Der Bundesrat hat in seiner 8 74. Sitzung am 24. September 20 10 gemäß § § 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Die Reformbemühungen der Kommission zur Entbürokratisierung der Verfahren zur Bewirtschaftung der EU-Haushaltsmittel werden zur Kenntnis genommen.
- 2. Er begrüßt jedoch den Vorschlag der Kommission, den Abzug und die Einziehung von Zinsen aus Vorfinanzierungsbeträgen für Finanzhilfen abzuschaffen, die Übertragung zweckgebundener Einnahmen flexibler zu gestalten und die Verwaltungslasten bei Finanzhilfen zu verringern.
- 3. Der Bundesrat sieht dagegen keine Notwendigkeit, der Kommission eine größere Flexibilität bei Mittelübertragungen einzuräumen. Die bereits vorhandene Flexibilität hat sich als ausreichend erwiesen. Der Stabilität der Haushaltsplanung sollte der Vorrang eingeräumt werden.
- 4. Der Bundesrat erkennt an, dass es einzelne Politikbereiche gibt, die aufgrund einer komplizierten Rechtslage fehleranfälliger sind als andere. Eine eigene Grenze für das tolerierbare Fehlerrisiko dieser Politikbereiche kann sinnvoll sein.
Der Bundesrat erkennt die vorgesehene Aufnahme des tolerierbaren Fehlerrisikos für bestimmte Bereiche auch oberhalb der Wesentlichkeitsschwelle als Vereinfachung in einzelnen Politikbereichen an.
Die Fehlerquote sollte jedoch vorzugsweise durch eine Vereinfachung der Verwaltungs- und Kontrollvorschriften gesenkt werden.
- 5. Die Verknüpfung des tolerierbaren Fehlerrisikos mit der Darlegung der Kontrollkosten (Artikel 28b Absatz 2) wird vom Bundesrat abgelehnt, weil die Wirksamkeit der Verwaltungs- und Kontrollsysteme nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Kontrollkosten steht. Die Kontrollkosten hängen im Wesentlichen von den Vorgaben der Kommission an die Systeme (z.B. Höhe der Kontrollquoten, interne Kontrollsysteme, externe Kontrollsysteme, Fördervoraussetzungen) ab.
- 6. Der Bundesrat fordert, dass die Festlegung des tolerierbaren Fehlerrisikos (Artikel 28b Absatz 3) im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten erfolgt.
- 7. Die Bundesregierung wird gebeten darauf hinzuwirken, dass in die EU-Haushaltsordnung eine Regelung für Bagatellgrenzen aufgenommen wird, die auch im Bereich der geteilten Mittelverwaltung Anwendung findet. Nationale Regelungen zu Bagatellgrenzen sollen anerkannt werden, wenn sie bei der Niederschlagung von Forderungen EU-Mittel nicht schlechter stellen als nationale Mittel.
Die Bagatellgrenzen sollen der Vereinfachung des Verfahrensablaufs dienen und solche Rückforderungen/Zinsforderungen verhindern, bei denen der für die Eintreibung erforderliche Verwaltungsaufwand in keinem Verhältnis zu den in Frage stehenden Beträgen steht. Auch verwaltungsintern soll der Aufwand so gering wie möglich gehalten werden. Die nationalen Haushaltsordnungen (HHO) enthalten derartige Regelungen. Auch die EU-HHO enthält solche Regelungen, allerdings nur soweit die Mittel von ihr selbst ausgereicht worden sind. Die wichtigsten Fälle der Ausreichung von EU-Haushaltsmitteln betreffen aber die geteilte Mittelverwaltung. Hier will die Kommission in Folge einer Änderung ihrer Rechtsauffassung die erforderliche Flexibilität bei Kleinbeträgen nicht gelten lassen, die sie selbst für sich in Anspruch nimmt.
- 8. Der Bundesrat sieht jedoch keine Notwendigkeit, das bisherige gut eingespielte System der geteilten Mittelverwaltung grundlegend zu ändern. Insbesondere wird das Vorhaben in Artikel 53a, im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung den Mitgliedstaaten über die Schaffung neuer Strukturen weitere Anforderungen und Kontrollpflichten aufzuerlegen, abgelehnt. Wo das von der Kommission jetzt vorgeschlagene System der geteilten Mittelverwaltung im Landwirtschaftsbereich schon angewandt wird, verursacht es einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand.
- 9. Der Bundesrat befürchtet jedoch, dass sich bei den Landwirtschafts- und Fischereifonds (EGFL, ELER, EFF) aus der Neuregelung der geteilten Mittelverwaltung neue Lasten für die Verwaltungen der Mitgliedstaaten ergeben. Er bittet daher die Bundesregierung, bei den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene sicherzustellen, dass
- - bestehende Berichtspflichten gestrafft und keinesfalls ausgeweitet sowie
- - keine neuen Strukturen im Bereich akkreditierter Einrichtungen für interne Kontrollen notwendig werden.
