Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Privilegierung des von Kindertageseinrichtungen und Kinderspielplätzen ausgehenden Kinderlärms

A. Problem und Ziel

In jüngerer Zeit hat es wegen des Lärms von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen verschiedene Klagen gegeben, die in der öffentlichen Diskussion mit der Frage nach einer kinderfreundlichen Gesellschaft aufgegriffen worden sind. Es besteht daher Handlungsbedarf zur Weiterentwicklung des Lärmschutzrechts, um den von solchen Einrichtungen ausgehenden Kinderlärm zu privilegieren und um ein klares gesetzgeberisches Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft zu setzen.

B. Lösung

Mit einer Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wird sichergestellt, dass Kinderlärm, der von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen hervorgerufen wird, im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung ist. Aufgrund dieser Regelung ergibt sich eine Ausstrahlung auf das zivile Nachbarschaftsrecht, so dass davon ausgegangen werden kann, dass dieser Lärm im Regelfall auch keine wesentliche Beeinträchtigung für benachbarte Grundstücke darstellt. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung beabsichtigt, im Rahmen der anstehenden Bauplanungsrechtsnovelle die Baunutzungsverordnung mit dem Ziel zu ändern, in reinen Wohngebieten Kindertageseinrichtungen in einer Größenordnung, die der Gebietsversorgung angemessen ist, generell zuzulassen.

C. Alternativen

Keine

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Aufgrund der mit dem Änderungsgesetz vorgesehenen Privilegierung des von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen ausgehenden Kinderlärms ist zu erwarten, dass gegen diese Einrichtungen seltener vorgegangen wird. Die Chancen für eine gütliche Einigung mit den vom Kinderlärm Betroffenen, die ansonsten ihre Belange in verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Verfahren zu verfolgen suchen, werden deutlich erhöht. Der Ausbau der Kinderbetreuung wird erleichtert.

1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

Soweit Bund, Länder und Gemeinden für die Errichtung und den Betrieb von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen finanzielle Mittel bereit stellen und diese Mittel auch auf die Durchführung von Rechtsstreitigkeiten über die von diesen Einrichtungen ausgehenden Kinderlärm verwandt werden, führt die mit dem Änderungsgesetz vorgesehene Privilegierung des Kinderlärms zu einer Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten und damit zu einer Ausgabenminderung in nicht bezifferbarer Höhe.

2. Vollzugsaufwand

Der Vollzug des Bundes-Immissionsschutzgesetzes obliegt bei den vom Änderungsgesetz erfassten Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen den Länder und den nach Landesrecht zuständigen Behörden. Durch die Privilegierung des Kinderlärms werden die verwaltungsbehördlichen Verfahren entlastet und wird der Vollzugsaufwand reduziert. Auch für gerichtliche Streitverfahren muss weniger Aufwand betrieben werden. Dadurch ergeben sich Kostenersparnisse für die öffentlichen Haushalte in nicht bezifferbarer Höhe.

E. Sonstige Kosten

Die Wirtschaft ist durch das Änderungsgesetz nicht unmittelbar betroffen; sie profitiert allenfalls mittelbar im Hinblick auf die Beschäftigten, die als Eltern durch den erleichterten Ausbau der Kinderbetreuung besser einer beruflichen Tätigkeit nachgehen können. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf mittelständische Unternehmen. Auswirkungen des Änderungsgesetzes auf Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.

F. Bürokratiekosten / nachhaltige Entwicklung

Durch das Änderungsgesetz werden keine Informationspflichten eingeführt, geändert oder aufgehoben. Wesentliche Auswirkungen für eine nachhaltige Entwicklung sind nicht gegeben.

Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Privilegierung des von Kindertageseinrichtungen und Kinderspielplätzen ausgehenden Kinderlärms

Bundesrepublik Deutschland Berlin, den 4. März 2011
Die Bundeskanzlerin

An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Privilegierung des von Kindertageseinrichtungen und Kinderspielplätzen ausgehenden Kinderlärms mit Begründung und Vorblatt.

