Punkt 70 der 869. Sitzung des Bundesrates am 7. Mai 2010
Der Bundesrat möge beschließen:
Der Bundesrat unterstützt das internationale Rettungspaket für Griechenland. Diese Hilfe liegt unmittelbar auch in unserem eigenen deutschen Interesse. Sie ist notwendig um die Finanzmarktstabilität im Euroraum als Ganzes zu sichern und erheblichen Schaden von der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.
Doch frisches Geld für Griechenland reicht allein nicht aus, damit Vertrauen zurückkehrt. Ein Rettungspaket kann nur zugleich effektiv und nachhaltig sein, wenn es dazu beiträgt, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und in einem zweiten Schritt die Voraussetzungen dafür schafft, solche Krisen künftig zu vermeiden und die Lasten der Krisenbewältigung gerecht zu verteilen.
Europa wird nur auf einen guten Weg zurückzubringen sein, wenn flankierend zur Unterstützung Griechenlands folgende Prinzipien zur Geltung gebracht werden:
Die Kostenrisiken für die Rettung Griechenlands können nicht allein auf die Steuerzahler abgewälzt werden - auch der Finanzsektor muss seinen Anteil leisten.
Risiko und Haftung gehören in der sozialen Marktwirtschaft zusammen. Wer, wie die Käufer griechischer Staatsanleihen, jahrelang höhere Renditen kassiert, der muss auch einen Anteil des Risikos tragen. Wir müssen verhindern, dass ein ums andere Mal die Steuerzahler zur Kasse gebeten, die Spekulanten aber belohnt werden. Die Kosten der Krise müssen von ihren Verursachern getragen werden.
Spekulationen und Exzesse auf den Finanzmärkten müssen jetzt unterbunden werden. Sie dürfen die Eurozone nicht ein weiteres Mal an den Rand des Abgrunds führen. Von Griechenland darf kein Flächenbrand ausgehen. Deshalb müssen die Hilfen für Griechenland durch Initiativen zur Finanzmarktregulierung begleitet sein.
Eine solide Finanzpolitik ist nicht nur eine Forderung an Griechenland. Jeder einzelne Euro-Staat muss glaubhaft machen, dass er sich dem Ziel solider Finanzen verpflichtet fühlt. Der Stabilitätspakt muss nachgeschärft werden. Wir brauchen mehr Transparenz und bessere Kontrollen. Und wir brauchen eine stärkere Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa. Eine gemeinsame Währung braucht eine abgestimmte Politik.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, flankierend zur Nothilfe für Griechenland Maßnahmen zu ergreifen, um den Finanzsektor an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben sowie zugleich an den Kosten der Krise zu beteiligen. Dazu zählen insbesondere:
- - Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. So kann Verantwortung gerecht verteilt werden. Eine Finanztransaktionssteuer kann gewährleisten, dass die Akteure auf den Finanzmärkten an den Folgekosten der Krisen beteiligt werden. Außerdem kann von einer solchen Steuer - wie auch der IWF bestätigt - eine dämpfende Wirkung besonders auf kurzfristige Börsengeschäfte ausgehen, die minimale Arbitragemöglichkeiten für schnelle Gewinne nutzen.< /li>
- - Unter Führung der EZB sind mit den Banken und Investoren, die Staatsanleihen Griechenlands halten, Verhandlungen aufzunehmen, um eine Beteiligung an den Kosten der Rettungsmaßnahmen zu erreichen. Ziel der Verhandlungen ist, nicht länger gerechtfertigte Risikoaufschläge bei den vereinbarten Anleihezinsen aufgrund des - durch die staatlichen Rettungsmaßnahmen begründeten -Wegfalls des Risikos zu reduzieren. Ferner fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um künftige Krisen zu verhindern. Dazu gehören insbesondere:
- - Die Regulierung von Rating-Agenturen weiter zu verbessern und die Gründung einer Europäischen Rating-Agentur entweder in öffentlichrechtlicher Organisationsform oder - analog der deutschen Börsen - mit teilweise öffentlichrechtlicher Aufgabenwahrnehmung zu befördern. Um Interessenkonflikte auszuschließen sind künftig zwischen Rating-Agenturen und Finanzmarktakteuren, deren Produkte sie bewerten, alle sonstigen geschäftlichen Verbindungen zu unterbinden.
- - Spekulative Geschäfte mit Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps) unverzüglich möglichst bis zum 1. Juli 2010 zu verbieten. Rechtlich durchsetzbare Kreditausfallversicherungen soll künftig nur noch abschließen und besitzen dürfen, wer tatsächlich Eigentümer der jeweiligen Kreditforderung ist.
- - Leerverkäufe in Deutschland unverzüglich bis zum 1. Juni 2010 zu verbieten und sich für ein europaweites Verbot einzusetzen. Finanzmarktakteure können und müssen künftig andere, deutlich weniger spekulative Instrumente mit gleicher ökonomischer Zielsetzung in Anspruch nehmen.
- - Den so genannten "graue Kapitalmarkt" zu regulieren und zu beaufsichtigen. Der Markt für Derivate muss über europäische Clearingstellen und Handelsplattformen erfolgen, die wirksam reguliert werden. Künftig darf kein Finanzmarkt, kein Finanzmarktakteur und kein Finanzmarktprodukt ohne Regulierung, Aufsicht und Haftung bleiben.
- - Sich im Europäischen Rat dafür einzusetzen, dass für Verbriefungen ein signifikanterer Selbstbehalt eingeführt wird als die 5 Prozent, die im Entwurf der Richtlinie der Europäischen Kommission vorgeschlagen werden.
