Der Bundesrat hat durch seine Europakammer in deren 10. Sitzung am 19. Juli 1012 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass das Königreich Spanien Finanzhilfen der EFSF/des ESM zur Stützung seines Bankensektors erhalten soll.
- 2. Er hat am 29. Juni 2012 dem permanenten Rettungsschirm und dem Fiskalpakt in der Erwartung zugestimmt, dass die vereinbarten Grundsätze für Finanzhilfen im Einzelfall auch zum Tragen kommen. Dies gilt ebenfalls für Finanzhilfen der EFSF.
- 3. Der Bundesrat nimmt die mit der Währungs- und Finanzkrise verbundenen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst. Auch deshalb sind ein breiter parlamentarischer Diskurs, eine parlamentarische Kontrolle und die Herstellung von Transparenz notwendig, um die Hilfsmaßnahmen den Bürgerinnen und Bürgern näherzubringen.
- 4. Aus Sicht des Bundesrates stellen auch Finanzhilfen der EFSF EU-Vorhaben im Sinne von Artikel 23 des Grundgesetzes dar. Die Information durch die Bundesregierung ist insoweit umfassend, fortlaufend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt erforderlich, damit auch der Bundesrat sein Recht auf Stellungnahme effektiv wahrnehmen kann. Die Bundesregierung hat den Bundesrat bei der geplanten Gewährung von Finanzhilfen an Spanien entsprechend der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern unterrichtet.
- 5. Der Bundesrat nimmt mit der vorliegenden Stellungnahme seine Verantwortung im Hinblick auf die Gewährung erheblicher Finanzmittel im Rahmen der EFSF wahr. Er hat bereits mit den Stellungnahmen vom 8. Juli 2011 (BR-Drucksache 369/11(B) ) und vom 23. September 2011 (BR-Drucksache 369/11(B) (2)) darauf hingewiesen, dass er eine Mitverantwortung nach Artikel 110 des Grundgesetzes bei der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes, nach Artikel 114 des Grundgesetzes bei der Kontrolle des Haushaltsvollzuges und nach Artikel 115 des Grundgesetzes bei der Übernahme von Gewährleistungen des Bundes trägt. Auch in Zukunft wird der Bundesrat diese Verantwortung umfassend wahrnehmen.
- 6. Er nimmt zur Kenntnis, dass mit dem Maßnahmepaket für das Königreich Spanien erstmals Finanzhilfen aus der EFSF nur zur Rettung eines Wirtschaftssektors gewährt werden. Er weist darauf hin, dass auch in diesem Fall die Prinzipien der EFSF, insbesondere die Grundsätze der Ultima Ratio und Konditionalität, Anwendung finden müssen. Der Bundesrat geht davon aus, dass bei den spanischen Banken ein kurzfristiger Rekapitalisierungsbedarf besteht.
- 7. Der Bundesrat erinnert daran, dass Finanzhilfen nach gegenwärtiger Rechtslage nur an Mitgliedstaaten und zudem nur gegen eine entsprechende Konditionalität gegeben werden dürfen, welche die notwendigen Anpassungs- und Reformprogramme und für Darlehen zur Rekapitalisierung von Finanzinstituten auch spezifische Vorgaben zur Restrukturierung des Bankensektors beinhaltet. Darüber hinaus ist in geeigneter Form der IWF einzubeziehen. Der Bundesrat erkennt die Bemühungen zur Restrukturierung der betroffenen Banken an, die in den vorliegenden Restrukturierungsplänen zum Ausdruck kommen.< /li>
- 8. Der Bundesrat betont, dass die Sicherung der Funktionsfähigkeit des spanischen Finanzsektors und die Konsolidierung des Staatshaushalts unter anderem mit weiteren Strukturreformen Hand in Hand gehen müssen. Der Bundesrat erkennt an, dass Spanien intensive Bemühungen zur Steigerung seiner Wettbewerbsfähigkeit und zur Einhaltung der Vorgaben des laufenden Defizitverfahrens unternimmt, auch mit dem Ziel, tragfähige öffentliche Finanzen zu schaffen. Tragfähige öffentliche Finanzen wiederum sind die Voraussetzung dafür, dass die Stabilitätshilfen auch zurückgezahlt werden können.
