Punkt 20b) der 893. Sitzung des Bundesrates am 2. März 2012
Der Bundesrat möge beschließen, zu der Vorlage wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Bundesregierung, dass die Wirtschaft in Deutschland vor einer konjunkturellen Abkühlung steht, aus heutiger Sicht aber eine Rezession in Deutschland vermieden werden kann.
Im europäischen Vergleich, aber auch im Weltmaßstab hat sich die deutsche Wirtschaft bisher erstaunlich schnell aus der tiefen Weltfinanz- und Wirtschaftskrise erholt.
Die Grundlagen für diese positive Entwicklung haben die Sozialpartnerschaft und die grundlegenden Reformen und Flexibilisierungen der Bundesregierungen in den Jahren 1998 bis 2005 gelegt.
Zu den Stärken der deutschen Wirtschaft gehören darüber hinaus das diversifizierte Bankensystem mit leistungsstarken Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken, die starke und wettbewerbsfähige industrielle Basis und ein breit aufgestellter Mittelstand.
Der Bundesrat weist aber auch auf die Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung hin.
- 2. Die wirtschaftlichen Perspektiven Deutschlands stehen und fallen mit der konjunkturellen Entwicklung in Europa. Selbst für das Szenario, dass eine weitere Zuspitzung der aktuellen Krise ausbleibt, gehen jüngste Prognosen des Internationalen Währungsfonds für das laufende Jahr von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung im Euroraum um ein halbes Prozent aus. Das zeigt deutlich: Die Zeit des Abwartens und punktueller Lösungsansätze ist lange abgelaufen. Notwendig ist stattdessen ein mutiges Gesamtkonzept.
- 3. Der Bundesrat unterstreicht seine Überzeugung, dass ein solches Gesamtkonzept von zweierlei Erkenntnissen geleitet sein muss. Erstens erfordert eine Lösung der aktuellen Krise die dauerhafte Stabilisierung des Bankensektors. Auf letzteren bezogene Stützmaßnahmen der öffentlichen Hand im Kontext der globalen Finanzkrise der Jahre 2008/2009 haben einen erheblichen Anteil an der europäischen Staatsschuldenmisere. Eine erneute Unterstützung zu Lasten der europäischen Steuerzahler wäre weder ökonomisch noch demokratisch zu legitimieren. Umgekehrt wird die Solvenz des Bankensektors durch Abschreibungen auf Staatsschuldtitel geschwächt.
- 4. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, die striktere Regulierung des europäischen Bankensektors mit Nachdruck voranzutreiben und auf systemische Bereiche des Finanzsektors auszuweiten, die am so genannten Grauen Kapitalmarkt angesiedelt sind. Dabei ist gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass die Kreditversorgung der Realwirtschaft gewährleistet bleibt. Schließlich sollte eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden, die dazu beiträgt, die Kosten von Finanzmarktverwerfungen auf ihre Verursacher sowie den Finanzsektor insgesamt auf seine der Realwirtschaft dienende Funktion zurückzuführen.
- 5. Der Bundesrat betont zweitens, dass die aktuelle Krise im Euroraum sich bei weitem nicht auf den Bereich der Staatsverschuldung beschränkt. Es handelt sich vielmehr um eine Zahlungsbilanzkrise, in der dauerhaft nicht tragbare außenwirtschaftliche Ungleichgewichte zum Ausdruck kommen. Der Fortbestand der Währungsunion ist nur dann gesichert, wenn die Wettbewerbsfähigkeit derjenigen Mitgliedstaaten, die hohe und persistente Leistungsbilanzdefizite aufweisen, schnell und deutlich zunimmt. Um Produktivitätssteigerungen zu unterstützen, aber auch um den die wirtschaftliche Dynamik dämpfenden Effekt der Konsolidierung im privaten und öffentlichen Sektor zu kompensieren, muss letztere durch ein langfristig angelegtes Investitionsprogramm für die Krisenländer flankiert werden, dessen Umfang entschieden über die Ende Januar 2012 vereinbarte Nutzung bereits vorhandener EU-Strukturfonds hinausgeht. Es stärkt nicht nur die wirtschaftliche Basis, sondern bildet auch die Grundlage für künftig solide Staatsfinanzen. Deutschland muss aber auch einen aktiven Beitrag zur Reduzierung der europäischen Leistungsbilanzungleichgewichte durch eine Erhöhung der Binnennachfrage erbringen. Nach einer langen Periode der sehr verhaltenen Lohnentwicklung würde die durch eine expansivere deutsche Lohnpolitik erzielte höhere Binnennachfrage zu einem Abbau der Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen und somit zu einem stabileren Euroraum beitragen können.
- 6. Der Bundesrat stellt fest, dass sich für Deutschland selbst angesichts historisch günstiger Refinanzierungsmöglichkeiten die Chance bietet, über den unmittelbaren konjunkturellen Horizont hinaus auch mit Blick auf die Stärkung des Wirtschaftsstandortes innerhalb des durch die Schuldenbremse gesetzten Rahmens ein über mehrere Jahre angelegtes Programm für Investitionen in den Schlüsselbereichen Bildung und Forschung sowie in die Telekommunikations- und Verkehrsinfrastruktur zu realisieren. Mit einem solchen Investitionsprogramm könnten zudem wichtige Impulse für die Stärkung der Binnennachfrage und für den notwendigen nachhaltigen Umbau des Wirtschaftssystems gesetzt werden, um so Wachstumschancen für die deutsche Wirtschaft zu sichern.
- 7. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die im Sommer 2011 beschlossene Energiewende stringent und zeitnah umzusetzen. Die bisher erreichten Fortschritte sind nach seiner Auffassung unzureichend. Notwendig sind insbesondere umfangreiche Investitionen in die erneuerbaren Energien, ein effizientes Stromübertragungsnetz, Stromspeicher und hochmoderne flexible fossile Erzeugungskapazitäten, die ohne weitere zeitliche Verzögerung auf den Weg gebracht werden müssen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, hierzu unter Beteiligung der Länder einen Masterplan Energie zu entwickeln.
- 8. Die Umsetzung der Energiewende ist ein langfristiger Prozess, der sich über viele Jahre erstrecken wird.
Zu seiner Steuerung bedarf es eines umfassenden und dauerhaften Monitorings. Es muss den jeweiligen Grad der Zielerreichung messen, aber auch mögliche Fehlentwicklungen erkennen; nur dann können Abweichungen vom Zielpfad rechtzeitig durch politische Entscheidungen korrigiert werden.
Bei dem von der Bundesregierung beschlossenen Monitoring-Prozess "Energie der Zukunft" vermisst der Bundesrat neben einer inhaltlichen Konkretisierung vor allem die notwendige Beteiligung der Länder. Denn für ein zielführendes Monitoring ist es zwingend erforderlich, das Wissen von Bund und Ländern zu bündeln und die notwendigen Parameter gemeinsam zu erarbeiten. Der aktive Einbezug der Kompetenz und der spezifischen Erfahrungen der Länder ist schon jetzt bei der Modellierung des Monitorings unerlässlich.