827. Sitzung des Bundesrates am 3. November 2006
A.
Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 ( § 1 Abs. 2 ATDG)
- - Der Bundesrat bekräftigt die von den Innenministern und -senatoren des Bundes und der Länder am 4. September 2006 getroffene Feststellung, dass neben den in § 1 Abs. 1 ATDG genannten Behörden auch Staatsschutzdienststellen der Länderpolizeien zugriffsberechtigt sein sollen, um den internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland wirksam bekämpfen zu können. Er unterstützt die Forderung, dass in begründeten Fällen auch weiteren von den Ländern bestimmten Dienststellen der Polizei der Zugriff auf die Antiterrordatei ermöglicht werden soll, wenn die im ATDG aufgeführten Voraussetzungen vorliegen.
- - Der Bundesrat erkennt die Sicherheitsinteressen der an der Antiterrordatei beteiligten Behörden an. Diese dürfen aber nicht dazu führen, dass die Regelung des § 1 Abs. 2 ATDG weitgehend leer läuft. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, durch das Erfordernis der Angemessenheit im Hinblick auf die Interessen der beteiligten Behörden keine überzogenen Anforderungen für die Beteiligung von weiteren Polizeibehörden zu stellen.
- - Der Bundesrat stellt fest, dass den obersten Bundes- und Landesbehörden bei der Festlegung der beteiligten Behörden in der Errichtungsanordnung der Antiterrordatei kein Ermessen bei der Beurteilung der Angemessenheit im Hinblick auf die Interessen der anderen beteiligten Behörden zusteht. Vielmehr sind weitere Polizeivollzugsbehörden nach Vorschlag des betreffenden Landes aufzunehmen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Begründung:
Den Sicherheitsinteressen der Behörden, die an der Antiterrordatei beteiligt sind, kommt eine wichtige Bedeutung zu. Daher wird in der Gesetzesbegründung zu Recht darauf hingewiesen, dass nicht jede Polizeivollzugsbehörde, die im Rahmen der Gefahrenabwehr im Einzelfall auch Gefahren des internationalen Terrorismus abwehrt, an die Antiterrordatei angeschlossen werden kann. Es kann jedoch aus polizeifachlicher Sicht erforderlich sein, Dienststellen des polizeilichen Staatsschutzes neben den jeweiligen Landeskriminalämtern in den Kreis der berechtigten Behörden aufzunehmen, was auch die Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder am 4. September 2006 festgestellt haben. Dies gilt insbesondere für Polizeivollzugsbehörden, die mit der Aufklärung krimineller islamistischer Strukturen bzw. der Bearbeitung herausragender Staatsschutzdelikte beauftragt sind und die örtliche Kenntnisse mit den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden über terroristische Strukturen und Netzwerke vereinen. Der Kombination von örtlichen und überörtlichen Kenntnissen kommt gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung des islamistischen Terrorismus mit seinen kleinen autonomen Gruppierungen, die vor Ort etwa durch Selbstradikalisierung entstehen, wie der fehlgeschlagene Kofferbombenanschlag zeigt, eine zunehmende Bedeutung zu. Eine unmittelbare Beteiligung dieser Dienststellen ist notwendig, da selbst bei Einrichtung einer Rufbereitschaft bei den Landeskriminalämtern Sicherheitslücken zu befürchten sind, wenn kein unmittelbarer Zugriff der jeweiligen Polizeivollzugsbehörde möglich ist. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass nach den aktuellen Planungen des Bundeskriminalamts mit der Antiterrordatei ein Kommunikationssystem verbunden sein wird, mit dem zwischen den beteiligten Behörden eingestufte Erkenntnisse unmittelbar verschlüsselt ausgetauscht werden. Nicht an der Antiterrordatei beteiligte Behörden könnten als "geheim" eingestufte Nachrichten nur auf alternativen Wegen, die mit hohem Zeitverlust verbunden wären, austauschen.
