Der Bundesrat hat in seiner 878. Sitzung am 17. Dezember 2010 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, mit dem Vorschlag zur Verordnung präventiv terroristischen Aktivitäten vorzubeugen, sowie die Anstrengungen zur Terrorismusbekämpfung.
- 2. Der Bundesrat begrüßt daher die Initiative zur Vereinheitlichung der Anforderungen zur Beschränkung des Zugangs zu Ausgangsstoffen für Explosivstoffe (Explosivstoffgrundstoffe) auf europäischer Ebene. Das Ziel, dem missbräuchlichen Erwerb von gängigen Explosivstoffgrundstoffen zu begegnen, kann nicht allein durch nationale Regelungen erreicht werden, solange es möglich ist, Explosivstoffgrundstoffe in einem Mitgliedstaat ohne weitere Einschränkungen zu erwerben, um sie in einem anderen für selbst hergestellte Explosivstoffe zu verwenden. Dies hat der Bundesrat auch in seinem Beschluss zur Zweiten Verordnung zur Änderung der Chemikalien-Verbotsverordnung (vgl. BR-Drucksache 353/08(B) ) festgestellt. Ein isoliertes nationales Verbot von Explosivstoffgrundstoffen, wie es derzeit in der Chemikalien-Verbotsverordnung besteht, bedingt darüber hinaus Wettbewerbsnachteile des heimischen Handels gegenüber Mitgliedstaaten mit weniger strengen Vorschriften.
Dem kann nur durch eine EU-weite Verankerung der Beschränkungen des Zugangs zu Explosivgrundstoffen entgegengewirkt werden.
- 3. Er sieht jedoch in dem vorliegenden Vorschlag grundlegenden Überarbeitungsbedarf. Die Vorschriften erscheinen als zu weitgehend und dürften zu erheblichen Belastungen für Wirtschaft, Verwaltungen und Bürgerinnen und Bürger führen. Von den Vorschriften wird eine große Zahl von üblichen Verbraucherprodukten erfasst. Insbesondere die Verpflichtung zur Ausstellung von Einzelbezugsgenehmigungen führt zu einem nicht vertretbaren bürokratischen Aufwand für die Handelsunternehmen, Vollzugsbehörden und die Abnehmer. Die Vorgaben zur Meldung von verdächtigen Transaktionen dürften schwer zu erfüllen sein und erheblichen bürokratischen Aufwand nach sich ziehen.
- 4. Der Bundesrat ist insbesondere der Auffassung, dass die Vorgaben des Verordnungsvorschlags zu einem für die Unternehmen heute nicht absehbaren bürokratischen Aufwand führen können, der besonders kleine und mittlere Unternehmen belastet.
- 5. Aus Sicht des Bundesrates sollte der Verordnungsvorschlag daher nochmals auf die bürokratische Belastung sowie die Durchführbarkeit und Zweckmäßigkeit der für eine Genehmigung zu erbringenden Nachweise überprüft werden.
- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, sich auf EU-Ebene für eine Überarbeitung des Vorschlags einzusetzen. Dabei sollte das auf nationaler Ebene etablierte und bewährte System zur Erschwerung des Zugangs für Explosivstoffgrundstoffe auf Basis der Chemikalien-Verbotsverordnung mit folgenden Kernelementen zur Anwendung kommen:
- - Identitätsfeststellung des Erwerbers,
- - Abgabebuch,
- - Versandhandelsverbot sowie
- - Selbstbedienungsverbot.
Zu Artikel 3 Absatz 1
- 7. Der Begriff des Inverkehrbringens sollte entsprechend der REACH-Verordnung bestimmt werden.
Im Chemikalienrecht (vgl. Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Verordnung) Artikel 3 Absatz 12) gelten neben der Abgabe auch die Bereitstellung und die Einfuhr als Inverkehrbringen. Im Sinne einer einheitlichen Rechtsetzung und Rechtsanwendung sollte die Begriffsbestimmung für das Inverkehrbringen entsprechend ergänzt werden.
Die Definition des Inverkehrbringens sollte mithin auch die Einfuhr in die Gemeinschaft umfassen.
Begründung:
Im Chemikalienrecht - vgl. die REACH-Verordnung in Artikel 3 Absatz 12 - gilt allgemein auch die Einfuhr als Inverkehrbringen. Dass dies auch die Absicht des vorliegenden Verordnungsvorschlags ist, zeigt Artikel 4 Absatz 3. Deshalb sollte die Begriffsbestimmung für das Inverkehrbringen entsprechend ergänzt werden.