Federführend ist das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Absatz 1 NKRG ist als Anlage beigefügt.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Fristablauf: 15.04.11

Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Privilegierung des von Kindertageseinrichtungen und Kinderspielplätzen ausgehenden Kinderlärms

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

In § 22 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 2002 (BGBl. I S. 3830), das zuletzt durch Artikel 1des Gesetzes vom 26. November 2010 (BGBl. I S. 1728) geändert worden ist, wird nach Absatz 1 folgender Absatz 1a eingefügt:

(1a) Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden."

Artikel 2

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den
Der Bundespräsident
Die Bundeskanzlerin
Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Begründung:

A. Allgemeines

I. Zielsetzung und wesentlicher Inhalt des Gesetzentwurfs

Dieses Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes enthält Regelungen zur Privilegierung des von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen ausgehenden Kinderlärms. Grundsätzlich ist die Rechtsprechung gegenüber Kinderlärm zwar tolerant und es wird von ihr akzeptiert, dass Kinder lauter sein dürfen als andere Geräuschquellen, wie z.B. Gewerbe oder lärmende Erwachsene. Gleichwohl hat es in jüngerer Zeit verschiedene Klagen gegen solche Einrichtungen gegeben, die in der öffentlichen Diskussion mit der Frage nach einer kinderfreundlichen Gesellschaft aufgegriffen worden sind. Es besteht daher Handlungsbedarf zur Weiterentwicklung des geltenden Lärmschutzrechts, um ein klares gesetzgeberisches Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft zu setzen. Der Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode sieht vor, dass Kinderlärm keinen Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen geben darf und die Gesetzeslage entsprechend geändert werden soll.

Die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen hervorgerufenen Geräuscheinwirkungen durch Kinder berühren das geltende Recht auf verschiedenen Rechtsgebieten:

Die Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm) konkretisiert mit anspruchsvollen Immissionsrichtwerten die gesetzlichen Vorgaben und gilt allgemein für immissionsschutzrechtliche Anlagen, ausdrücklich jedoch nicht für Anlagen für soziale Zwecke. Auch die Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) und die LAI-Freizeitlärmrichtlinie gelten nicht für Kindertageseinrichtungen und Kinderspielplätze. Gleichwohl werden diese Regelwerke zur Beurteilung des Kinderlärms sowohl im öffentlichen Immissionsschutz als auch im zivilen Nachbarschutz von der Rechtsprechung im Sinne einer grundsätzlichen Orientierung herangezogen.

Um auszuschließen, dass in Einzelfällen von Planern, Behörden oder Gerichten zur Beurteilung des Kinderlärms von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen die TA Lärm, die 18. BImSchV oder die LAI-Freizeitlärmrichtlinie herangezogen werden, bedarf es Regelungen, die darauf beruhen, dass Kinderlärm unter einem besonderen Toleranzgebot der Gesellschaft steht (Beschluss des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 2009 zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der SPD "Die Zulässigkeit von Kindertageseinrichtungen in reinen Wohngebieten verbessern", Bundestagsdrucksache 16/13624 vom 1. Juli 2009). Geräusche spielender Kinder sind Ausdruck der kindlichen Entwicklung und Entfaltung und daher grundsätzlich zumutbar. Abwehransprüche sollten daher auf seltene Einzelfälle beschränkt bleiben (Beschluss des Bundesrates "Entschließung des Bundesrates Kinderlärm: kein Grund zur Klage - gesetzliche Klarstellungen zum Umgang mit Geräuschemissionen von Kinder- und Jugendeinrichtungen", Bundesratsdrucksache 831/09(B) HTML PDF vom 5. März 2010).

Dem Handlungsbedarf zur Weiterentwicklung des geltenden Rechts wird entsprochen, indem mit einer Änderung des § 22 BImSchG sichergestellt wird, dass Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen durch Kinder hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung sind. Durch eine solche Regelung wird ein Beurteilungsmaßstab in das geltende Lärmschutzrecht eingefügt, der eine größere Toleranz zur Beurteilung des Kinderlärms einfordert und der im verwaltungsbehördlichen Vollzug einer Heranziehung der TA Lärm, der 18. BImSchV oder der LAI-Freizeitlärmrichtlinie entgegen steht. Mit einer ergänzenden Rechtsverordnung zur näheren Bestimmung von Einzelheiten könnte darüber hinaus - soweit sich dies zu einem späteren Zeitpunkt noch als erforderlich erweisen sollte - ein fachliches Regelwerk geschaffen werden, das den genannten Regelwerken eine andersartige Konkretisierung entgegenstellt.