- - Den Anleger- und Verbraucherschutz in Europa weiter zu verbessern (z.B. durch die Einführung eines "Finanz-TÜV").
- - Den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu bekräftigen und in seiner Funktion zu stärken insbesondere die zuständigen europäischen Institutionen in die Lage zu versetzen wirksame Maßnahmen ergreifen zu können, die für eine effektivere Überwachung der Haushalts- und Finanzpolitik der Euro-Staaten notwendig sind. Hierzu ist in einem ersten Schritt das europäische Statistikamt EUROSTAT mit mehr Durchgriffs- und Weisungsrechten gegenüber den nationalen Statistikämtern auszustatten und der Europäische Rechnungshof zu stärken.
- - Eine bessere Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union durchzusetzen und diese um einen Frühwarnmechanismus für Krisen mit möglicherweise systemischen Auswirkungen zu ergänzen. Zudem ist die Europäische Union operationell in die Lage zu versetzen, mögliche künftige Krisen rasch und selbständig zu lösen. Dazu ist ein Nothilfeplan zu entwickeln der insbesondere wirksame Instrumente enthalten muss, um überschuldete Staaten einem geordneten und raschen Restrukturierungsverfahren zuzuführen. Dieses Verfahren muss klar regeln, dass auch die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen.
Begründung
Sechzig Jahre Frieden in Europa sind ein Erfolg ohne Beispiel. Die europäische Einigung ist das Ergebnis kluger, mutiger Politik. Sie beruht auf der Erkenntnis:
Wer nur auf seinem kurzfristigen Vorteil beharrt, der steht am Ende ohne Freunde da. Wer bereit ist, verantwortlich fürs Ganze zu handeln, der gehört langfristig zu den Gewinnern. Das gilt für niemanden so sehr wie für uns Deutsche in der Mitte unseres Kontinents.
Der Euro ist die europäische Antwort auf das globale Zeitalter. Wir Deutsche profitieren besonders davon. Zwei Drittel unserer Exporte gehen in die Staaten der EU. Die deutsche Wirtschaft spart jedes Jahr rund zehn Milliarden Euro, weil Kurssicherungsgeschäfte weggefallen sind. In der vergangenen Dekade sind in der Euro-Zone 16 Millionen neue Jobs entstanden, auch dank wachsenden Interesses globaler Investoren.
Deutschland braucht den Euro - ebenso wie Europa. Ohne gemeinsame Währung hätte die Wirtschafts- und Finanzkrise unseren Kontinent noch härter getroffen. Die Staaten der Euro-Zone sind längst eine Schicksalsgemeinschaft, untrennbar miteinander verwoben. Deshalb spricht nicht nur die europäische Solidarität, sondern auch die ökonomische Vernunft für eine schnelle und wirkungsvolle Unterstützung Griechenlands.
Die Lage ist dramatisch. Wie im September 2008 ist die Krise vor allem eine Vertrauenskrise, die immer weiter um sich zu greifen droht. Damals, nach der Lehman-Pleite, hat die Politik mit entschlossenem Handeln Vertrauen wiederhergestellt. Diesmal geht es nicht mehr nur um das Vertrauen in den Markt, es geht um das Vertrauen in den Staat selbst - nicht nur in Griechenland, auch bei uns.
Entschlossenes Handeln ist notwendig. Der Bundesrat erkennt die Maßnahmen, die die Hellenische Republik in einer herausragenden Anstrengung unternehmen wird, um auf den Weg solider Staatsfinanzen zurückzukehren, ausdrücklich an. In spätestens drei Jahren, wenn Athen sich wieder ausschließlich selbständig an den Finanzmärkten refinanzieren soll, muss klar sein: Griechenland hat die Lehren aus seiner Beinahepleite gezogen.
Die Anstrengung, die den Menschen und der Politik in Griechenland bevorsteht ist gigantisch. Sie verdient Respekt und Unterstützung. Der Bundesrat sichert vor allem der griechischen Bevölkerung seine Unterstützung für dieses engagierte Programm zu.
Damit Griechenland seine ehrgeizigen Ziele erreichen und zurück auf den Pfad nachhaltiger Haushalte gelangen kann, ist das Land aber in einem ersten Schritt auch auf Hilfen Europas und des IWF angewiesen. Zur weiteren Stabilisierung der hellenischen Republik, aber auch zur Gewährleistung der Finanzstabilität des europäischen Währungsraums haben die Eurostaaten daher am 2. Mai 2010 ihre Bereitschaft erklärt, im Zusammenhang mit einem dreijährigen Programm des Internationalen Währungsfonds mit einem geschätzten Gesamtfinanzierungsbedarf in Höhe von 110 Milliarden Euro bis zu 80 Milliarden Euro als Finanzhilfe an die Hellenische Republik in Form von koordinierten bilateralen Krediten bereitzustellen, davon bis zu 30 Milliarden Euro im ersten Jahr. Die Entscheidung der Eurogruppe wurde auf der Basis einer gemeinsamen Einschätzung von Kommission und Europäischer Zentralbank getroffen, die insbesondere eine nicht hinreichende Finanzierungsmöglichkeit der Hellenischen Republik über die Kapitalmärkte sowie die Gefährdung der Finanzmarktstabilität in der Währungsunion als Ganzes feststellt. Mit dem Gesetzentwurf zum Erhalt der Stabilität der Währungsunion werden die Voraussetzungen geschaffen, dass sich Deutschland an den koordinierten bilateralen Finanzhilfen der Eurostaaten für die Hellenische Republik beteiligen kann.< /p>