Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, 18. März 2015
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Volker Bouffier
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Antrag für eine Entschließung des Bundesrates " Maßnahmen zur Stärkung der Vielfalt der Medien und pluralistischen Berichterstattung in einem Europäischen Digitalen Binnenmarkt" zuzuleiten.
Ich bitte, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung mit dem Ziel der sofortigen Sachentscheidung in die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 27. März 2015 aufzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angelica Schwall-Düren
Entschließung des Bundesrates: "Maßnahmen zur Stärkung der Vielfalt und der pluralistischen Berichterstattung in einem europäischen digitalen Binnenmarkt"
Die Kommission der Europäischen Union beabsichtigt ihre Strategie für den europäischen digitalen Binnenmarkt (DSM: Digital Single Market) am 6. Mai 2015 zu veröffentlichen. Der Bundesrat wirkt an der europäischen Willensbildung aktiv mit, um die Restrukturierung auf europäischer Ebene aktiv mitzugestalten und sowohl die wirtschaftlichen als auch die medien- und kulturpolitischen Interessen zu stärken.
Der Bundesrat möge beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, zu prüfen, wie im Rahmen der Fortentwicklung des europäischen digitalen Binnenmarkts sichergestellt wird, dass Fragen der Sicherung von Informations- und Medienfreiheit, Medienpluralismus und kultureller Vielfalt auch hinsichtlich der medien- und kulturpolitischen Prärogative der Mitgliedstaaten, adressiert werden können.
Allgemeine Grundsätze
- 1. Der Bundesrat begrüßt das Ziel der Schaffung eines DSM und die Bestrebungen der Kommission, den Übergang von nationalen Märkten zu einem einheitlichen Markt für die Produktion und Verbreitung von Medieninhalten zu vollziehen. Die fortschreitende Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft stellt für die Gesetzgeber aller Mitgliedstaaten eine neue Herausforderung dar, die bei der Realisierung des europäischen digitalen Binnenmarkts ein inhaltlich, politisch und institutionell verknüpftes und abgestimmtes Vorgehen erfordert. Isolierte Maßnahmen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene allein sind in vielen Bereichen nicht ausreichend.
- 2. Der DSM betrifft Bereiche, in denen der Bundesrat bereits Beschlüsse gefasst hat, die aufgrund der DSM-Initiative in einem neuen Zusammenhang stehen (insb. BR-Drs. 689/13(B) , 321/13(B) , 211/13(B) , 527/12(B) , 395/12(B) , 566/10(B) ). Aufgrund dieser europäischen Rahmenstrategie fallen nahezu alle künftigen legislativen und nichtlegislativen Maßnahmen im digitalen Bereich in den Anwendungsbereich des DSM. Die Positionierungen des Bundesrates gelten auch vor dem Hintergrund der DSM-Initiative fort.
- 3. Der Bundesrat begrüßt aktuelle Diskussionen zum Aufbau einer digitalen Infrastruktur und eine auf digitale Kompetenzen ausgerichtete Ausbildungsoffensive. Diese Elemente sollten weiterhin Teil der DSM-Diskussion und DSM-Strategie sein.
- 4. Der Bundesrat erwartet, dass die Bundesregierung gegenüber der Europäischen Kommission bei der Schaffung des DSM insbesondere die Bedeutung audiovisueller Inhalte sowie ihrer Produzenten und Vermittler angemessen verdeutlicht.
In diesem Kontext bekräftigt der Bundesrat, dass öffentlichrechtliche und kommerzielle Rundfunkanbieter durch ihre Investitionen in die europäischen Kultur- und Kreativindustrien, in fiktionale und nichtfiktionale genuin europäische audiovisuelle Inhalte maßgeblich zur Entwicklungs- und Wettbewerbsfähigkeit dieser Branchen beitragen und damit auch zukunftsorientierte Arbeitsplätze sichern und schaffen.
- 5. Der Bundesrat betont die Bedeutung der Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher auf Zugang zu einem offenen Internet, europaweit. Damit einher geht die Bedeutung der Interoperabilität, in deren Rahmen auch die Wechsel- und Auswahloptionen der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht eingeschränkt werden dürfen.