Im Hinblick auf das Nachbarschaftsrecht ergibt sich aufgrund einer solchen Regelung auch eine Ausstrahlung auf die zivilrechtliche Praxis. Schon das geltende Recht stellt in § 906 Absatz 1 Satz 2 und 3 BGB auf Beurteilungsmaßstäbe des öffentlichen Rechts ab, indem auf immissionsschutzrechtliche Grenz- und Richtwerte Bezug genommen wird. Die Zivilgerichte haben dabei angenommen, dass von Kindern ausgehende Geräusche regelmäßig unter einem besonderen Toleranzgebot der Gesellschaft stehen. Aufgrund der Ausstrahlungswirkung des öffentlichen Rechts kann erwartet werden, dass die Rechtsprechung der Zivilgerichte zukünftig davon ausgeht, dass von Kindereinrichtungen ausgehende Geräusche im Regelfall keine wesentliche Beeinträchtigung für Eigentümer benachbarter Grundstücke darstellen. Sollte die Praxis gleichwohl dieser Ausstrahlung nicht entsprechen, müsste eine Änderung des zivilrechtlichen Nachbarschaftsrechts geprüft werden.

Im Hinblick auf das Bauplanungsrecht kann sich aufgrund der Änderung des § 22 BImSchG auch eine Ausstrahlung auf die Anwendung des allgemeinen Rücksichtnahmegebots (u.a. in § 15 Absatz 1 Satz 2 BauNVO) ergeben. Ferner sieht der Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode eine Bauplanungsrechtsnovelle vor. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung beabsichtigt, im Rahmen dieser Bauplanungsrechtsnovelle § 3 Absatz 2 BauNVO dahingehend zu ergänzen, dass in reinen Wohngebieten nicht nur Wohngebäude, sondern auch Anlagen zur Kinderbetreuung, deren Anzahl von Betreuungsplätzen nicht wesentlich über den typischerweise zu erwartenden Bedarf eines reinen Wohngebiets der jeweiligen Größe hinausgeht, generell zulässig sind.

Im Rahmen der Bauplanungsrechtsnovelle soll auch geprüft werden, wie die geplante Änderung des § 3 BauNVO durch eine Ergänzung im Baugesetzbuch auf geltende Bebauungspläne ausgeweitet werden kann. Die angesprochenen Regelungen können sachgerecht nur im Rahmen der Bauplanungsrechtsnovelle erfolgen. Das förmliche Gesetzgebungsverfahren für die Bauplanungsrechtsnovelle soll 2011 eingeleitet werden.

II. Gesetzgebungskompetenzen des Bundes

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Weiterentwicklung des Lärmschutzrechts durch Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 24 des Grundgesetzes ("Lärmbekämpfung"). Bei den Änderungen des § 22 BImSchG handelt sich um eine immissionsschutzrechtliche Regelung zur Lärmbekämpfung, selbst wenn der Regelungsgehalt eine Privilegierung gegenüber anderen Geräuschquellen beinhaltet.

In Abgrenzung dazu geht es vorliegend nicht um Regelungen zum Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm, für den seit der Föderalismusreform eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder besteht. Mit dem Begriff "verhaltensbezogener Lärm" hat der Gesetzgeber einen im Immissionsschutz- und Anlagenrecht entwickelten und von Rechtsprechung und Literatur anerkannten Begriff aufgegriffen, so dass kein neuer Begriff mit eigenem, verfassungsrechtlichem Vorverständnis in das Grundgesetz eingeführt worden ist. Im Immissionsschutzund Anlagenrecht versteht sich der Begriff "verhaltensbezogener Lärm" nur vor dem Hintergrund des Begriffes "anlagenbezogener Lärm" und in Abgrenzung dazu, so dass der Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm neben dem Schutz vor anlagenbezogenem Lärm steht, welcher insoweit für die Reichweite des Bundes-Immissionsschutzgesetzes bestimmend ist. Von diesem Verständnis geht auch die Staatspraxis aus.

