A. Problem und Ziel
- Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 war der erste Aufstand im kommunistischen Machtbereich nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Initiatoren und Teilnehmer haben Mut und Zivilcourage auch unter den schwierigen Bedingungen einer Diktatur bewiesen.
- In über 700 Städten und Gemeinden der ehemaligen DDR kam es zu Demonstrationen und Streiks. Nach der Verhängung des Ausnahmezustandes in weiten Bereichen des Landes wurde der Volksaufstand unter Einsatz von Waffengewalt blutig niedergeschlagen. Es folgten 18 standrechtliche Erschießungen. Weitere Menschen kamen unter zum Teil ungeklärten Umständen zu Tode. Tausende Personen wurden festgenommen und viele davon später zum Teil zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
- Gestützt auf Artikel 17 des Einigungsvertrages hat der gesamtdeutsche Gesetzgeber im Rahmen des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes gesetzliche Grundlagen dafür geschaffen, dass strafrechtliche Entscheidungen eines staatlichen deutschen Gerichtes im Beitrittsgebiet auf Antrag für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben werden können. Damit verbunden ist ein Netz sozialer Ausgleichsleistungen gemäß §§ 16 ff. StrRehaG.
- Durch das Zweite Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vom 17. Dezember 1999 wurde einem großen Teil der Hinterbliebenen der ehemaligen politischen Häftlinge, insbesondere aber den nächsten Angehörigen der unmittelbaren Todesopfer des "17. Juni 1953", die Möglichkeit eröffnet, Leistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Anspruch zu nehmen (§ 18 Abs. 3 StrRehaG).
- Auch den Angehörigen von Personen, die aus dem Beitrittsgebiet fliehen wollten und infolge von Maßnahmen zur Verhinderung ihrer Flucht ihr Leben verloren haben, wurde das Recht auf Unterstützungsleistung eingeräumt (§ 18 Abs. 4 StrRehaG).
- Die bisherigen gesetzlichen Regelungen sehen jedoch keine finanziellen Unterstützungsleistungen für die nächsten Angehörigen von Todesopfern vor, die aufgrund des Ausnahmezustandes nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 zu beklagen waren. Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen sollen durch solche Maßnahmen 55 Menschen ums Leben gekommen sein. Es handelt sich hierbei um Menschen, die auf der Straße erschossen, angeschossen und im Krankenhaus an den Folgen verstarben, oder in der Untersuchungshaft oder auf dem Gefangenentransport unter ungeklärten Umständen zu Tode kamen. Die Hinterbliebenen dieser Opfer mussten nicht nur den Tod ihres Angehörigen überwinden, sondern zusätzlich in der ehemaligen DDR gegen soziale Benachteiligungen kämpfen.
- Ziel dieses vorliegenden Gesetzesantrages ist die Gleichstellung des betroffenen Personenkreises mit den Hinterbliebenen der anlässlich des Volksaufstandes hingerichteten Personen und den Hinterbliebenen der Personen, die an der innerdeutschen Grenze ums Leben kamen.
B. Lösung
- Durch eine entsprechende Ergänzung des § 18 StrRehaG wird dem oben beschriebenen Personenkreis der Anspruch auf eine finanzielle Unterstützungsleistung eingeräumt.
C. Alternativen
- Es bleibt der bisherige Rechtszustand erhalten.
D. Kosten der öffentlichen Haushalte
- Die Richtlinien für die Gewährung von Unterstützungsleistungen nach § 18 StrRehaG sehen eine finanzielle Unterstützung im Einzelfall von bis zu 4.050 € vor. Bei Ehegatten eines Getöteten kann in Härtefällen eine einmalige zusätzliche Unterstützungsleistung bis zu 4.050 € gewährt werden.
- Es kann nicht abschließend festgestellt werden, wie viele Angehörige der Todesopfer von damals noch leben und einen entsprechenden Anspruch geltend machen.
E. Sonstige Kosten
- Keine.
Gesetzesantrag des Landes Sachsen-Anhalt
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
Der Ministerpräsident Magdeburg, den 9. März 2005
des Landes Sachsen-Anhalt
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Matthias Platzeck
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Sachsen-Anhalt hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten
- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag gemäß Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes zu beschließen.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 809. Sitzung am 18. März 2005 zu setzen und nach Vorstellung im Plenum den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen. Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Wolfgang Böhmer
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
§ 1
Das Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2664), zuletzt geändert durch das Zweite Gesetz zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften vom 22.Dezember 2003 (BGBl. I S. 2834), wird wie folgt geändert:
Nach § 18 Abs. 4 wird folgender Absatz 5 angefügt:
- "Absatz 3 gilt entsprechend für die nächsten Angehörigen von Personen, die im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Unterdrückung des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 ihr Leben verloren haben."
§ 2
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
Neben den im Zusammenhang mit den Vorkommnissen des 17. Juni 1953 verurteilten und standrechtlich erschossenen Personen gibt es eine begrenzte Anzahl von Menschen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den Geschehnissen auf unterschiedlichste Weise zu Tode gekommen sind. Es handelt sich hierbei z.B. um Personen, die bei den Demonstrationen auf der Straße erschossen wurden, angeschossen wurden und später an den Schussverletzungen starben, aber z.B. auch um Personen, die in Gewahrsam genommen wurden und aus bislang ungeklärter Ursache im Gefängnis oder während des Gefangenentransportes zu Tode kamen. Den nächsten Angehörigen dieser Opfer steht bislang kein Anspruch auf Unterstützungsleistungen gemäß § 18 StrRehaG zu.
Den Hinterbliebenen der standrechtlich Erschossenen wurde durch § 18 Abs. 3 StrRehaG und den Hinterbliebenen der Opfer der innerdeutschen Grenze durch § 18 Abs. 4 StrRehaG ein Anspruch auf Unterstützungsleistung gewährt. Der diesen Personenkreisen zustehende Anspruch soll nunmehr auch den Hinterbliebenen der Opfer des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 eingeräumt werden.
B. Besonderer Teil
Zu § 1
(Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes)
Soweit die Ausschlussgründe des § 16 Abs. 2 StrRehaG nicht eingreifen, wird den nächsten Angehörigen i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG ( Ehegatten, Kinder und Eltern ) der Verstorbenen ein Rechtsanspruch auf Unterstützungsleistungen eingeräumt. Der Tod der nächsten Angehörigen muss in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den staatlichen Maßnahmen stehen, die zur Unterdrückung des Volksaufstandes ergriffen wurden. Die auf Seiten des DDR-Regimes und der Besatzungsmacht zu beklagenden Opfer waren Teil der staatlichen Maßnahmen gegen den Aufstand und sind nicht anspruchsberechtigt.
Zahlungen nach dem Bundesversorgungsgesetz werden angerechnet.
Zu § 2
(In-Kraft-Treten)
§ 1 tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.