- 6. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen digitale Medien unbesorgt nutzen können. Bedingung hierfür ist, dass sie in einen verantwortungsvollen Umgang mit Ihren Daten vertrauen können. Nur Verbraucher, die sich darauf verlassen können, dass ihre Daten sicher sind und nicht gegen ihren Willen verarbeitet oder weiter gegeben werden, können die Medienvielfalt auch in vollem Umfang nutzen. Der Bundesrat spricht sich daher für ein hohes Datenschutzniveau aus. Bestandteile eines solchen hohen Datenschutzniveaus sind unter anderem eine klare Begrenzung der Datenverarbeitung, das Erfordernis einer ausdrücklichen Zustimmung in die Datenverarbeitung sowie die Verpflichtung von datenschutzfreundlichen Voreinstellungen in Sozialen Netzwerken.
Elektronische Kommunikationsnetze und -dienste
- 7. Der Bundesrat unterstützt neben der Vielfalt von kulturellen und Medienangeboten auch die Vielfalt und den Wettbewerb auf dem Telekommunikations-Markt. Der Bundesrat spricht sich gegen eine Verschiebung der bisherigen Zielsetzung der europäischen Rahmenrechtsetzung von der bislang angestrebten Wettbewerbsförderung hin zu einer europäischen Marktkonsolidierung aus. Der bisherige Aufbau der Telekommunikationsinfrastruktur war vor allem Ergebnis eines wettbewerblichen Umfelds, das es auch durch zukünftige Rahmenbedingungen zu bewahren gilt. In Deutschland erfolgt der Ausbau der Breitbandnetze in einem funktionierenden wettbewerblichen Umfeld, in dem eine Vielzahl von Unternehmen tätig ist. Eine Remonopolisierung würde die Geschäftsgrundlage vieler kleiner und mittlerer Anbieter behindern und die Ausbauaktivitäten gefährden. Die mittleren und kleinen Anbieter benötigen nach wie vor den offenen Zugang zu den Netzen dieser großen Telekommunikationsanbieter.
Netzneutralität
- 8. Der Bundesrat verweist auf den Bundesratsbeschluss 689/13 (PDF) vom 29.11.2013 und bekräftigt diesen an dieser Stelle, insbesondere die Ziffern 16 bis 30 zu Netzneutralität bzw. dem Best-Effort-Prinzip und dabei auch die hier nicht wiedergegebenen Ziffern 22 bis 25 sowie 27 bis 30. Der Bundesrat betont, dass eine gleichberechtigte und uneingeschränkte Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am offenen Internet als einem zentralen Medium unserer Informationsgesellschaft zu gewährleisten ist. Alle Datenpakete im Rahmen der elektronischen Kommunikation müssen unabhängig von Inhalt, Anwendung, Herkunft und Ziel grundsätzlich gleich behandelt werden. Dies ist nicht nur Voraussetzung für Innovation und einen funktionierenden Wettbewerb, sondern auch eine zentrale Voraussetzung für die Freiheit der Meinungsäußerung, die Informationsfreiheit, die unternehmerische Freiheit und ein hohes Verbraucherschutzniveau.
- 9. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass jeder Regelung der Netzneutralität die anerkannte Definition zugrunde zu legen ist, wonach Netzneutralität die Gleichbehandlung aller Daten im Internet unabhängig von Inhalt, Dienst, Anwendung, Anbieter, Herkunft oder Ziel bedeutet. Jegliche Abweichungen von diesem Grundsatz sollten nach Auffassung des Bundesrates nur auf Grund eines abschließenden Katalogs von eng definierten Ausnahmen mit objektiv überprüfbaren Kriterien zulässig sein.
- 10. Der Bundesrat äußert Bedenken hinsichtlich einer grundlegenden Unterscheidung zwischen Spezialdiensten der Telekommunikationsanbieter und sonstigen Internetzugangsdiensten. Innerhalb der begrenzten Übertragungskapazitäten am jeweiligen Breitbandanschluss des Endkunden beanspruchen solche Spezialdienste eine höhere Übertragungsqualität und treten so in einen Verdrängungswettbewerb mit den übrigen Inhalten, Diensten und Anwendungen des nach dem Best-Effort-Prinzip funktionierenden, offenen Internets. Eine solche Unterscheidung macht Investitionen in den weiteren Breitbandausbau und das offene Internet wirtschaftlich unattraktiv und schafft stattdessen Anreize zur Verschlechterung und Diskriminierung aller Inhalte, Anwendungen und Dienste, die keinen Spezialdienst des jeweiligen Telekommunikationsanbieters darstellen. Nach Ansicht des Bundesrates kann eine solche Unterscheidung kurz- oder mittelfristig zur Etablierung eines Zwei-KlassenInternets auf Anbieter- und Endnutzerseite führen. Der Bundesrat lehnt ferner die Gleichordnung von offenem Internet und Spezialdiensten (managed services) ab. Vielmehr ist von einem klaren Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des offenen Internets gegenüber Spezialdiensten auszugehen. Anderenfalls würden die meist auf höhere Gewinnerzielung angelegten Spezialdienste zu einer Marginalisierung des offenen Internets und so zu einer nicht hinnehmbaren Beschränkung der Inhalte- und Meinungsvielfalt führen.
