Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Bekämpfung von Hunger und Armut

Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 304433 - vom 5. April 2005. Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 24. Februar 2005 angenommen.

Das Europäische Parlament,

A. in der Erwägung, dass mehr als eine Milliarde Menschen von äußerster Armut betroffen sind und von weniger als einem Dollar pro Tag leben und dass sich der Unterschied im Pro-Kopf-Einkommen zwischen den ärmsten und reichsten Ländern der Welt in den vergangenen 25 Jahren mehr als verdoppelt hat,

B. in der Erwägung, dass erkannt wird, dass Entwicklungshilfe, Entschuldung und Handel in Wechselbeziehung stehen und dass Maßnahmen in allen drei Bereichen einander ergänzen müssen, um eine echte Entwicklung zu erreichen,

C. in der Erwägung, dass laut Schätzungen der jährliche internationale Hilfsbeitrag (derzeit 50 Milliarden US-Dollar) mindestens verdoppelt werden muss, damit die Millennium-Entwicklungsziele erreicht werden, und in der Erwägung, dass zwei Drittel der Entwicklungsländer mehr für den Schuldendienst als für soziale Grunddienste ausgeben,

D. in der Erwägung, dass die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten in Bezug auf die Einhaltung ihrer Zusagen bei den Millennium-Entwicklungszielen im Hintertreffen sind und dass mit Ausnahme von vier Ländern alle Mitgliedstaaten die 0,7% BIP-Zielgröße für Entwicklungshilfe noch nicht erreicht haben,

E. in der Erwägung, dass im Jahre 2005 große Herausforderungen angegangen werden, nämlich der Schwerpunkt des G8-Vorsitzes auf Afrika und Klimawandel, die UNO-Überprüfung der geringen weltweiten Fortschritte im Hinblick auf die Millennium-Entwicklungsziele und das WTO-Ministertreffen im Dezember in Hongkong, die entscheidende Zwischenstation in der Doha-Entwicklungsrunde,

F. in der Erwägung, dass die OECD die Entwicklungsländer in fünf Gruppen je nach ihrem Pro-Kopf-Bruttonationaleinkommen einteilt, wobei die ärmsten die am wenigsten entwickelten Länder sind, und in der Erwägung, dass die Europäische Union und eine Mehrheit der Mitgliedstaaten bei ihren Entwicklungsausgaben den ärmsten Ländern keinen Vorrang einräumen,

Umfang und Wirksamkeit der Hilfe

1. bekundet seine tiefe Besorgnis angesichts der Tatsache, dass fünf Jahre nach Verabschiedung der Millennium-Entwicklungsziele durch die UNO die Länder Afrikas südlich der Sahara kein einziges der acht Millennium-Entwicklungsziele erreicht haben und auch nicht auf dem Wege sind, wenigstens eines der Ziele bis zum Enddatum 2015 zu erreichen; unterstreicht, dass die Millennium-Entwicklungsziele für eine große Zahl von am wenigsten entwickelten Ländern, insbesondere in den Ländern Afrikas südlich der Sahara, unerreichbar sein werden, wenn nicht die Völkergemeinschaft sowohl die Qualität als auch die Quantität ihrer Entwicklungshilfe drastisch steigert;

2. beglückwünscht die vier EU-Mitgliedstaatenl, die die 0,7% BIP-Zielgröße für Entwicklungshilfe überschritten haben, lobt die fünf Mitgliedstaaten2, die Zeitpläne zur Erreichung dieses Niveaus der öffentlichen Entwicklungshilfe festgelegt haben, und insbesondere diejenigen neuen Mitgliedstaaten, die ihre Entwicklungshaushalte drastisch aufgestockt haben; fordert die restlichen Mitgliedstaaten, die dieses Niveau nicht erreicht und keine Zeitpläne festgelegt haben, nachdrücklich auf, dies unverzüglich zu tun;

3. fordert die Kommission auf, ihre bevorstehende Mitteilung über die Überprüfung der Verpflichtungen für die Entwicklungsfinanzierung dazu zu nutzen, einen EU-Zeitplan festzulegen, damit möglichst viele Mitgliedstaaten die 0,7%-Zielgröße bis 2010 erreichen, und für die neuen Mitgliedstaaten längerfristige Ziele zu setzen; fordert, dass jährliche Zwischenziele in Richtung auf die Aufstockung der öffentlichen Entwicklungshilfe unter Kontrolle des Rates Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen oder des Rates Wirtschaft und Finanzen festgelegt werden;

4. verweist auf die anhaltende Diskussion und verschiedene Initiativen betreffend "innovative Finanzierungsmechanismen"; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, der gesamten Palette solcher Initiativen, ob öffentlich oder privat, obligatorisch oder freiwillig, universell oder begrenzt, weitere Aufmerksamkeit zu widmen; unterstreicht, dass all diese Mittel zusätzlich zur bestehenden Verpflichtung der Regierungen gewährt werden müssen, 0,7% ihres BIP für öffentliche Entwicklungshilfe aufzuwenden;

5. bedauert, dass im Jahre 2003 lediglich 2,4% der EU-Ausgaben für Entwicklung für die Grundbildung und 3,8% für Gesundheit bereitgestellt wurden, ungeachtet beständiger Forderungen des Parlaments, dass diese Ausgaben auf mindestens 20% aufgestockt werden müssten; fordert diesbezüglich die Kommission auf, ihren eigenen Beitrag zu den Millennium-Entwicklungszielen zu verbessern, indem sie dafür sorgt, dass die für Gesundheit und Bildung vor Ort aufgewendete Entwicklungshilfe drastisch aufgestockt wird;

