874. Sitzung des Bundesrates am 24. September 2010
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen mit dem Ziel der Übertragung der Aufsichtskompetenzen an die European Securities and Markets Authority (ESMA) und zur Erhöhung der Transparenz im Ratingprozess.
- 2. Er unterstützt deshalb die Bundesregierung, sich für weitere Reformen einzusetzen. Die Reformen dürfen sich aber nach der Auffassung des Bundesrates nicht allein auf die Fragen der Regulierung der Ratingagenturen beschränken. Deshalb bittet der Bundesrat die Bundesregierung, im weiteren Verfahren folgende Aspekte zu berücksichtigen:
- 3. Einen erheblichen Beitrag zur großen Bedeutung der Ratingagenturen in den Finanzmärkten haben die internationalen Eigenkapitalregeln für die Banken geleistet. Danach soll das von den Banken vorzuhaltende Eigenkapital umso größer sein, je risikoreicher die betriebenen Geschäfte oder die gehaltenen Wertpapiere sind. Diese Risikobewertungen hängen ganz überwiegend von den Einschätzungen der Ratingagenturen ab. Deshalb wird die Bundesregierung gebeten, im weiteren Verfahren auf eine Prüfung hinzuwirken, ob eine Ergänzung dieser aufsichtsrechtlich notwendigen Risikobewertungen durch andere Risikokennziffern zweckmäßig ist, um die große Abhängigkeit der Risikobewertungen von den Einschätzungen der Ratingagenturen zu reduzieren. In Betracht kommt u.a. auch eine Einbeziehung der Bewertung von Kreditausfallrisiken durch Kreditderivate, die zeitnah aktuelle Risikoerwartungen widerspiegeln.
- 4. Der Wettbewerb der Ratingagenturen sollte gestärkt werden, um die Abhängigkeit der Investoren und Aufsichtsbehörden von einigen wenigen marktbeherrschenden Ratingagenturen zu reduzieren. Dies ist auf mehreren Wegen möglich:
- 5. Zum einen sollten regulatorische Marktzutrittsschranken für Ratingagenturen überprüft und reduziert werden.
Zum anderen ist die Transparenz der Arbeit der Ratingagenturen deutlich zu erhöhen, um den Finanzmärkten und ihren Teilnehmern eine bessere Einschätzung der Qualität der Arbeit der Ratingagenturen zu ermöglichen. Die Aufsicht könnte für geeignete Produktklassen, die international einheitlich zu klassifizieren sind, eine methodisch einwandfreie Statistik der ergangenen Rating-Urteile und der entsprechenden Zahlungsausfälle erstellen, laufend aktualisieren und veröffentlichen.
- 6. Die Finanzmarktteilnehmer, insbesondere Banken und Versicherungen, die in Anleihen investieren, sollten eindeutig auf ihre eigene Verantwortung als Investoren bei der Auswahl der eigenen Anlagen hingewiesen werden. Diese Verantwortung kann ihnen keine Ratingagentur abnehmen. Blindes Vertrauen auf Ratings ist nicht gerechtfertigt. Selbst bei intensivster Regulierung der Ratingagenturen besteht auch künftig ein Modellrisiko. Bei der Entwicklung neuer strukturierter Anleihen wird es nicht immer möglich sein, auf bewährte Ratingverfahren zurückzugreifen und diese direkt oder analog auf die neuen Finanzprodukte anzuwenden. Deshalb müssen auch für einige neue Finanzprodukte neue Bewertungsmodelle für das Rating entwickelt werden. Dabei besteht das grundsätzliche Risiko, dass neue Bewertungsmodelle die möglichen Risiken neuer Finanzprodukte und ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten nicht korrekt abbilden. Die Aufsichtsbehörden haben dabei grundsätzlich auch kein besseres Wissen hinsichtlich der Fehlerfreiheit neu entwickelter Bewertungsmodelle.
- 7. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass allgemein veröffentlichte statistische Finanzdaten, die auch Grundlage von Risikobewertungen sind, inkorrekt sind. Deshalb liegt es in der eigenen Verantwortung der Investoren, ihr Augenmerk nicht nur auf die Renditeoptimierung, sondern auch auf die Plausibilitätskontrolle von Risikobewertungen zu legen.
Die Eigenverantwortung der Investoren sollte auch dadurch gestärkt werden, dass künftig Sorglosigkeit bei der Anlage durch die Märkte sanktioniert wird. Hierfür ist es notwendig, dass ökonomische Fehlanreize vermieden werden, die eine berechtigte Spekulation auf Rettung mit Steuergeldern zu Lasten der Steuerzahler und der gewissenhaften Wettbewerber nach sich ziehen.
- 8. Der Bundesrat fordert, dass insbesondere ein symmetrischer Informationsfluss zwischen ESMA und den nationalen Aufsichtsbehörden gewährleistet sein muss. Es muss sichergestellt werden, dass allein vor dem Hintergrund der erforderlichen Planungssicherheit im Hinblick auf Ressourcen- und Finanzplanung die Übertragung von Aufgaben auf nationale Behörden nur im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen darf. Die vorgeschlagenen Regelungen kommen diesen Bedürfnissen nicht nach. Ebenso sind für den Fall, dass ESMA den nationalen Behörden spezifische Aufgaben überträgt, Regelungen über die Weiterleitung von Gebühren an die nationale Aufsichtsbehörde festzulegen. Eine entsprechende Überarbeitung von Artikel 19 der vorgeschlagenen Verordnung ist erforderlich.
- 9. Der Bundesrat sieht die Notwendigkeit, den Abstimmungsprozess zwischen ESMA und den nationalen Aufsichtbehörden deutlich klarer zu spezifizieren. Die nationalen Aufsichtsbehörden müssen bei der Erstellung von Leitlinien zur Aufgabenübertragung auf nationale Aufsichtsbehörden eingebunden werden. Eine entsprechende Überarbeitung von Artikel 21 Absatz 2 Buchstabe c der vorgeschlagenen Verordnung ist erforderlich.
B
- 10. Der Finanzausschuss und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß § § 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.