- 11. Die Möglichkeit, beliebige Inhalte, Anwendungen und Dienste per Vertrag zu Spezialdiensten des jeweiligen Telekommunikationsanbieters mit zugesicherter Dienstqualität zu erklären, lehnt der Bundesrat ab. Solche Sondervereinbarungen stehen im Widerspruch zum Ziel eines funktionierenden Binnenmarktes, denn sie erschweren den Marktzutritt für weniger finanzkräftige Anbieter und sorgen für Wettbewerbsverzerrungen zugunsten etablierter, transnational agierender Unternehmen und zulasten aufstrebender, kleiner und mittelständischer oder nur regional agierender Anbieter. Der Bundesrat sieht darin langfristig nicht nur erhebliche Nachteile für die inhaltliche Vielfalt des Internets, sondern vor allem auch eine akute Gefahr für die Zukunft nichtkommerzieller, unabhängiger Informations- und Kommunikationsangebote. Soweit die Europäische Kommission dennoch an einer Unterscheidung zwischen Spezialdiensten und sonstigen Internetzugangsdiensten festhalten sollte, fordert der Bundesrat, Spezialdienste nur dann zuzulassen, wenn sie aus sachlichen, über das wirtschaftliche Eigeninteresse hinausgehenden Gründen zwingend auf einem technisch und organisatorisch getrennten Kanal realisiert werden müssen. Der Bundesrat tritt dafür ein, dass Spezialdienste nur im Fall unabweisbarer technischer Notwendigkeiten angeboten werden dürfen, um echtzeitkritische Anwendungen in einer besonderen Qualität anbieten zu können. Er hebt deshalb hervor, dass bei Geschäftsmodellen, die Verträge mit begrenztem Breitbandvolumen vorsehen, bestimmte Datendienste nicht beliebig aus dem Volumenverbrauch herausgerechnet bzw. nicht beliebig von einer Drosselung nach Verbrauch des gebuchten Datenvolumens ausgenommen werden dürfen.
- 12. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich gegenüber der Europäischen Kommission dafür einzusetzen, dass eine nachweislich aus wirtschaftlichem Eigeninteresse heraus vorrangige Übermittlung von Daten ebenso wie eine Drosselung oder Blockade bestimmter Inhalte und Dienste unzulässig ist, dass alle Inhalte und Anwendungen gleichbehandelt werden müssen, es sei denn, eine Ungleichbehandlung wird durch eine klar definierte und belegbar notwendige Ausnahme erlaubt, und dass für solche belegbaren notwendigen Ausnahmen, wie beispielsweise das legitime kurzfristige Überlastungs- und Traffic-Management, klare und transparente Regeln geschaffen werden.
Breitbandausbau
- 13. Der Bundesrat stimmt der Einschätzung der Kommission hinsichtlich der Bedeutung leistungsfähiger Breitbandnetze für wirtschaftliches Wachstum zu. Auch für die pluralistische Berichterstattung und Medienvielfalt ist ein flächendeckender Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu digitalen Angeboten unerlässlich. Der Bundesrat spricht sich daher dafür aus, dass europäische Mittel, unter anderem im Rahmen von CEF (Connecting Europe Facility) und EFSI (Europäischen Fonds für strategische Investitionen), gezielt den Ausbau der digitalen Infrastruktur unterstützen. Insbesondere ländliche Gebiete können auf diese Weise von einer flächendeckenden Infrastruktur profitieren. Staatliche Beihilfen beim Breitbandausbau sollten jedoch nur als letztes Mittel herangezogen werden, soweit ein Marktversagen festgestellt werden kann. In diesem Rahmen ist jedoch darauf zu achten, dass das geltende Beihilfeinstrumentarium vereinfacht und mit Blick auf die Unterstützung von "Next-Generation-Access"-Netzen (NGA-Netze) ausgebaut werden sollte.