6. fordert eine bessere Verwendung der derzeitigen Hilfe, insbesondere die Neuordnung der Prioritäten, Aufhebung der Lieferbindung an Geber und internationale Mittelzentralisierung

7. bekräftigt die in Artikel 178 des EG-Vertrags festgestellte Notwendigkeit, dass die Gemeinschaft systematisch durch ex ante-Folgeabschätzungsstudien prüft, ob ihre entwicklungspolitischen Ziele durch andere politische Maßnahmen unterlaufen werden;

8. räumt ein, dass es keine Patentlösung für die Armut gibt, fordert jedoch insbesondere ein nicht nachlassendes politisches Engagement, Transparenz und Rechenschaftspflicht zur Bekämpfung der Korruption, Kapazitätsaufbau zum Erreichen der Ziele der verantwortungsvollen Regierungsführung und Partnerschaft zwischen allen Beteiligten;

9. fordert die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten auf, zu gewährleisten, dass die Entwicklungshilfe weiterhin auf die Armutsminderung und die Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele ausgerichtet ist; fordert diesbezüglich die Europäische Union auf, bei der raschen Umsetzung des UN-Millennium-Projektberichts "Investition in die Entwicklung: ein praktischer Plan zur Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele" die Federführung zu übernehmen;

10. fordert die Kommission in diesem Zusammenhang auf, durch Aufnahme großer neuer Beträge in den Haushalt für eine stärkere Wirksamkeit und Sichtbarkeit der Entwicklungsausgaben der Europäischen Union zu sorgen, damit die EU-Hilfe federführend bei globalen Initiativen greifen kann, und den Millenium-Projektvorschlägen für "Quick-Win-Initiativen" (z.B. Bereitstellung von Malarianetzen und Malariaarzneimitteln, Abschaffung von Grundschulgebühren und Bereitstellung von Düngemitteln für Kleinlandwirte), die raschen und umfassenden Fortschritt bei der Hebung des Lebensstandards von Millionen Menschen in Entwicklungsländern bringen würden, besondere Aufmerksamkeit zu widmen;

Schuldenerlass

11. betont, dass sämtliche Gläubiger und insbesondere internationale Institutionen und nationale Regierungen vereinbaren müssen, die Schulden der Entwicklungsländer abzubauen, wobei die am wenigsten entwickelten Länder Vorrang erhalten müssen; fordert diesbezüglich die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, in multilateralen und bilateralen Foren beim Erlass der Auslandsschulden der Entwicklungsländer mit gutem Beispiel voranzugehen;

12. begrüßt das von den G8-Ländern und anderen EU-Mitgliedstaaten vorgegebene Beispiel, den ärmsten Ländern der Welt bis zu 100% Schuldenerlass bei bilateralen und multilateralen Schulden zu gewähren;

13. unterstreicht, dass vorrangig sämtlichen am wenigsten entwickelten Ländern und den Ländern, die eine Entschuldung benötigen, damit sie die Millennium-Entwicklungsziele erreichen, ein Schuldenerlass gewährt wird; unterstreicht, dass der Schuldenerlass nur den Regierungen gewährt werden sollte, die die Menschenrechte und die Grundsätze der verantwortungsvollen Regierungsführung beachten, und nur unter der Bedingung, dass die Mittel, die die Regierungen aufgrund eines solchen Schuldenerlasses gewinnen, zur Unterstützung der Ärmsten in ihren Gemeinschaften verwendet werden;

Welthandel

14. ist der Auffassung, dass ein freies, gerechtes und entwicklungsfreundliches multilaterales Handelssystem einen wirksamen Mechanismus darstellt, um die Hauptursachen für Armut und Hunger auszuräumen; fordert die Europäische Union auf, ein solches System als Mittel zur Armutsminderung zu fördern, unter gleichzeitiger Gewährleistung eines stärkeren Marktzugangs für die ärmsten Länder und Bereitstellung angemessener handelsbezogener technischer Unterstützung, einschließlich Kapazitätsaufbau, um die aus dem Handel entstehenden Entwicklungsmöglichkeiten zu optimieren;

15. unterstreicht, dass die Entwicklungsländer ihre noch in den Anfängen steckenden Agrarsektoren schützen müssen, und unterstreicht, dass an die ärmsten Länder keine Forderungen nach wechselseitiger Handelsliberalisierung gestellt werden dürfen;

16. fordert die Europäische Union auf, durch Gewährleistung einer Kohärenz in ihrer Handels-, Entwicklungszusammenarbeits- und Gemeinsamen Agrarpolitik konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut zu ergreifen, um unmittelbare oder mittelbare negative Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer zu vermeiden;

Schlussbemerkung

17. fordert die Europäische Union und die Völkergemeinschaft auf, die Millennium-Entwicklungsziele nicht als Endziel, sondern nur als Zwischenstation auf dem Weg zur Beseitigung der absoluten Armut zu betrachten;

18. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten und der Bewerberländer, dem AKP-EU-Rat und der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung, den Vereinten Nationen, der Afrikanischen Union, dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, den G8-Staatsund Regierungschefs sowie den Regierungen des Pariser Clubs zu übermitteln.

1 Dänemark (0.84%), Niederlande (0.81%), Luxemburg (0.8%), Schweden (0.7%).
2 Belgien (bis 2010), Finnland (bis 2010), Frankreich (bis 2012), Spanien (bis 2012), VK (bis 2013).zur Mobilisierung zusätzlicher Mittel für die ärmsten Länder; fordert bilaterale und multilaterale Geber nachdrücklich auf, ihre operationellen Verfahren anzugleichen, die Hilfe nach den ländereigenen Prioritäten zu richten und messbare Ergebnisse zu schaffen;