Der Immissionsschutz für nichtgenehmigungsbedürftige Anlagen ist allerdings im Bundes-Immissionsschutzgesetz nicht abschließend geregelt. Gegenüber den Anforderungen des § 22 Absatz 1 BImSchG bleiben gemäß Absatz 2 weitergehende öffentlichrechtliche Vorschriften unberührt, wobei dies auch landesrechtliche Vorschriften sein können. Ferner sind die Landesregierungen gemäß § 23 Absatz 2 BImSchG ermächtigt, durch Rechtsverordnung (gemäß Artikel 80 Absatz 4 des Grundgesetzes auch durch Gesetz) vorzuschreiben, dass die Errichtung, die Beschaffenheit und der Betrieb nichtgenehmigungsbedürftiger Anlagen bestimmten Anforderungen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft genügen müssen, soweit die Bundesregierung von der Ermächtigung keinen Gebrauch macht.

Das anlagenbezogene Immissionsschutzrecht gilt nicht nur für schädliche Umwelteinwirkungen, die von einer Anlage selbst hervorgerufen werden, sondern darüber hinaus werden im Hinblick auf anlagenbezogene Anforderungen auch Emissionen der Anlage zugerechnet, die von Menschen, Tieren oder Pflanzen ausgehen und in einem betrieblichen oder funktionellen Zusammenhang mit dem Betrieb der Anlage auftreten. Der immissionsschutzrechtliche Anlagenbegriff ( § 3 Absatz 5 BImSchG) ist im weitesten Sinne zu verstehen; er umfasst neben genehmigungsbedürftigen Anlagen, die ihrer Art nach in der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV) enumerativ aufgelistet sind, auch nichtgenehmigungsbedürftige Anlagen, die ihrer Art nach nicht bestimmt sind, jedoch allgemeinen gesetzlichen Merkmalen (u.a. Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen, emissionsträchtige Grundstücke) entsprechen. Anlagen für soziale Zwecke sowie Sport- und Freizeitanlagen unterfallen dem immissionsschutzrechtlichen Anlagenbegriff, damit auch Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätze und ähnliche Einrichtungen. Hingegen unterfallen Flächen, die von Kindern lediglich zum Spielen benutzt werden, nicht dem Anlagenbegriff, so dass davon kein anlagenbezogener Lärm hervorgerufen wird und dafür vom Bund keine immissionsschutzrechtlichen Regelungen getroffen werden können.

III. Gesetzesfolgen, Kosten

Aufgrund der mit dem Änderungsgesetz vorgesehenen Privilegierung des von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen ausgehenden Kinderlärms ist zu erwarten, dass gegen diese Einrichtungen seltener vorgegangen wird. Die Chancen für eine gütliche Einigung mit den vom Kinderlärm Betroffenen, die ihre Belange in verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Verfahren zu verfolgen suchen, werden deutlich erhöht. Der Ausbau der Kinderbetreuung wird erleichtert.

1. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

a) Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

Soweit Bund, Länder und Gemeinden für die Errichtung und den Betrieb von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen finanzielle Mittel bereit stellen und diese Mittel auch auf die Durchführung von Rechtsstreitigkeiten über den von diesen Einrichtungen ausgehenden Kinderlärm verwandt werden, führt die mit dem Änderungsgesetz vorgesehene Privilegierung des Kinderlärms zu einer Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten und damit zu einer Ausgabenminderung in nicht bezifferbarer Höhe.

b) Vollzugsaufwand

Der Vollzug des Bundes-Immissionsschutzgesetzes obliegt bei den vom Änderungsgesetz erfassten Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen den Länder und den nach Landesrecht zuständigen Behörden. Durch die Privilegierung des Kinderlärms werden die verwaltungsbehördlichen Verfahren entlastet und wird der Vollzugsaufwand reduziert. Auch für gerichtliche Streitverfahren muss weniger Aufwand betrieben werden. Dadurch ergeben sich Kostenersparnisse für die öffentlichen Haushalte in nicht bezifferbarer Höhe.

