Bundesministerium für Verkehr, Berlin, den 27. September 2005
Bau- und Wohnungswesen
Parlamentarische Staatssekretärin
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Matthias Platzeck
Sehr geehrter Herr Präsident,
bezugnehmend auf die o. a. Entschließung des Bundesrates *) übersende ich Ihnen die Stellungnahme der Bundesregierung.
Mit freundlichen Grüßen
Angelika Mertens
Stellungnahme der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates zur Überprüfung der Grenzen des zulässigen Alkoholgenusses in der Schifffahrt
Vorbemerkung
Die Bundesregierung sieht die Notwendigkeit, die gesetzlichen Regelungen hinsichtlich des Alkoholgenusses im Schiffsverkehr zu verbessern. Unter Alkoholeinfluss stehende Schiffsführer und Offiziere stellen eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Seeverkehrs dar. Der Unfall des Tankmotorschiffes ENA ll im Hamburger Hafen, mit einer beim Kapitän festgestellten Blutalkoholkonzentration von 2,1 Promille und die durch nautisches Fehlverhalten des stark alkoholisierten Steuermanns verursachte Kollision des Frachters KAREN DANIELSEN mit der Brücke über den Großen Belt zeigen, dass die von Schiffen ausgehenden potenziellen Gefahren für die Menschen und die maritime Umwelt erheblich sind und dem Alkoholmissbrauch am Ruder konsequent begegnet werden muss.
Die Bundesregierung hat die oben genannten Vorfälle zum Anlass genommen, ein neues Sanktions- und Präventionskonzept gegenüber ungeeigneten Schiffsführern zu entwickeln und schrittweise umzusetzen. Die 12. Verordnung zur Änderung seeverkehrsrechtlicher Vorschriften, die von Herrn Bundesminister Dr. Stolpe am 6. August 2005 erlassen wurde, setzt die Eckpunkte eines Bundestagsbeschlusses (Bundestagsdrucksache 15/5514) zügig und umfassend um. Aus dem Bundestagsbeschluss sind besonders hervorzuheben:
- - die Absenkung der allgemeinen Promillegrenze in der Seeschifffahrt auf 0,5 Promille,
- - die Einbeziehung aller Besatzungsmitglieder während des Wachdienstes, - ein absolutes Alkoholverbot für das Schiffsführungspersonal von bestimmten Gefahrguttransporten auf See.
Darüber hinaus werden auch Schiffsführer und das im Brückendienst eingesetzte Personal auf Fahrgastschiffen im Interesse des Verbraucherschutzes und einer verantwortungsvollen Ordnungspolitik im Verkehr in diese Regelung einbezogen.
Zu Punkt 1:
Im Interesse der Sicherheit und der Leichtigkeit des Seeverkehrs ist die Bundesregierung der Auffassung, dass angesichts der zunehmenden Verkehrsdichte, der stetig steigenden Ladekapazitäten sowie des geänderten Arbeitsprofils der Schiffsführung und des Brückenpersonals eine Absenkung der zulässigen Alkoholgrenze von 0,8 Promille auf 0,5 Promille erforderlich ist.
Durch die in der 12. Verordnung zur Änderung seeverkehrsrechtlicher Vorschriften vorgenommene Änderung der Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung und zweier ergänzender Verkehrsverordnungen wird mit Wirkung vom 15. August 2005 die allgemeine Promillegrenze in der Seeschifffahrt von 0,8 auf 0,5 Promille gesenkt und damit an die Grenzwerte in der Binnenschifffahrt angeglichen. Sie gilt auf allen deutschen Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung für die deutsche und ausländische Berufs- und Sportschifffahrt sowie weltweit für deutsche Schiffe. Durch die Neuregelung werden nicht nur wie bisher Kapitän und Steuermann erfasst, sondern die gesamte Besatzung während des Wachdienstes.