Geoblocking
- 14. Der Bundesrat fordert die Kommission auf, im Rahmen der Entwicklung des DSM Initiativen zu ergreifen, die dazu beitragen können, den grenzüberschreitenden Zugang zu Online-Inhalten zu fördern. Der Bundesrat fordert, ein Rechtssystem zu etablieren, das einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Zuschauer auf Zugang zu (pan-)europäischen Inhalten, auskömmlichen Einnahmemöglichkeiten für Produzenten und Rechtinhabern sowie dem Ziel eines vielfältigen Medienangebotes gewährleistet. (Pan-)Europäische Lizenzierungen dürfen nicht zu Lasten der Nutzer hinsichtlich des Zugangs zu vielfältigen Angeboten gehen.
Urheberrecht
- 15. Der Bundesrat unterstützt die Bestrebungen der Kommission, das europäische Urheberrecht zu modernisieren, um vermeidbare Beschränkungen der Nutzungs- und Verwertungsrechte zu verringern, die infolge der Fragmentierung der unterschiedlichen Rechtsregime in den Mitgliedstaaten bestehen. Der Bundesrat befürwortet eine Ausgestaltung, die nicht nur die aktuellen technologischen Entwicklungen aufgreift, sondern auch künftige kulturelle Gestaltungsformen technikoffen berücksichtigt, ohne jedoch die kulturelle und sprachliche Diversität in den Mitgliedstaaten auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene zu beeinträchtigen.
- 16. Der Bundesrat hält es für unverzichtbar, die rechtlichen Voraussetzungen für eine angemessene Entlohnung der Kulturschaffenden zu entwickeln und gleichzeitig Regelungen vorzusehen, welche die wirtschaftlichen Vorteile der anderen Akteure in der Wertschöpfungskette in ein ausgewogenes Verhältnis mit den Interessen der Nutzerinnen und Nutzer setzen. Nur auf diese Weise bleiben der kulturelle Reichtum und die kreative Vielfalt in Europa, die als wertvolle wirtschaftliche Ressourcen zu verstehen sind, erhalten und können als Grundlage für die kulturelle Weiterentwicklung fortbestehen.
- 17. Die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern im Hinblick auf den Erwerb eines urheberrechtlich geschützten Werkes bzw. eines diesbezüglichen Nutzungsrechtes dürfen nicht beliebig eingeschränkt werden. Denn die Möglichkeit sich beispielsweise vor Datenverlust zu schützen, ist ein anerkennenswertes Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung dazu auf, sich gegenüber der Kommission dafür einzusetzen, dass die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher an einer möglichst umfassenden Nutzung digitaler Güter bei der Suche nach einem gerechten Ausgleich mit den Interessen der Rechteinhaber an der wirtschaftlichen Verwertung geistigen Eigentums berücksichtigt werden.
Frequenzen
- 18. Frequenzen sind ein knappes öffentliches Gut. Die nationale Funkfrequenzverwaltung hat sich als effizientes Mittel erwiesen, um das Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekten zu wahren. Der Bundesrat setzt sich dafür ein, dass ein Rundfunkspektrum erhalten bleibt, das neben der bestehenden Programmvielfalt einen wirtschaftlichen Betrieb von DVB-T und dessen Entwicklungsmöglichkeiten garantiert. Es ist darauf zu achten, dass Maßnahmen zur Förderung des Breitbandausbaus nicht zu einer Umwidmung weiterer Rundfunkfrequenzen führen. Der Lamy-Bericht beschreibt, wie die Kommission eine frequenzpolitische Initiative im Bereich des UHF-Bandes ausgestalten könnte. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung dazu auf, sich gegenüber der Kommission dafür auszusprechen, dass der Lamy-Bericht, insbesondere mit seinem Vorschlag einer Frequenznutzungsgarantie für den Rundfunk, im REFIT des Telekom-Pakets bei einer anstehenden Revision des Telekom-Pakets sowie des Radio Spectrum Policy Programmes berücksichtigt wird.
Direktzuleitung
- 19. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.