2. Sonstige Kosten

Die Wirtschaft ist durch das Änderungsgesetz nicht unmittelbar betroffen; sie profitiert allenfalls mittelbar im Hinblick auf die Beschäftigten, die als Eltern durch den erleichterten Ausbau der Kinderbetreuung besser einer beruflichen Tätigkeit nachgehen können. Auswirkungen des Änderungsgesetzes auf Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.

IV. Bürokratiekosten / nachhaltige Entwicklung

Mit dem Änderungsgesetz werden inhaltliche Anforderungen an die Bewertung von Kinderlärm geregelt. Informationspflichten für die Wirtschaft, die Verwaltung oder Bürgerinnen und Bürger werden nicht eingeführt, geändert oder aufgehoben. Andere administrative Pflichten werden weder eingeführt noch erweitert. Wesentliche Auswirkungen für eine nachhaltige Entwicklung sind nicht gegeben.

B. Zu den einzelnen Artikeln

Zu Artikel 1 (Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes)

Mit Artikel 1 des Gesetzes wird in § 22 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) ein neuer Absatz 1a für Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätze und ähnliche Einrichtungen eingefügt. Bestimmt § 22 BImSchG bislang allgemein für nichtgenehmigungsbedürftige Anlagen, dass diese so zu errichten und zu betreiben sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen u.a. durch Geräusche verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, und dass nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden, wird mit dem neuen Absatz 1a eine privilegierende Regelung für Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätze und ähnliche Einrichtungen getroffen.

Die Privilegierung betrifft Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen durch Kinder hervorgerufen werden. Darunter fallen zunächst alle Geräuscheinwirkungen durch kindliche Laute wie Sprechen und Singen, Lachen und Weinen, Rufen und Schreien und Kreischen. Aber auch Geräuscheinwirkungen durch körperliche Aktivitäten wie Spielen, Laufen, Springen und Tanzen gehören hierzu, selbst wenn vielfach die eigentliche Geräuschquelle in kindgerechten Spielzeugen, Spielbällen und Spielgeräten sowie Musikinstrumenten liegt. Dies gilt auch für Geräuscheinwirkungen durch Sprechen und Rufen von Betreuerinnen und Betreuern, da diese Laute unmittelbar durch die Kinder und ihre Betreuung bedingt sind. Im Übrigen gilt jedoch das allgemeine Immissionsschutzrecht, so dass die technische Ausstattung der Einrichtungen und auch der Spielgeräte den Anforderungen entsprechen muss.

Unter Kindertageseinrichtungen sind Einrichtungen im Sinne des § 22 Absatz 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Achtes Buch - (SGB VIII) zu verstehen, d.h. Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden. Unter ähnlichen Einrichtungen wie Kindertageseinrichtungen sind bestimmte Formen der Kindertagespflege gemäß § 22 Absatz 1 Satz 2 SGB VIII zu verstehen, die nach ihrem Erscheinungsbild ähnlich wie Kindertageseinrichtungen betrieben werden (z.B. Kinderläden). Im vorgenannten Kontext ist gemäß § 7 Absatz 1 Nummer 1 SGB VIII Kind, wer noch nicht 14 Jahre alt ist. Gleiches gilt im Hinblick auf Kinderspielplätze und ähnliche Einrichtungen. Darunter sind kleinräumige Einrichtungen zu verstehen, die auf spielerische oder körperlichspielerische Aktivitäten von Kindern zugeschnitten sind und die wegen ihrer sozialen Funktion regelmäßig wohngebietsnah gelegen sein müssen. Ballspielflächen für Kinder gehören hierzu; sie werden exemplarisch angeführt. Davon zu unterscheiden sind Spiel- und Bolzplätze sowie Skateranlagen und Streetballfelder für Jugendliche, die großräumiger angelegt sind und ein anderes Lärmprofil haben als Kinderspielplätze. Diese Anlagen werden von der Privilegierung nicht erfasst. Die Privilegierung gilt auch nicht für Sportanlagen im Sinne der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV), die am Leitbild einer Anlage orientiert ist, die dem Vereinssport, Schulsport oder vergleichbar organisiertem Freizeitsport dient.