Zu den Punkten 2 und 3:
Die 12. Verordnung zur Änderung seeverkehrsrechtlicher Vorschriften ändert die Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung auch dahingehend, dass die Schiffsführer und das im Brückenwachdienst eingesetzte Personal auf Gefahrguttransportern und auf Fahrgastschiffen in der Dienstzeit während der Fahrt alkoholische Getränke nicht zu sich nehmen oder bei Dienstantritt nicht unter der Wirkung solcher Getränke stehen dürfen.
Der Forderung von einigen Tank- und Fahrgastschiffsunternehmen, das gesamte Schiffspersonal auf "Risikoschiffen" einem Alkoholverbot zu unterwerfen, wurde aus Gründen mangelnder Verhältnismäßigkeit nicht gefolgt. Es wäre auf der anderen Seite aus Sicherheitsgründen nicht sachgerecht, das Schiffsführungspersonal von Gefahrgutschiffen und von Fahrgastschiffen von einem Alkoholverbot auszunehmen.
Das Verkehrsrecht der Schifffahrt stellt mit seinen sehr detaillierten Verhaltensvorschriften hohe Anforderungen an die individuelle Reaktionsfähigkeit des Schiffspersonals gerade von "Risikoschiffen". Insbesondere Schiffsführer und Rudergänger von Fahrgastschiffen, die oft mehrere tausend Passagiere an Bord haben, können ihrer besonderen Verantwortung - ebenso wie zum Beispiel Flugkapitäne und Zugführer - nur in "nüchternem" Zustand gerecht werden.
Zu Punkt 4:
Die Bundesregierung teilt die Auffassung, dass Fahrverbote als Nebenfolge alkoholbedingter Ordnungswidrigkeiten eine angemessene Sanktion darstellen können. Die Bundesregierung prüft, welche gesetzgeberischen Maßnahmen für die Verhängung von Fahrverboten als Nebenfolge alkoholbedingter Ordnungswidrigkeiten erforderlich sind. Dabei berücksichtigt sie, dass es sich hierbei um einen gravierenden staatlichen Eingriff in die individuelle Handlungsfreiheit handelt, der nur zur Gewährleistung der Sicherheit des Verkehrs und zur Verhinderung von Personen-, Vermögens- und Umweltschäden gerechtfertigt werden kann.
Zu den Punkten 5 und 6:
Die strafrechtlichen Grundlagen für die Entziehung der Fahrerlaubnis ( § 69 Strafgesetzbuch (StGB) und § 1l la Strafprozeßordnung (StPO)) und des Fahrverbots (§ 44 StGB) wurden speziell für den Bereich des Straßenverkehrs geschaffen und sind nicht ohne weiteres auf den Schiffsverkehr übertragbar. Die im Strafgesetzbuch enthaltene Vorschrift über die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) bezweckt speziell den Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs und ist ebenso wie das Fahrverbot nach § 44 StGB eine typisch auf den Kraftfahrzeugführer und auf die Bedingungen des Straßenverkehrs zugeschnittene Sanktion.
Die Bedingungen der Schifffahrt sind mit denen des Straßenverkehrs jedoch nicht in allen Bereichen vergleichbar. Das gilt zum einen bereits für Geschwindigkeit und Manövrierbarkeit des Fahrzeugs. Zum anderen besteht bei der Führung eines Schiffes anders als beim Führen eines Autos Funktionsteilung. Darüber hinaus dient ein Schiff den Besatzungsmitgliedern in der Regel nicht nur als Betriebs- sondern auch als Wohnstätte und stellt damit zumindest zeitweise den Mittelpunkt ihres persönlichen Lebens dar. Vor allem aber werden das Schifferpatent und der Befähigungsnachweis nicht wie die Fahrerlaubnis im Straßenverkehr allein aufgrund einer Fahrprüfung, sondern erst nach einer längeren beruflichen Aus- und Weiterbildung erteilt. Die Entziehung des Befähigungsnachweises oder des Schiffspatents würde daher einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der Betroffenen darstellen und käme im
Ergebnis einem Berufsverbot gleich. Vor diesem Hintergrund prüft die Bundesregierung, ob wegen der genannten berufsspezifischen Besonderheiten die Entziehung von Schiffspatent und Befähigungsnachweis nautischen Experten vorbehalten und im Verwaltungsrechtswege erfolgen sollte.
