942. Sitzung des Bundesrates am 26. Februar 2016
A
Der federführende Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
Zum Gesetzentwurf insgesamt
- 1.
- a) Der Bundesrat erkennt die Verbesserungen in der Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts an. Besonders die Klarstellung zur Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen im Sinne der UNBehindertenrechtskonvention, die Einrichtung einer Schlichtungsstelle als niedrigschwellige Möglichkeit vor Verbandsklagen und die Errichtung einer Bundesfachstelle für Barrierefreiheit sind positive Ergänzungen im Behindertengleichstellungsrecht. Die Berücksichtigung Leichter Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten (Menschen mit geistiger Behinderung) und die Verpflichtung zur Umsetzung von Barrierefreiheit bei bestehenden Gebäuden des Bundes sind sachgerechte Regelungen, die Lücken im Bundesbehindertengleichstellungsgesetz schließen können.
- b) Der Bundesrat sieht die Notwendigkeit, die Verbesserung zur Barrierefreiheit auch für den Bereich öffentlich zugänglicher Angebote und Dienstleistungen von privatwirtschaftlichen Anbietern zu erweitern, um die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen und von älteren Menschen zu verbessern. Der Bundesrat hält es für sinnvoll, die Regelungen zu angemessenen Vorkehrungen, zur Schlichtungsstelle und zur Verbandsklage mit dem Zivilrecht zu verzahnen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz entsprechend zu ergänzen.
- 2. [c) Der Bundesrat spricht sich für verbindliche Fristen und Maßnahmenpläne aus, um die schrittweise Umsetzung von Barrierefreiheit bei bereits bestehenden Gebäuden des Bundes zu erreichen.]
- d) Zur Gleichstellung bei der Teilhabe am Arbeitsleben von und für Menschen mit Behinderungen gehört die barrierefreie Erreichbarkeit und Nutzung von Gebäuden und Räumen mit Arbeitsplätzen. Der Bundesrat sieht die Notwendigkeit, bei den investiven Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit auch den Bereich der Arbeitsplätze einzubeziehen, abhängig von der Nutzung und Funktion des Gebäudes.
Begründung:
Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts bringt wichtige Ergänzungen zum Bundesbehindertengleichstellungsgesetz aus dem Jahr 2002. Seit dieser Zeit ist die Entwicklung der Barrierefreiheit vorangekommen, allerdings sind neue Handlungsbedarfe, beispielsweise für die barrierefreie Kommunikation für Menschen mit Lernschwierigkeiten (Menschen mit geistiger Behinderung) und Hemmnisse bei der Umsetzung von Barrierefreiheit deutlich geworden. Die seit dem 26. März 2009 für Deutschland gültige UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist Grundlage und Verpflichtung, das Behindertengleichstellungsrecht weiter zu entwickeln.
Weiterer Handlungsbedarf besteht bei der Verpflichtung zum barrierefreien Zugang für den Bereich öffentlich zugänglicher Angebote von privatwirtschaftlichen Anbietern. Nicht barrierefreie Webseiten, Stufen vor Einkaufsläden und Arztpraxen oder fehlende Untertitel bei Fernsehsendungen privater Rundfunkanstalten sind nur einige Situationen, welche die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderungen und für ältere Menschen bestimmen. Diese Barrieren bei öffentlich nutzbaren Angeboten und Dienstleistungen des Privatsektors werden in anderen Ländern wie Österreich, Frankreich und den USA schon seit Jahren und Jahrzehnten mit gesetzlichen Regelungen wirksam abgebaut (Americans with Disabilities Act von 1990, Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz Österreich von 2006, Gleichstellungsgesetz Frankreich - Gesetz 205-102 vom 11. Februar 2005).
Die Zielvereinbarungen nach dem Bundesbehindertengleichstellungsgesetz als Instrument der Verbände von Menschen mit Behinderungen mit Wirtschaftsunternehmen, Regelungen zur Umsetzung von Barrierefreiheit umzusetzen, waren nicht ausreichend, um flächendeckend Barrierefreiheit bei den öffentlich nutzbaren Angeboten von privaten Firmen und Unternehmen herzustellen. Seit 2002 wurden lediglich 36 Zielvereinbarungen bundesweit abgeschlossen. Deshalb erscheint es sinnvoll, als Ergänzung zum Instrument der Zielvereinbarung im Zivilrecht die Verpflichtung zur Barrierefreiheit zu verbessern und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in den aktuellen Entwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts einzubeziehen. Das entspricht den Empfehlungen der Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes (Prof. Dr. Welti, Kassel, 2014) und der Empfehlung des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, "gezielte, wirksame Maßnahmen einzuführen, wie etwa zwingende Auflagen, Überwachungsmechanismen und wirksame Sanktionen bei Verstoß, um die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen in allen Sektoren und Lebensbereichen, einschließlich des Privatsektors, auszuweiten" (Abschließende Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands vom 17. April 2015).
Zu Ziffer 2
[Während bei Neu- und Umbauten die anerkannten Regeln der Technik zur barrierefreien Gestaltung anzuwenden sind, gibt es für bestehende Gebäude teilweise erheblichen Nachholbedarf bei der Umsetzung von Barrierefreiheit. Verbindliche Maßnahmenpläne mit Fristen und Zeitangaben könnten zum Abbau von Barrieren beitragen. Die im Gesetzentwurf beabsichtigte Erstellung von Berichten für Gebäus Bundes bis zum Jahr 2021, die lediglich den Stand der Barrierefreiheit bestehender Gebäude dokumentieren, erscheint dagegen wenig wirkungsvoll.
In den Bereichen der barrierefreien Kommunikation wird in der BarrierefreieInformationstechnik-Verordnung (BITV) oder für den barrierefreien öffentlichen Personennahverkehr im Personenbeförderungsgesetz bereits mit Fristen zur Umsetzung von Barrierefreiheit gearbeitet. Entsprechend erscheinen Fristen auch für die barrierefreie Umgestaltung baulicher Anlagen sinnvoll.]
Nicht nur die dem Publikumsverkehr dienenden Teile der Gebäude, sondern auch die Bereiche der Arbeitsplätze sollten in die Verpflichtung zur Barrierefreiheit bei baulichen Maßnahmen und Investitionen einbezogen werden. Diese Regelungen gibt es bereits im Baurecht einzelner Länder (Berlin, Rheinland-Pfalz) und sollten auch bundesweit Standard werden. Wo immer möglich und sinnvoll sind auch Gebäudeteile mit Arbeitsplätzen barrierefrei zu gestalten, um die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen.
B
- 3. Der Ausschuss für Frauen und Jugend, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten, der Rechtsausschuss und der Ausschuss Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.