Zu Artikel 4 Absatz 2
- 8. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, insbesondere auf die Ablehnung des in Artikel 4 erstmals vorgesehenen Genehmigungserfordernisses für den Erwerb von Stoffen oder ihren Gemischen des Anhangs I hinzuwirken. Im Hinblick auf das Antragsverfahren ist mit erheblichem Aufwand für die Behörden und Antragsteller und voraussichtlich geringer Akzeptanz zu rechnen. Die geforderte Überprüfung der Gültigkeit der bei der Transaktion vorgelegten Genehmigung und die Dokumentation der Transaktion sind in der alltäglichen Praxis nicht umsetzbar, da die Transaktionen mit den meist gängigen Produkten sehr zügig an der Kasse vonstatten gehen. Das Personal vor Ort kann zudem nicht prüfen, ob z.B. eine Fälschung vorliegt. Die Pflicht zum Hinweis auf das Genehmigungserfordernis auf der Verpackung ist nur für Wirtschaftsteilnehmer umsetzbar, welche die enthaltenen Stoffkonzentrationen kennen, also in der Regel nicht für den Einzelhandel.
Zu Artikel 4 Absatz 4
- 9. Er stellt ferner fest, dass die Vorlage hinsichtlich der Anwendung im Bereich der Landwirtschaft nicht eindeutig ist und gegebenenfalls die übliche ordnungsgemäße Bewirtschaftung in Teilen unverhältnismäßig beschränkt.
Die in Anhang II genannten Düngemittel finden auch Einsatz im Gartenbau und in der Forstwirtschaft.
Es bestehen Zweifel, dass die Freigabe nur von Ammoniumnitrat und seiner Gemische ausreicht, um den üblichen Düngemittelbedarf abzudecken.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, sich im Rahmen der weiteren Beratungen dafür einzusetzen, dass dahingehend Klarheit geschaffen wird, dass die Regelung des Artikels 4 Absatz 4 auch für den Erwerbsgartenbau und die Forstwirtschaft gilt und entsprechend die Definition der landwirtschaftlichen Tätigkeit erweitert wird.
Ferner wird die Bundesregierung gebeten dafür Sorge zu tragen, dass der Düngemitteleinkauf nicht durch zusätzliche Belastungen erschwert wird.
Zu Artikel 6
- 10. Der Bundesrat weist außerdem darauf hin, dass die Umsetzung der Meldepflicht in Artikel 6 mit erheblichen Unsicherheiten behaftet und in der aktuellen Fassung nur schwer umzusetzen und zu überwachen ist: Der Begriff "verdächtig" ist zu unbestimmt. Die zum Zeitpunkt des Vorschlags der Transaktion geforderte Meldung - also vor dem Verkaufsvorgang - ist bei gängigen Produkten und den regelmäßig sehr zügig erfolgenden Transaktionen an der Ladenkasse nicht praktikabel.
- 11. Erheblich zu weit geht aus Sicht des Bundesrates die Pflicht gemäß Artikel 6 Absatz 4 zur Meldung "verdächtiger" Transaktionen, soweit sie sich auf den Erwerb bisher nicht erfasster Stoffe und Gemische beziehen. Sie verlangt damit vom Verkaufspersonal z.B. in Bau- und Gartenmärkten Kenntnisse darüber, aus welchen, nicht ausdrücklich in Rechtstexten benannten sonstigen Stoffen bzw. Gemischen Explosivstoffe erzeugt werden können, welche Stoffmengen dafür erforderlich sind und in welchen Konzentrationen diese Stoffe jeweils in gängigen Produkten enthalten sind. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen dürfte eine so allgemein gehaltene Meldepflicht schwerlich vereinbar sein.
Zu Anhang I
- 12. Der in Anhang I für Salpetersäure (CAS-Nr. 7697-37-2) angegebene "Mindestmassenanteil" von 3 Gewichtsprozent erscheint als zu niedrig. Die Festlegung dieser Konzentrationsgrenze sollte überprüft werden. Für die Herstellung von Explosivstoffen mittels Salpetersäure (durch Nitrierungsreaktionen) dürften höhere Konzentrationen erforderlich sein.
Zu den Anhängen I und II
- 13. Die Stoffe Kaliumnitrat (CAS-Nr. 7757-79-1) - auch Salpeter genannt - und Natriumnitrat (CAS-Nr. 7631-99-4) sollten in Anhang I (Beschränkungen des Inverkehrbringens) statt in Anhang II (Meldepflichten) stehen.
Begründung:
Kaliumnitrat ist der am häufigsten missbräuchlich für Sprengstoff-Selbstlaborate (hier: Schwarzpulver) verwendete Stoff. Ersatzweise wird auch Natriumnitrat benutzt. Beide haben keine wesentlichen anderen Anwendungsgebiete für die breite Allgemeinheit.