Das Fahrverbot nach § 44 StGB ist eine "Denkzettelmaßnahme" für Kraftfahrer bei Verstößen im Straßenverkehr, die nicht zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen. Es soll dem Kraftfahrer vor Augen führen, wie es ist, vorübergehend ohne Fahrerlaubnis zu sein, und damit weitere Verkehrsverstöße und eine zukünftige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB verhindern. Vor diesem Hintergrund lässt eine Zuwiderhandlung im Schiffsbereich nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass der Betroffene sich zukünftig auch im Straßenverkehr regelwidrig verhalten wird.
Auf der Grundlage der Entscheidung des Großen Senates für Strafsachen des Bundesgerichtshofes vom 27. April 2005 - GSSt 002/04 (PDF) -, in der festgestellt wird, dass § 69 StGB allein dem Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs dient und Straftaten allgemeiner Kriminalität nicht als Anlasstaten für die Entziehung der Fahrerlaubnis dienen können, wird die Bundesregierung jedoch prüfen, ob ein auch auf andere Deliktsbereiche anwendbares (allgemeines) Fahrverbot geschaffen werden kann.
Zu Punkt 7:
Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Zuwiderhandlungen im Schiffsverkehr sind, im Unterschied zu denen im Straßenverkehr, keine massenhaft vorkommenden Ereignisse. Die Zahl der zuständigen Verwaltungsbehörden beträgt sieben und ist damit überschaubar. Aus diesem Grund ist die Schaffung eines Zentralregisters aus Sicht der Bundesregierung nicht erforderlich.
Die Führung eines Punktesystems müsste mit gesetzlich geregelten Folgen verbunden sein, so dass insoweit die Ermessensausübung der Verwaltungsbehörden ausgeschlossen wäre. Dies wäre aber im Wege der nationalen Gesetzgebung zumindest nach den internationalen Vorschriften der Rheinschifffahrt nicht zulässig, weil die Regelungsbefugnis insoweit allein der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt obliegt, deren Beschlüsse in nationales Recht umzusetzen sind. 80 Prozent der deutschen Binnenschifffahrt wird auf dem Rhein abgewickelt. Die Einführung außerhalb des Rheins führte zu einem Zwei-Klassen-System und wäre daher bedenklich.
Darüber hinaus können die in der (Binnen-) Schifffahrt begangenen Ordnungswidrigkeiten nach Zahl und Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf die Rheinschifffahrt, weitergehende schifffahrtspolizeiliche und präventive Maßnahmen nicht begründen. Es ist jedoch festzuhalten, dass es gelungen ist, unter deutschem Vorsitz in der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und der Moselkommission einen gemeinsamen und einheitlichen Bußgeldkatalog zu entwickeln.
Zu Punkt 8:
Die Bundesregierung hält in der Binnenschifffahrt einen einheitlichen Grenzwert von 0,5 Promille für sachgerecht. Tatsachen, aus der die Diskussion in der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt über die Absenkung des Alkoholgrenzwertes unter 0,5 Promille mit tragfähigen Argumenten abgeleitet werden könnte, sind ihr nicht bekannt. Allerdings wird sich die Bundesregierung auch weiter bemühen, in der Moselkommission diesen Grenzwert durchzusetzen. In der Moselkommission war - wie zunächst in der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und der übrigen Binnenschifffahrt - einstimmig die Einführung des Grenzwertes von 0,8 beschlossen worden. Die Absenkung auf 0,5 war am Widerstand Luxemburgs gescheitert.