Durch Satz 1 des neuen Absatzes 1a in § 22 BImSchG wird für den Gesetzesvollzug sichergestellt, dass Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen durch Kinder hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung sind. Bestimmt § 3 Absatz 1 BImSchG den Begriff "schädliche Umwelteinwirkungen" u.a. mit Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen, so dürfen bei der danach erforderlichen Bewertung die durch Kinder hervorgerufenen Geräuscheinwirkungen nicht mit den Geräuscheinwirkungen von lärmenden Erwachsenen oder auch von gewerblichen Aktivitäten gleichgesetzt werden. Bei der Frage nach der Erheblichkeit von Nachteilen oder Belästigungen muss bei Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen ein anderer Maßstab zur Anwendung kommen als der, welcher für gewerbliche Anlagen gilt und der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) zugrunde liegt oder welcher für Sport- oder Freizeitanlagen gilt und der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) bzw. der LAI-Freizeitlärmrichtlinie zugrunde liegt.

Kindertageseinrichtungen und Kinderspielplätze sind nicht nur im öffentlichen Interesse erforderlich, sie sind in einer kinderfreundlichen Gesellschaft auch willkommen und zu fördern. Von daher ist eine Regelung erforderlich, wonach im Regelfall von Kindertageseinrichtungen und Kinderspielplätzen, die sich in Wohngebiete und in die vorhandene Bebauung einfügen, keine Geräuscheinwirkungen durch Kinder hervorgerufen werden, die als erheblich im Sinne des § 3 Absatz 1 BImSchG zu bewerten wären. Mit Satz 1 des neuen Absatzes 1a von § 22 BImSchG wird deshalb ein entsprechender Bewertungsmaßstab und eine entsprechende Vermutung für den Regelfall in das Lärmschutzrecht eingeführt. Danach sind die Geräuscheinwirkungen keine schädliche Umwelteinwirkung, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände vorliegen und diese zu einer anderen Beurteilung führen. Im Ergebnis stellt die Regelung eine Privilegierung des Kinderlärms gegenüber anderen Lärmquellen dar.

Die neue Regelung ist ersichtlich nicht als Begriffsbestimmung ausgestaltet, mit der die allgemeine Bestimmung des Begriffs "schädliche Umwelteinwirkung" in Absatz 1 des § 3 BImSchG explizit modifiziert und darüber hinaus das Vorliegen einer schädlichen Umwelteinwirkung kategorisch ausgeschlossen wird. Dies würde die immissionsschutzrechtlichen Anforderungen schlechthin außer Kraft setzen. Eine auch dem Drittschutz betroffener Nachbarn verpflichtete Regelung muss vielmehr für besondere Fallsituationen eine Prüfung im Einzelfall ermöglichen, in dem selbst bei Zugrundelegung eines weiten Maßstabs noch erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen angenommen werden können. Diese Prüfung bleibt mit der neuen Regelung, die nur für den Regelfall gilt, eröffnet.

Ein vom Regelfall abweichender Sonderfall liegt im Hinblick auf die Belange des Schutzes vor Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen und Kinderspielplätzen hervorgerufen werden, allerdings nur vor, wenn besondere Umstände gegeben sind, zum Beispiel die Einrichtungen in unmittelbarer Nachbarschaft zu sensiblen Nutzungen wie Krankenhäuser und Pflegeanstalten gelegen sind, oder sich die Einrichtungen nach Art und Größe sowie Ausstattung in Wohngebiete und die vorhandene Bebauung nicht einfügen.

Im Hinblick auf die Durchführung einer Sonderfallprüfung ist allerdings eine Konkretisierung des Sonderfalls beziehungsweise seine Abgrenzung vom Regelfall durch formalgesetzliche Kriterien kaum möglich und auch nicht notwendig. Eine Konkretisierung würde einen Regelungsumfang und eine Regelungstiefe bedingen, denen nur auf untergesetzlicher Ebene Rechnung zu tragen wäre. Durch Erlass einer Rechtsverordnung auf Grund des § 23 BImSchG könnten jedoch - soweit sich die zu einem späteren Zeitpunkt noch als erforderlich erweisen sollte - entsprechende Regelungen getroffen werden.

