Soforthilfeprogramme ergänzen kann. In Deutschland hält die Bundesagentur für Arbeit ein ganzes Bündel von Soforthilfemaßnahmen für diese Fälle vor. Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern der EGF hier einen Zusatznutzen bieten kann.
- 16. Die angemessene Reaktion auf die Herausforderungen der Globalisierung einschließlich der Abfederung ihrer unerwünschten Begleiterscheinungen fällt gemäß dem Subsidiaritätsprinzip überwiegend in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten. Noch verbleibender Spielraum für europäische Maßnahmen ist ohne Mobilisierung zusätzlicher Haushaltsmittel zu nutzen.
- 17. Der Bundesrat hält eine verpflichtende Überprüfung der Verordnung bereits im Jahr 2008 für erforderlich. Denn im Hinblick auf die Neuartigkeit der Förderung und die vielfältigen noch ungeklärten Punkte ist eine frühzeitige Evaluation notwendig.