- 10. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Vorschlag für eine Verordnung insbesondere für die fondsfinanzierten Förder- und Ausgleichsmaßnahmen (EGFL, ELER, EFRE, EFF) einen erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand mit sich bringt. Die in Artikel 53a (Geteilte Mittelverwaltung mit Mitgliedstaaten) genannten, über die derzeit geltenden hinausgehenden Anforderungen für die jeweiligen Fonds u.a. hinsichtlich zusätzlicher Erklärungen, Prüfsysteme, Berichtspflichten, Rechnungslegungstermine oder Bestätigungen werden deshalb abgelehnt. Aus Sicht des Bundesrates sollten die Anforderungen an die Umsetzung der Systeme der Förder- und Ausgleichsmaßnahmen einschließlich Rechnungslegung allenfalls in den sektorspezifischen Vorschriften geregelt werden.
- 11. Der Bundesrat spricht sich gegen Artikel 53a des Vorschlags aus, der den Mitgliedstaaten für die Umsetzung der EU-Strukturfonds (ESF, EFRE) zusätzliche Anforderungen und Pflichten sowie neue Kontrollrisiken auferlegt. Er lehnt die damit bezweckte Angleichung an das im Bereich der Landwirtschaft bereits existierende, aufwändige System ab.
- 12. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die für die EU-Strukturfonds im Förderzeitraum 2007 bis 2013 etablierten Verwaltungs- und Kontrollstrukturen (Verwaltungsbehörde, Bescheinigungsbehörde, Prüfbehörde) sich mittlerweile eingespielt haben und auf der Basis von gesammelten Erfahrungen wirksam und effizient funktionieren. Er erachtet deshalb eine erneute grundlegende Umstellung des Systems der EU-Strukturfondsförderung mit entsprechenden Unsicherheiten und Anlaufproblemen, erheblichem zusätzlichen Ressourceneinsatz, Reibungsverlusten und neuen Fehlerrisiken für nicht sinnvoll.
- 13. Der Bundesrat stellt fest, dass mit dem vorliegenden Verordnungsvorschlag in Artikel 53a Absatz 3 und 4 insbesondere in den Strukturfonds neue Verwaltungsstrukturen, -zuständigkeiten und -abläufe geschaffen werden, die zu erheblich größerem Verwaltungsaufwand und zu Verzögerungen beim Anlaufen der Fördermaßnahmen führen werden. Das die Strukturfonds prägende System der Mehrjährigkeit der Mittel und Projekte wird verlassen und Projekte in finanzielle Jahrestranchen aufgeteilt, worin der Bundesrat einen Nachteil sieht. Der Bundesrat lehnt die Vorschrift des Artikels 53a Absatz 3 und 4 daher ab.
- 14. Der Bundesrat betont, dass die Einführung zusätzlicher Kontrollebenen bzw. -stufen das Missverhältnis zwischen eingesetzten Mitteln und Verwaltungsaufwand weiter verschlechtern würde. Die "Kontrolle der Kontrolleure" und die nochmalige Überprüfung von Zertifizierungen erscheinen für den ESF angesichts des bereits erreichten, sehr hohen Verwaltungs- und Kontrollniveaus deutlich überzogen und stehen zu Zielen der EU - Bürokratieabbau sowie Vereinfachung und Reduzierung der Kostenbelastung für alle Beteiligten - diametral im Gegensatz.
- 15. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass die beabsichtigte Gleichschaltung der Fördersysteme des Landwirtschaftsbereichs mit den bewährten Strukturen im Bereich der EU-Strukturfonds (ESF, EFRE) den völlig unterschiedlichen Ausgangs- und Rahmenbedingungen dieser Politikbereiche nicht gerecht wird. Er betont, dass die Notwendigkeit der Beibehaltung einer Differenzierung sowohl am Umfang und Inhalt der Förderungen (EU-Strukturfonds: Förderung von Projekten mit konkreten Zielsetzungen) als auch an der strategischen Ausrichtung (EU-Strukturfonds: Innovation, europäischer Mehrwert) und an den beteiligten Partnern (EU-Strukturfonds: Wirtschafts- und Sozialpartner, viele Ressorts) abzulesen ist.
