Der Bundesrat hat in seiner 919. Sitzung am 14. Februar 2014 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat anerkennt die Anstrengungen der Kommission, europaweit einheitliche Mindeststandards zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens für Verdächtige und Beschuldigte in Strafverfahren festzulegen.
- 2. Er begrüßt daher das Vorhaben der Kommission, in Fortentwicklung der Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (ABl. L 294 vom 6. November 2013, Seite 1) die Verfahrensrechte von Verdächtigen und Beschuldigten in Strafverfahren zu stärken. EU-weite Mindeststandards auf diesem Gebiet können ein wichtiger Beitrag zur Förderung des wechselseitigen Vertrauens der Justizbehörden der Mitgliedstaaten sein und hierdurch die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von justiziellen Entscheidungen erleichtern.
- 3. Ausgangspunkt der Überlegungen müssen die in der Charta der Grundrechte der EU, der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie in anderen einschlägigen Bestimmungen des Völkerrechts verbrieften Verfahrensrechte sein. Dabei gilt es, die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 82 Absatz 2 Satz 2 AEUV zu berücksichtigen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu achten. Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die ein höheres Schutzniveau vorsehen, sind unangetastet zu lassen und Eingriffe in die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten in einem der sensibelsten Bereiche auf das Unerlässliche zu beschränken.
- 4. Der Bundesrat nimmt zustimmend zur Kenntnis, dass der Richtlinienvorschlag keine konkreten Vorgaben für die Ausgestaltung und Bewilligung der vorläufigen Prozesskostenhilfe und Prozesskostenhilfe enthält, sondern auf die Bewilligungskriterien nach Maßgabe des nationalen Rechts verweist und eine Berücksichtigung des Rechtspflegeinteresses zulässt.
- 5. Im Lichte der vorgenannten Grundsätze erachtet der Bundesrat den vorgesehenen frühen Zeitpunkt für die Gewährung vorläufiger Prozesskostenhilfe ab Freiheitsentzug als zu weitgehend. In Fällen, in denen ein nur kurzzeitiger Freiheitsentzug von wenigen Stunden oder allenfalls Tagen - zum Beispiel zur Feststellung der Identität einer Person oder für ihre körperliche Untersuchung - erfolgt, erscheint vorläufige Prozesskostenhilfe auch zur Gewährleistung des Rechts auf ein faires Verfahren nicht geboten. Rechtsstaatlicher Mehrwert ist von vorläufiger Prozesskostenhilfe jedenfalls dann nicht zu erwarten, wenn bei dem absehbaren Verfahrensgang unter Berücksichtigung angemessener Einarbeitung die Stellungnahme eines Rechtsbeistands entweder von der Freilassung oder von der Entscheidung eines unabhängigen Gerichts über die Fortdauer des Freiheitsentzuges und die Gewährung von Prozesskostenhilfe überholt wird. Eine Forderung nach ausnahmsloser Gewährung vorläufiger Prozesskostenhilfe ab Freiheitsentzug lehnt der Bundesrat im Hinblick auf die damit verbundenen Kostenfolgen für die Länder als zu weitgehend ab.
- 6. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Erhebung von Daten zur Bewilligung vorläufiger Prozesskostenhilfe außerhalb vollstreckter Europäischer Haftbefehle erheblichen Verwaltungs- und Kostenaufwand nach sich zieht. Die Evaluierung, inwieweit die mit dem Richtlinienvorschlag verfolgten Ziele erreicht sind, muss nämlich über numerische Erhebungen hinausgehen, weil die schlichte Erhebung von Fallzahlen Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten nicht berücksichtigt und daher kaum aussagekräftig ist. Für eine Bewertung, inwieweit die mit dem Richtlinienvorschlag verfolgten Ziele erreicht sind, erscheinen andere vorhandene Evaluierungsmechanismen besser geeignet.
- 7. Die Bundesregierung wird gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass die Justiz nicht durch Mehrausgaben belastet wird.