Eine dem Immissionsschutzrecht entsprechende Privilegierung ist auch für das zivile Nachbarschaftsrecht nach § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geboten, um eine divergierende Rechtsprechung von Verwaltungsgerichten und Zivilgerichten zu vermeiden. Gleichwohl braucht § 906 BGB nicht geändert zu werden. Nachdem schon in § 906 BGB auf Grenz- und Richtwerte des Immissionsschutzrechts Bezug genommen wird, kann erwartet werden, dass die Privilegierung des Kinderlärms durch die neue Regelung in § 22 Absatz 1a BImSchG auf die Anwendung des Nachbarschaftsrechts nach § 906 BGB ausstrahlt. Eine spätere Änderung des § 906 BGB wird allerdings für den Fall zu prüfen sein, dass sich die Ausstrahlungswirkung nicht als ausreichend erweisen sollte.

Über den eigentlichen Anwendungsbereich hinaus ist die Privilegierungsregelung des § 22 Absatz 1a BImSchG ihrer Art nach so grundsätzlicher Natur, dass sie auch auf das sonstige Immissionsschutzrecht und über das zivile Nachbarschaftsrecht hinaus auch auf das sonstige Zivilrecht, insbesondere das Mietrecht und Wohnungseigentumsrecht, ausstrahlt, soweit dieses jeweils für die Bewertung von Kinderlärm relevant ist.

Mit Satz 2 des neuen Absatzes 1a von § 22 BImSchG wird geregelt, dass bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen keine Immissionsgrenz- und -richtwerte herangezogen werden dürfen. Solche quantitativen Werte sind für Kindereinrichtungen nicht angebracht; die ihnen zugrunde liegenden Lärmindizes in Form von Dezibel (dB) sind physikalische Größen der Akustik, so dass ein allein darauf beruhender Bewertungsmaßstab für die Beurteilung der von spielenden Kindern hervorgerufenen Geräuscheinwirkungen dem besonderen Toleranzgebot der Gesellschaft grundsätzlich nicht gerecht werden kann. Mithin ist für die Beurteilung entscheidend, ob sich Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätze und ähnliche Einrichtungen nach Art und Größe sowie Ausstattung in Wohngebiete und die vorhandene Bebauung einfügen. In einem solchen Regelfall liegen die von den Einrichtungen hervorgerufenen Geräuscheinwirkungen durch spielende Kinder im Rahmen des Üblichen und sind nicht geeignet, eine erhebliche Belästigung für die Nachbarschaft und damit eine schädliche Umwelteinwirkung im Sinne des § 3 Absatz 1 BImSchG herbeizuführen.

Wird das Vorliegen eines Sonderfalls behauptet, kommt es in verwaltungsbehördlichen Verfahren ausschließlich auf die Würdigung des Einzelfalls an, wobei ggf. Sachverständige hinzuzuziehen sind. In einem Sonderfall können zur Beurteilung der Geräuscheinwirkungen die Erkenntnisse aus problematischen Nachbarschaftsverhältnissen und die lärmschutzfachlichen Methoden und Erfahrungen mit der Erfassung und Bewältigung von vergleichbaren Sonderfällen herangezogen werden, wo nur Anforderungen an Errichtung, Beschaffenheit und Betrieb der Einrichtungen zu akzeptablen Ergebnissen für die Beteiligten geführt haben.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Artikel 2 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKR-Gesetz:
NKR-Nr. 1588:
10. Gesetz zur Änderung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes

Der Nationale Normenkontrollrat hat den Entwurf des o.g. Gesetzes auf Bürokratiekosten, die durch Informationspflichten begründet werden, geprüft.

Das Regelungsvorhaben hat keine Auswirkungen auf Informationspflichten für Wirtschaft, Verwaltung, Bürgerinnen und Bürger.

Vor diesem Hintergrund hat der NKR im Rahmen seines gesetzlichen Mandats keine Bedenken gegen das Regelungsvorhaben.

Dr. Ludewig Prof. Dr. Wittmann
Vorsitzender Berichterstatter