959. Sitzung des Bundesrates am 7. Juli 2017
A
- 1. Der federführende Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) und der Verkehrsausschuss (Vk) empfehlen dem Bundesrat, die Entschließung wie folgt zu fassen:
- a) Der Bundesrat stellt fest, dass Bund, Länder und Gemeinden bereits zahlreiche Maßnahmen geprüft und ergriffen haben, um die Einhaltung der Grenzwerte im Rahmen der Luftreinhalteplanung zu bewirken. Dennoch werden in über 80 Städten vor allem an viel befahrenen Straßen insbesondere die Stickstoffdioxid (NO₂)-Grenzwerte noch überschritten. Zur dauerhaften Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der NO₂ Grenzwerte müssen im Interesse des Gesundheitsschutzes ergänzend zu den in Luftreinhalteplänen auf lokaler und regionaler Ebene festzulegenden Maßnahmen zusätzliche, bundesweit wirkungsvolle Minderungsansätze ergriffen werden.
- b) Der Bundesrat betont, dass Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam in der Verantwortung stehen, die Mobilität der Bevölkerung und des Wirtschaftsverkehrs im Interesse der Freizügigkeit und der Wirtschaftskraft in Deutschland und Europa zu gewährleisten. Zugleich müssen die Luftschadstoffbelastungen im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung vor allem in hoch belasteten Ballungsräumen deutlich minimiert werden.
- c) Deutliche Minderungen der Stickstoffoxidemissionen bei Diesel-Fahrzeugen im Bestand (Euro 5 und Euro 6) können die Einhaltung der NO₂-Grenzwerte ermöglichen und pauschale Verkehrsbeschränkungen für Diesel-Kfz vermeiden. Der potenzielle Beitrag der Diesel-Antriebe zur CO₂-Minderung gegenüber Benzin-Motoren muss dementsprechend begleitet werden durch eine Reduzierung ihrer Stickstoffoxid (NOx)- Emissionen bei Bestandsfahrzeugen.
- d) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung und die Automobilindustrie in ihrer Herstellerverantwortung auf, schnellstmöglich zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um eine zeitnahe wirksame Reduzierung der NOxEmissionen der Fahrzeugflotten zu erzielen.
Dazu gehören:
- - Gemeinsam mit der Automobilindustrie die Ermittlung des Minderungspotenzials und der Kosten der Nachrüstung der Euro 5 - und im Falle von nachgewiesenen Grenzwertüberschreitungen auch Euro 6 Dieselfahrzeuge noch im Jahr 2017, um auf dieser Grundlage den Umfang eines zügig zu erarbeitenden, wirtschaftlich vertretbaren und technisch geeigneten Nachrüstprogramms festzulegen.
- - Die zeitnahe Schaffung der Rahmenbedingungen für die wirksame technische Nachrüstung von Fahrzeugen (etwa Zulassungs- und Genehmigungsvoraussetzungen) durch den Bund.
- 2. [- Eine rasche und transparente Verständigung über die verursachergerechte Zuordnung der Kosten, die eine Belastung des Verbrauchers ausschließt.]*
- e) Dieser politische Prozess soll von einem runden Tisch unter Einbeziehung der relevanten Akteure begleitet werden, der noch in diesem Jahr Lösungsvorschläge für umsetzbare und wirksame Maßnahmen erarbeiten soll.
Begründung:
Der dringende Handlungsbedarf zur Verbesserung der Luftqualität wird durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission zum EUVertragsverletzungsverfahren 2015/2073 vom 15. Februar 2017 wegen der Überschreitung der NO₂-Grenzwerte und des beim Verwaltungsgericht Stuttgart anhängigen Gerichtsverfahrens gegen das Land Baden-Württemberg zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans Stuttgart unterstrichen. Die NO₂ Überschreitungen sind aber keineswegs nur ein Problem Baden-Württembergs. Auch andere Städte in der Bundesrepublik, wie etwa Düsseldorf, Kiel, Hamburg, Darmstadt oder München, sind ebenfalls von Grenzwertüberschreitungen betroffen. Verkehrsbeschränkungen sind auch in anderen Städten möglicherweise nicht mehr länger auszuschließen.
Die Überschreitungen in Deutschland fallen unterschiedlich hoch aus.
In 12 Ländern gab es im Jahr 2016 Überschreitungen des Grenzwertes für NO₂-Imissionen im Jahresmittel (vgl. vorläufige Auswertung des UBA "Luftqualität 2016", Reihe Hintergrundpapier UBA, Berlin 1/2017 https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/luftqualitaet-2016).
Die bisher ergriffenen Maßnahmen haben zwar zu Verbesserungen der Feinstaub PM10-Belastungen geführt, jedoch halten die zum Teil deutlichen Überschreitungen der Grenzwerte für Stickstoffdioxid weiterhin an. Weitere Maßnahmen sind daher notwendig, die bei der Hauptquelle der Belastungen, dem Straßenverkehr, ansetzen müssen.
Die Verkehrsministerkonferenz der Länder am 27./28. April 2017 hat, ebenso wie die Umweltministerkonferenz der Länder am 5. Mai 2017, von der Bundesregierung ein Konzept für die Dieselnachrüstung gefordert.
Es ist entscheidend, dass die Nachrüstung die Fahrzeugemissionen im Realbetrieb so deutlich absenkt, dass die Wirkung von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen mindestens erreicht wird. Das Land Baden-Württemberg führt bereits Gespräche mit hochrangigen Vertretern der Automobilindustrie, von Zulieferern und von Herstellern über mögliche effektive und zeitnah umsetzbare NOx-Nachbesserungsmöglichkeiten von Diesel-Pkw. Bei den Gesprächen bestand Einigkeit darüber, dass der Bund die erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Nachrüstoption schaffen muss. Es bestand ebenfalls Einigkeit, dass die Bemühungen um Nachrüstung technologieoffen ausgestaltet werden sollten.
Die Bundesregierung ist aufgefordert, mit ihren zuständigen Bundesbehörden BMVI und KBA umgehend alle technischen, prüftechnischen und zulassungsrechtlichen Fragen einer Nachrüstung der Bestandsflotte zu klären. Die Nachrüstung stellt in technischer und administrativer Hinsicht ein hochkomplexes Vorhaben dar (unter anderem Frage der Typenzulassung, Zahl der Prüfstände, Prüfzyklus, Gewährleistung). Gerade diese rechtlichen Vorgaben der Bundesebene sind ein zentraler Baustein für alle möglichen Nachrüstkonzepte. Die Vorschläge zur Nachrüstung können erst dann konkretisiert werden, wenn klar ist, wie eine Nachrüstung rechtlich umsetzbar ist.
B
- 3. Der Gesundheitsausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, die Entschließung zu fassen.
* setzt Annahme von Ziffer 1 voraus