Der Bundesrat hat in seiner 900. Sitzung am 21. September 2012 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 1626a Absatz 1 Nummer 1 BGB)
In Artikel 1 Nummer 1 sind in § 1626a Absatz 1 Nummer 1 nach dem Wort "Sorge" die Wörter "ganz oder in Teilbereichen" einzufügen.
Begründung:
Nach überwiegend vertretener Auffassung können die Eltern durch übereinstimmende Sorgeerklärungen nach § 1626a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BGB die gemeinsame Sorge nur vollumfänglich begründen (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 71. Aufl. 2012, § 1626a Rnr. 12; offen gelassen in BGH, Beschluss vom 4. April 2001 - XII ZB 3/00 -, FamRZ 2001, 907). Demgegenüber sieht der Gesetzentwurf vor, dass die gemeinsame Sorge nach § 1626a Absatz 1 Nummer 3 BGB-E durch gerichtliche Entscheidung künftig auch in Teilbereichen hergestellt werden kann. Dieser Widerspruch sollte dadurch aufgelöst werden, dass im Wege einer ausdrücklichen Regelung die Möglichkeit geschaffen wird, durch übereinstimmende Sorgeerklärungen ein gemeinsames Sorgerecht auch für Teilbereiche der elterlichen Sorge zu begründen. Die Teilübertragung der elterlichen Sorge kann Bedenken der Kindesmutter gegen eine gemeinsame Sorge häufig zerstreuen. Nach Einschätzung der gerichtlichen Praxis ist zu erwarten, dass vermehrt Sorgeerklärungen abgegeben werden, wenn den Eltern die Möglichkeit eingeräumt wird, etwa den (in vielen Fällen unstreitigen) Bereich des Aufenthaltsbestimmungsrechts bei der Kindesmutter zu belassen.
2. Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 1626a Absatz 2 Satz 2 BGB)
In Artikel 1 Nummer 1 ist § 1626a Absatz 2 Satz 2 zu streichen.
Begründung:
Die neue gesetzliche Vermutung des § 1626a Absatz 2 Satz 2 BGB-E soll ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs dazu dienen, den in Kindschaftssachen geltenden Amtsermittlungsgrundsatz einzuschränken, um dem Gericht eine Entscheidung im vereinfachten Verfahren nach dem neuen § 155a Absatz 3 FamFG-E zu ermöglichen. Sowohl die Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes in Kindschaftssachen als auch das vorgesehene vereinfachte Verfahren nach § 155a Absatz 3 FamFG-E sind abzulehnen. Durch die Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes in Kindschaftssachen wird sichergestellt, dass die Belange des Kindeswohls vor der Entscheidung des Gerichts möglichst umfassend und sorgfältig festgestellt und abgewogen werden. Eine gesetzliche Vermutung, die lediglich am Schweigen der Eltern und am Fehlen offensichtlicher Versagungsgründe anknüpft, wird der Aufgabe der Gerichte, dem Kindeswohl in Kindschaftssachen bestmöglich Geltung zu verschaffen, nicht gerecht.
Bei der vorgesehenen "Entscheidung nach Aktenlage" besteht zudem die Gefahr, dass Eltern in der sensiblen Zeit nach der Geburt mit einer schriftlichen Äußerung überfordert sind und nicht zwischen der Partnerebene und dem Wohl des Kindes unterscheiden können. Fälle, in denen die Eltern uneinig über die Erteilung des Sorgerechts sind, beinhalten immer eine mögliche Kindeswohlgefährdung. Darum sollte in diesen Fällen nicht auf die Kompetenzen der Jugendämter verzichtet werden.
Die kindeswohlrelevanten Gründe müssen vollumfänglich ermittelt werden. Das heißt, bei der Prüfung, ob die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl schadet oder nutzt, darf weder auf die Mitwirkung des Jugendamtes, noch auf die persönliche Anhörung der Eltern verzichtet werden.
3. Zu Artikel 2 Nummer 2 (§ 155a Absatz 2 Satz 2 FamFG)
In Artikel 2 Nummer 2 sind in § 155a Absatz 2 Satz 2 die Wörter "der Geburt des Kindes" durch die Wörter "dem Mutterschutz gemäß § 6 des Mutterschutzgesetzes" zu ersetzen.
Begründung:
Die in § 155a Absatz 2 Satz 2 FamFG-E vorgesehene Frist der Mutter von sechs Wochen nach der Geburt zur Stellungnahme über das gemeinsame Sorgerecht wird als zu kurz angesehen. Nach der Geburt muss sich die Mutter nicht nur von der Anstrengung erholen, sondern sich auch auf eine völlig neue Situation einstellen. Aus diesem Grund gibt es einen achtwöchigen Mutterschutz. Zielrichtung des Mutterschutzes ist unter anderem, hier nach Möglichkeit jegliche Belastungen von der Mutter fernzuhalten, um ein Zusammenwachsen der Mutter-Kind-Beziehung zu fördern und den gesundheitlichen Folgewirkungen der Geburt und Schwangerschaft Rechnung zu tragen. Daher sollte die sechswöchige Frist der Mutter zur Stellungnahme erst mit Ablauf der Mutterschutzfrist beginnen.