Durch die Voraussetzung der Angemessenheit der Beteiligung gegenüber den Interessen der beteiligten Behörden dürfen keine zu hohen Schranken errichtet werden, die eine Beteiligung derartiger Polizeivollzugsbehörden verhindern.
2. Zu Artikel 1 (§ 2 Satz 1 Nr. 3, § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b ATDG)
Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:
- a) § 2 Satz 1 Nr. 3 ist wie folgt zu fassen:
3. Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sie mit den in Nummer 1 Buchstabe a oder in Nummer 2 genannten Personen nicht nur flüchtig oder in zufälligem Kontakt in Verbindung stehen und durch sie gewichtige weiterführende Hinweise für die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu erwarten sind, oder
- b) In § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b sind die Wörter "sowie zu Kontaktpersonen" durch die Wörter "und zu Personen nach § 2 Satz 1 Nr. 3" zu ersetzen.
Begründung:
Im Interesse eines möglichst weit gehenden Schutzes des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung und zur Verwirklichung des Ziels der Datensparsamkeit sollten nur die Daten solcher Personen in der Antiterrordatei gespeichert werden, die zur Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus unerlässlich sind. Dies wird aber in der sehr weiten Formulierung des § 2 Satz 1 Nr. 3 ATDG-E nicht hinreichend deutlich. Dass flüchtige oder zufällige Kontakte nicht zu speichern sind, lässt sich erst aus der Entwurfsbegründung entnehmen. Mit Blick auf das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot sollte diese Begrenzung im Gesetz selbst zum Ausdruck kommen. Der missverständliche Begriff der "Kontaktperson" sollte vermieden werden.
3. Zu Artikel 5 Abs. 2
In Artikel 5 Abs. 2 ist wie folgt zu fassen:
- Artikel 1 ist im fünften des auf die Verkündung folgenden Kalenderjahres unter Einbeziehung eines wissenschaftlichen Sachverständigen, der im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat bestellt wird, zu evaluieren.
Begründung:
Eine Befristung der Antiterrordatei ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht geboten. Der Gesetzgeber hat ein weites Ermessen hinsichtlich der Ausgestaltung der Kontrolle, der von ihm erlassenen Gesetze. Gegen die automatische Verfallsklausel sprechen zum einen die nicht unerheblichen Investitionen der Sicherheitsbehörden für die Einrichtung und den Betrieb der Antiterrordatei. Zum anderen setzt eine Befristung die falschen Signale im Hinblick auf die dauerhafte Herausforderung durch den internationalen Terrorismus.
Bei der Anstellung eines wissenschaftlichen Sachverständigen zur Evaluation des Antiterrordateigesetzes ist auch der Bundesrat zu beteiligen.
4. Zum Gesetzentwurf allgemein:
Der Bundesrat unterstreicht die Bedeutung der Einrichtung einer gemeinsamen Antiterrordatei des Bundes und der Länder. Sie beschleunigt und erleichtert den Informationsaustausch zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder und ist deshalb ein wichtiges Instrument für eine erfolgreiche Bekämpfung des internationalen Terrorismus.
Dessen ungeachtet sieht der Bundesrat weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Verbesserung der Abwehr und Verfolgung terroristischer Straftaten. Das Autobahnmautgesetz schließt eine Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme der Mautdaten und der Kontrolldaten nach anderen Rechtsvorschriften ausdrücklich aus. Die enge Zweckbindung des Autobahnmautgesetzes für die Maut- und Kontrolldaten muss gelockert werden, um sie zur Verfolgung schwerer Straftaten und zur Abwehr erheblicher Gefahren für die zuständigen Behörden nutzbar zu machen. Dies dient nicht nur der Bekämpfung schwerer Allgemeinkriminalität, sondern insbesondere auch der Terrorismusbekämpfung. Das hohe terroristische Gefährdungspotenzial erfordert es, die unterschiedlichsten Begehungsmodalitäten in die Abwehrstrategie einzubeziehen, um einen effektiven Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, rasch einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Anpassung des Autobahnmautgesetzes vorzulegen.
B.
- 5. Der Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.