- 9. Er betont weiter, dass die notwendigen Strukturreformen mit einer nachhaltigen Strategie zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung einhergehen müssen. Ohne ein begleitendes Wachstumsprogramm lässt sich die Währungs- und Finanzkrise nicht überwinden. Insbesondere die hohe Arbeitslosigkeit, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit, in Spanien muss effektiv bekämpft werden. Der Bundesrat begrüßt daher ausdrücklich die auf dem Europäischen Rat am 28./29. Juni 2012 erfolgte Einigung auf einen EU-Wachstumspakt. Insbesondere die Erhöhung des Eigenkapitals der Europäischen Investitionsbank und die Umschichtung bereits vorhandener Strukturmittel sind wichtige Bausteine zur Förderung europäischen Wachstums. Der Bundesrat erwartet nunmehr, dass die beschlossenen Maßnahmen effektiv und nachhaltig umgesetzt werden.
- 10. Aus Sicht des Bundesrates müssen in Schwierigkeiten geratene Banken nach gegenwärtiger Rechtslage zunächst eigene Anstrengungen zur Rekapitalisierung und Restrukturierung unternehmen. Wenn dies keinen Erfolg hat, müssen die betreffenden Staaten Unterstützungen an ihre Banken leisten. Erst wenn dies nicht mehr möglich ist, kann eine konditionierte Hilfe der EFSF an den betreffenden Staat erfolgen. Dieser Staat ist sodann auch für die Umsetzung der vereinbarten Reformschritte verantwortlich und im Falle eines Fehlschlages der Reformen haftbar. Der Bundesrat stellt fest, dass die geplanten EU-Hilfen keine direkten Bankenhilfen sind, und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass EFSF und ESM nach gegenwärtiger Rechtslage weder direkt noch indirekt zur Übernahme von Verlustrisiken der Banken herangezogen werden dürfen.
- 11. Aus Sicht des Bundesrates ist eine Bankenhilfe nur dann begründbar, wenn eine Bank an sich noch restrukturierungsfähig ist und die Tragfähigkeit des Geschäftsmodells durch die Kommission im Rahmen der beihilferechtlichen Genehmigung bestätigt wird. Das "Memorandum of Understanding" ist insoweit zu begrüßen, als die betroffenen Banken in konkrete Kategorien eingeordnet werden sollen. Nach Vorliegen der Ergebnisse der Bankenstresstests müssen die notwendigen Anpassungsprozesse erfolgen. Der Bundesrat begrüßt, dass als Folge der Stresstests alle Optionen einschließlich einer geordneten Abwicklung einer Bank enthalten sind. Der Bundesrat begrüßt, dass der Rechtsrahmen für die Abwicklung von Banken in Spanien weiter verbessert werden soll. Die dazu vorgesehene Berücksichtigung des aufsichtsrechtlichen Vorschlags der EU zum Thema Krisenmanagement und Bankenabwicklung sowie Klarstellung der finanziellen Aufgaben des spanischen Einlagensicherungsfonds darf allerdings nicht als Vorgriff auf die weitere Diskussion um diesen Vorschlag und den Rechtsetzungsvorschlag, den die Kommission möglichst zügig vorlegen soll, verstanden werden.
- 12. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass das Ziel des Abbaus des übermäßigen Defizits in Spanien bis zum Jahr 2014 eingehalten werden muss. Außerdem müssen die für den Bankensektor vorgesehenen Reformen zwingend durchgeführt werden. In jedem Fall ist sicherzustellen, dass eine Minimierung der Kosten für die Steuerzahler durch eine angemessene Beteiligung der Anteilseigner und Gläubiger der Hilfe empfangenden Banken sichergestellt wird.
- 13. Der Bundesrat weist darauf hin, dass der bevorrechtigte Gläubigerstatus des ESM auch zukünftig erhalten bleiben muss. Die vorgesehene Überführung der spanischen Finanzhilfen auf den ESM soll gemäß dem "Memorandum of Understanding" erfolgen, ohne den im ESM vorgesehenen bevorrechtigten Gläubigerstatus zu berücksichtigen. Der Bundesrat geht davon aus, dass dies allein deshalb erfolgt, weil die Hilfen zunächst aus der EFSF erfolgen, die keinen bevorrechtigten Gläubigerstatus kennt.
- 14. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die noch in Art und Höhe zu konkretisierenden Bestimmungen des Hilfspakets noch weiter ausgefüllt werden müssen. Der Bundesrat wird hierzu gegebenenfalls erneut Stellung nehmen.