- 16. Da mit der Neufassung der EU-Haushaltsordnung jedoch die Weichen für die künftigen Förderverfahren gestellt werden, wird die Bundesregierung (in Abstimmung mit den Ländern - z.B. im Rahmen gemeinsamer Arbeitsgruppen der Länderreferenten für Strukturfonds und ELER und den zuständigen Bundesministerien) gebeten, bei der Kommission darauf hinzuwirken, dass die noch zu erarbeitenden Durchführungsbestimmungen zur EU-Haushaltsordnung, die Leitlinien der Kommission sowie die sektorspezifischen Verordnungen für die Interventionsphase ab 2014 frühzeitig vorgelegt werden. Auf diese Weise könnten auch für die Mitgliedstaaten Vereinfachungen zur Minderung des Verwaltungsaufwands erwirkt werden.
- 17. Der Bundesrat stellt fest, dass insbesondere für die Bereiche EGFL und ELER den unabhängigen Prüfstellen neben der Prüfung der Maßnahmen und Systeme hinsichtlich der Vollständigkeit, Genauigkeit und sachlicher Rechnungslegung künftig auch die Pflicht zur Prüfung der Recht- und Ordnungsmäßigkeit auferlegt werden soll. Der Bundesrat lehnt dieses Vorgehen ab, zumal die Kommission neben den unabhängigen Prüfstellen eigene Prüfungen durchführt und in einigen Bereichen (z.B. EFRE und ELER) der Kommission am Anfang einer Förderperiode auch umfangreiche Maßnahmenpläne bzw. zertifizierte Systembeschreibungen zur Genehmigung vorgelegt werden müssen.
- 18. Der Bundesrat kann für den Bereich der Strukturförderung die in Artikel 53a Absatz 5 vorgesehene Fristsetzung nicht akzeptieren.
- 19. Der Bundesrat sieht für die Bereiche EGFL und ELER auf Grund der bestehenden Erfahrungen im Hinblick auf die Anforderungen nach Artikel 53a Absatz 5 Buchstabe d eine Bereitstellung der Informationen an die Kommission zum 1. August als realistisch an.
- 20. Der Bundesrat fordert die Streichung von Artikel 53a Absatz 2 Satz 3 (= UA 2).
- 21. Der Bundesrat lehnt die Einführung verstärkter Kontroll- und Prüfungspflichten bei der indirekten Mittelverwaltung ab. Dies würde zu höheren Kosten und zu mehr Bürokratie führen, ohne dass der Vorteil gegenüber dem bisherigen System erkennbar wäre.
- 22. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass es Aufgabe der Kommission ist, die korrekte Mittelverwaltung sicherzustellen, wenn die Kommission Einrichtungen oder Personen in einem Mitgliedstaat außerhalb der im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung zuständigen staatlichen Organe mit dem Haushaltsvollzug beauftragt. Die Einführung einer Zuverlässigkeitserklärung der Fachebene wird abgelehnt, da die Kontrolle der Ausgabe von EU-Mitteln und die Ausgabepraxis durch die Abgabe einer solchen formalen Zuverlässigkeitserklärung nicht verbessert würden.
- 23. Der Bundesrat lehnt die Aufnahme von Darlehen durch Organe der EU zum Ankauf von Bürogebäuden ab. Eine Kreditfinanzierung von Ausgaben des EU-Haushalts ist im Eigenmittelsystem der EU nicht vorgesehen und würde den Haushalt durch Zinszahlungen belasten. Der Einstieg in eine Kreditfinanzierung des EU-Haushalts wäre angesichts des erklärten Ziels einer sparsamen Haushalts- und Finanzpolitik ein Signal in die falsche Richtung.
- 24. Der Bundesrat ersucht die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass in der vorgeschlagenen Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der EU in den Artikeln 88 ff. ein Kontrollverfahren im Hinblick auf Vergaben durch die Unionsorgane verankert wird.
Begründung zu Ziffer 24:
Die Vergabe öffentlicher Aufträge, die ganz oder teilweise aus dem EU-Haushalt finanziert werden, muss den Grundsätzen der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung genügen. Hiernach gelten europaweit dieselben rechtlichen Vorgaben für die öffentliche Auftragsvergabe. Um die Einhaltung dieser Grundsätze und sämtlicher hierauf fußender Rechtsvorschriften zu gewährleisten, ist eine effektive Kontrolle der öffentlichen Auftraggeber vonnöten. Sofern die Unionsorgane Aufträge vergeben, ist bislang als Rechtsbehelf das Gericht der EU als zuständige Stelle für das Nachprüfverfahren anzurufen. Es ist jedoch angezeigt, für diese Vergabeverfahren eine dem nationalen Recht entsprechende unabhängige und außergerichtliche Kontrollstelle vorzuschalten. Die nationalen
Kontrollverfahren bei Vergaben öffentlicher Auftraggeber haben sich bewährt. Es sollte daher angestrebt werden, äquivalente Strukturen im Bereich der Auftragsvergabe durch die EU zu etablieren.
- 25. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.