922. Sitzung des Bundesrates am 23. Mai 2014
A
- 1. Der Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, der Verordnung gemäß Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes zuzustimmen.
B
- 2. Der Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat ferner, nachfolgende Entschließung zu fassen:
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Notfallkontrazeptiva mit dem Wirkstoff Levonorgestrel aus der Verschreibungspflicht zu entlassen.
Begründung:
In der weit überwiegenden Anzahl der europäischen Länder kann die "Pille danach" auf Basis des Wirkstoffs Levonorgestrel rezeptfrei und komplikationslos in Apotheken gekauft werden. Im Gegensatz zu den Nachbarländern ist der Zugang zu diesem Medikament in der Bundesrepublik Deutschland an eine ärztliche Verschreibung gebunden. Für die betroffenen Frauen führt dies zu einer höchst unbefriedigenden Situation, für die es keine tragfähige Begründung gibt und die deshalb dringend änderungsbedürftig ist.
Die "Pille danach" auf der Basis von Levonorgestrel wird als Notfallkontrazeptivum in solchen Fällen angewandt, in denen eine andere Verhütungsmethode im Ausnahmefall nicht zur Anwendung kam oder eine geplante Verhütung fehlgeschlagen ist und eine Schwangerschaft vermieden werden soll. Das Medikament wirkt umso verlässlicher, je früher es nach dem Geschlechtsverkehr zur Anwendung kommt. Dies wird dadurch beeinträchtigt, dass gerade nachts oder am Wochenende erst ärztliche Notfalldienste mit entsprechenden Wartezeiten aufgesucht werden müssen, um das Rezept zu erhalten.
Die Weltgesundheitsorganisation nahm bereits 2010 eine Bewertung der "Pille danach" auf Levonorgestrelbasis vor und kam zu dem Schluss, dass die Anwendung der Methode einfach und eine ärztliche Betreuung für eine korrekte Anwendung nicht erforderlich sei. Zudem zeige eine evidenzbasierte Bewertung, dass diese Nachverhütungsmethode sehr sicher sei und nicht abortiv oder schädigend auf eine bereits bestehende Schwangerschaft wirke. Nebenwirkungen seien selten und verliefen in der Regel mild.
Diese Einschätzung deckt sich mit der Bewertung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), der im Rahmen der 71. Sitzung am 14. Januar 2014 empfohlen hat, Levonorgestrel aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass entsprechende Recherchen in den vorliegenden klinischen Studien sowie der Datenbank des BfArM ergeben hätten, dass keine ursächlich auf Levonorgestrel zurückzuführenden schweren Nebenwirkungen berichtet worden seien. Alle Anwendungserfahrungen seien in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der vorgestellten Daten zu Levonorgestrel positiv.
Die Abgabe der "Pille danach" in Apotheken ohne ärztliche Verschreibung sollte daher auch in der Bundesrepublik Deutschland einen niedrigschwelligen und schnellen Zugang zur Verhinderung einer ungewollten Schwangerschaft ermöglichen. Dies entspricht auch den Regelungen anderer Länder im Umgang mit Notfallkontrazeptiva. So steht unter anderem in Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Schweden, der Schweiz und Spanien Frauen die "Pille danach" ohne eine Verschreibungspflicht zur Verfügung. Die Europäische Arzneimittelagentur (European Medicines Agency - EMA) prüft derzeit sogar einen Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht für ein weiteres Notfallkontrazeptivum mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat, obgleich in Bezug auf diesen Wirkstoff deutlich weniger Erfahrungen zu Risiken und Nebenwirkungen vorliegen.
Die Erfahrungen der Nachbarländer mit Notfallkontrazeptiva auf Levonorgestrelbasis haben gezeigt, dass eine ärztliche Betreuung nicht erforderlich ist. Sowohl von Anwenderinnen als auch von der Apothekerschaft wird der rezeptfreie Verkauf positiv bewertet. In mehreren Studien wurden eine Zunahme der Verwendung von regulären Verhütungsmitteln und eine damit einhergehende bessere Familienplanung nachgewiesen. Studien belegen auch, dass Schwangerschaftsabbrüche in den Ländern, in denen die "Pille danach" rezeptfrei erworben werden kann, gesunken sind. Auch hat die Rezeptfreiheit in diesen Ländern nicht zu einer Zunahme von riskantem Sexualverhalten geführt.
Bei einer entsprechenden Abgaberegelung in der Bundesrepublik Deutschland würde die Beratungskompetenz der Apotheken stärker in den Vordergrund gerückt werden, da diese auf der Grundlage der Apothekenpflicht über Risiken, Nebenwirkungen und die korrekte Einnahme sachgerecht zu informieren haben. Als Ausübende eines naturwissenschaftlich geprägten Heilberufs sind Apothekerinnen und Apotheker hierzu bestens qualifiziert. Sie sind nicht nur in der Lage, eine sichere Abgabe der Notfallkontrazeptiva zu gewährleisten, sondern aufgrund ihrer Beratungskompetenz geradezu prädestiniert, die für die Anwendung notwendigen Sachinformationen adressaten- und situationsgerecht zu vermitteln.
Die Entlassung der Notfallkontrazeptiva mit dem Wirkstoff Levonorgestrel aus der Rezeptpflicht wird seit vielen Jahren aus guten Gründen gefordert. Ein schneller Zugang zu diesem Präparat trägt dazu bei, ungewollte Schwangerschaften sowie Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden. Die derzeitige Rezeptpflicht ist aus gesundheitspolitischer Sicht nicht zu begründen und sollte aufgehoben werden.