Der Bundesrat hat in seiner 910. Sitzung am 7. Juni 2013 gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes beschlossen, zu dem Gesetzentwurf wie folgt Stellung zu nehmen:
Zum Gesetzentwurf allgemein
- 1. Der Gesetzentwurf soll die Voraussetzung dafür schaffen, dass die förmliche Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat zum Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank in der Fassung vom 16. April 2013 erteilt werden kann.
- 2. Die mit dem Verordnungsvorschlag vorgesehene Schaffung einer einheitlichen europäischen Bankenaufsicht ist nach Auffassung des Bundesrates ein notwendiger Schritt hin zur Schaffung einer Bankenunion. Die Bankenunion schließt eine offene Flanke, die seit Errichtung der Europäischen Währungsunion bestand. Ausgehend von den Erfahrungen der Finanzkrise - und bei richtiger Ausgestaltung - kann die Bankenunion den Ansteckungsrisiken entgegenwirken, die durch Schieflagen in den nationalen Finanzsystemen entstehen. Die Bankenunion stellt nach Auffassung des Bundesrates gleichzeitig einen gewaltigen Integrationsschritt in Europa dar. Die Schaffung der Bankenunion muss deshalb gut vorbereitet und konsequent ausgestaltet sein.
- 3. Der Bundesrat begrüßt die Zielsetzung des Verordnungsvorschlags, einen einheitlichen Aufsichtsmechanismus für Banken einzurichten, um die Finanzstabilität auf der Basis effektiver Aufsichts- und Krisenmanagementsysteme zu sichern und den Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen zu erhalten. Der einheitliche Aufsichtsmechanismus soll dazu führen, einen europaweit einheitlichen, hohen Aufsichtsstandard sicherzustellen, der übermäßige Risiken konsequent begrenzt, in den nationalen Bankensystemen bestehende Risiken offenlegt und damit eine mögliche Beschönigung von Problemen in den einzelnen Mitgliedstaaten verhindert. Schließlich soll der einheitliche Aufsichtsmechanismus länderübergreifende Wechselwirkungen und europaweite systemische Zusammenhänge besser beachten, als es nationale Aufseher leisten können.
- 4. Der Bundesrat begrüßt vor allem, dass regional tätige kleine und mittlere Institute grundsätzlich in der nationalen Aufsicht verbleiben. Die in den Triologverhandlungen erreichte Neuordnung der Zuständigkeiten von EZB und nationalen Aufsichtsbehörden entspricht einer Kernforderung des Bundesrates (BR-Drucksache 546/12(B) ). Die bewährte dezentrale Struktur der Bankenaufsicht in Deutschland in Bezug auf diese Institute bleibt erhalten. Sie ist ein Spiegelbild der von einer Vielzahl von kleinen und mittleren Kreditinstituten geprägten Bankenlandschaft und hat sich in der Krise bewährt. Der Erhalt dieser dezentralen bzw. regionalen Banken- und Bankaufsichtsstrukturen wird durch die hohe Bedeutung der Regionalbanken für die Finanzierung von mittelständischen Unternehmen evident.
- 5. Der Aufsichtsmechanismus wird nach dem Verordnungsvorschlag bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelt werden. Der Bundesrat sieht diesbezüglich Anlass, seine früher geäußerten Bedenken zu bekräftigen. Auch die erweiterten organisatorischen Vorgaben können die Unabhängigkeit der EZB in Angelegenheiten der Geldpolitik nicht zweifelsfrei sicherstellen. Der Bundesrat verweist erneut auf die zwischen den Zielen von Geldpolitik und Finanzmarktaufsicht potenziell entstehenden Interessenkonflikte. So bestimmt die EZB einerseits die Zinspolitik und die Vergabe von Liquidität an die Banken; gleichzeitig soll die EZB dieselben Banken nach objektiven Maßstäben regulieren. Angesichts dieses unvermeidbaren Zielkonflikts liegt es aus Sicht des Bundesrates nahe, die Übertragung der einheitlichen Aufsicht auf die EZB lediglich als kurzfristig realisierbaren Zwischenschritt zu sehen hin zu einer konsequenten Trennung von geldpolitischer Verantwortung und europäischer Bankenaufsicht, die dann möglicherweise auch einer Änderung der EU-Verträge bedarf.
- 6. Der Bundesrat hält eine effektive Aufsicht und Kontrolle der europäischen Bankenaufsichtsbehörde für erforderlich. Die Rechenschaftspflicht für eine aufsichtsrechtlich handelnde Behörde muss über die einer unabhängigen Zentralbank mit geldpolitischer Aufgabenstellung hinausgehen. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Bundesrat die erweiterte Rechenschaftspflicht gegenüber dem Rat, dem Europäischen Parlament sowie den nationalen Parlamenten, die neben einer regelmäßigen Berichterstattung jetzt auch Fragerechte vorsieht. Auch die in der Bundesrepublik Deutschland für die hoheitlichen Entscheidungen des Finanzaufsichtsrechts zuständige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht untersteht der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen. Für eine europäische Bankenaufsichtsbehörde muss eine vergleichbare Lösung gefunden werden. Die Aufsichtsfunktion sollte beim Rat angesiedelt werden.
- 7. Der Bundesrat stellt fest, dass die notwendige Schaffung einer Bankenunion sich nicht auf die Schaffung einer einheitlichen Aufsicht beschränken kann, sondern auf zwei Säulen ruhen muss: Die einheitliche Aufsicht ist aus Sicht des Bundesrates zwingend durch einen einheitlichen Abwicklungs- und Restrukturierungsmechanismus für systemrelevante Banken zu ergänzen. Der Bundesrat fordert, dass für diesen Mechanismus neue Kriterien der Systemrelevanz gefunden werden müssen, die sich über die noch zu bestimmende Bilanzsumme hinaus auch an weiteren Kriterien orientieren. Eine Doppelbelastung durch nationale Restrukturierungsfonds und einen Fonds für einen einheitlichen europäischen Abwicklungs- und Restrukturierungsmechnismus sollte vermieden werden. Der einheitliche Abwicklungs- und Restrukturierungsmechanismus ist - neben einer schlagkräftigen Aufsicht und weiteren regulatorischen Maßnahmen wie etwa hohen Eigenkapitalvorgaben - eine notwendige Bedingung, um die Glaubwürdigkeit der Aufsicht zu erhöhen, Unsicherheit zu reduzieren und die Gefahr von Ansteckungseffekten im europäischen Maßstab zu verringern. Der Bundesrat verweist auf die Einschätzung von Kommission, EZB, Deutscher Bundesbank und namhaften Wissenschaftlern, dass die Einrichtung eines Mechanismus zur geordneten, grenzüberschreitenden Abwicklung systemrelevanter Banken gleichzeitig mit der Schaffung einer einheitlichen Aufsicht erfolgen muss. Er fordert die Bundesregierung dazu auf, ihren bisherigen Widerstand gegen eine solche Maßnahme aufzugeben.
- 8. Der europäische Abwicklungs- und Restrukturierungsmechanismus muss nach Auffassung des Bundesrates dabei insbesondere sicherstellen, dass bei der Abwicklung von Kreditinstituten die richtige Haftungsreihenfolge angewandt wird: In erster Linie sind die Eigenkapitalgeber heranzuziehen, in zweiter Linie die Fremdkapitalgeber und erst danach die Einleger unter Berücksichtigung der in den Mitgliedstaaten geltenden Einlagensicherungssysteme. Auf den nationalen oder europäischen Steuerzahler darf nach seiner Auffassung künftig allenfalls als Ultima Ratio zurückgegriffen werden.
- 9. Der Bundesrat stellt fest, dass zur Erreichung der genannten Ziele die Einrichtung eines europäischen Abwicklungsfonds angestrebt werden sollte, der durch den Finanzsektor finanziert wird. Gleichzeitig trägt die Schaffung eines Abwicklungsfonds auch dazu bei, dass eine direkte Rekapitalisierung von Kreditinstituten durch Finanzhilfen des Europäischen Stabilitätsmechanismus vermieden werden kann.
- 10. Der Bundesrat stellt im Ergebnis fest, dass es zur Schaffung einer europäischen Bankenunion nicht nur der Schaffung einer einheitlichen Aufsicht bedarf. Er fordert die Bundesregierung mit Nachdruck dazu auf, sich in den europäischen Gremien dafür einzusetzen, dass das gesamte, für die Schaffung einer europäischen Bankenunion erforderliche Instrumentarium zeitgleich mit der europäischen Bankenaufsicht einsatzbereit ist.