4. Zu Artikel 2 Nummer 2 ( § 155a Absatz 3 FamFG)
In Artikel 2 Nummer 2 ist § 155a Absatz 3 zu streichen.
Begründung:
Das in § 155a Absatz 3 FamFG-E vorgesehene vereinfachte Verfahren zur Begründung der gemeinsamen elterlichen Sorge wird von der großen Mehrzahl der Familiengerichte nicht befürwortet. Auch in der familienrechtlichen Fachliteratur (vgl. z.B. Keuter, FamRZ 2012, 825, 826; Huber/Antomo, FamRZ 2012, 1257, 1263 ff.) und in den Äußerungen der Fachverbände (vgl. z.B. die Stellungnahme des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 8. Mai 2012, S. 5 ff. sowie die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins vom Mai 2012, S. 7 f.) ist der Vorschlag auf beinahe einhellige Ablehnung gestoßen. Die fachlichen Gründe, die gegen dieses neuartige Verfahren sprechen, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- - Die dem vereinfachten Verfahren zugrunde liegende Vermutung, die Begründung der gemeinsamen Sorge widerspreche dem Kindeswohl nicht, wenn die Mutter keine entgegenstehenden kindeswohlrelevanten Gründe schriftlich vorbringe und derartige Gründe auch sonst nicht ersichtlich seien, ist sachlich nicht gerechtfertigt. Tatsächlich kann es viele Gründe geben, weshalb sich die Mutter innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist nicht oder nicht ausreichend zum Antrag auf Einräumung der gemeinsamen Sorge äußert. Nicht selten wird es zum Beispiel der Fall sein, dass die Mutter den Antrag aus sprachlichen oder sonstigen Gründen nicht versteht oder zu einer dezidierten schriftlichen Äußerung nicht in der Lage ist. In all diesen Fällen wird es dem staatlichen Wächteramt für das Kindeswohl nicht gerecht, wenn eine gerichtliche Entscheidung ohne persönliche Anhörung der Eltern und ohne Anhörung des Jugendamts ergeht.
- - Soweit die Mutter schriftlich Einwände gegen die gemeinsame Sorge vorbringt, die vom Gericht als nicht relevant angesehen werden, erscheint es fachlich nicht vertretbar, ihr - wie im Gesetzentwurf vorgesehen - durch ein vereinfachtes Verfahren die Möglichkeit zu nehmen, ihre Argumente im Rahmen einer persönlichen Anhörung zu erläutern und ggf. nachzubessern. -Durch den gesetzlich vorgeschriebenen Verzicht auf die persönliche Anhörung der Eltern wird den Gerichten die Möglichkeit genommen, vermittelnd auf eine Lösung hinzuwirken (z.B. auf eine gemeinsame Sorge in Teilbereichen), die allen Beteiligten gerecht wird und ein dauerhaft tragfähiges Fundament für eine einvernehmliche Wahrnehmung der gemeinsamen Sorge bietet.
- - Eine besondere Eilbedürftigkeit, die es gebieten würde, die persönliche Anhörung der Eltern und die Amtsermittlung des Gerichts weitgehend auszuschalten, ist in Verfahren zur Begründung der gemeinsamen elterlichen Sorge regelmäßig nicht gegeben. In besonders dringlichen Fällen besteht ohnehin die Möglichkeit, eine vorläufige Maßnahme durch einstweilige Anordnung zu treffen (§§ 49 ff. FamFG).
- - Es ist damit zu rechnen, dass Mütter im vereinfachten Verfahren ergangene Beschlüsse regelmäßig mit der Beschwerde anfechten, wenn sie die Begründung einer gemeinsamen Sorge ablehnen. Die sachliche Auseinandersetzung mit den gegen die gemeinsame Sorge sprechenden Argumenten wird somit vom Familiengericht auf das Oberlandesgericht verlagert.
- - Das vereinfachte Verfahren nach § 155a Absatz 3 FamFG-E ist ein Fremdkörper im Gesamtgefüge der kindschaftsrechtlichen Verfahren. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, weshalb gerade bei den gewichtigen Entscheidungen über die Begründung einer gemeinsamen Sorge auf eine Anhörung des Jugendamts verzichtet werden soll, während in allen anderen Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, eine Anhörung des Jugendamts ausnahmslos auch dann zwingend vorgeschrieben ist, wenn die sachlichen Auswirkungen der Entscheidung - wie etwa bei der Verlängerung des monatlichen Umgangs um eine Stunde - eher gering sind.
Als Folge ist in Artikel 5 Nummer 3 in § 50 Absatz 3 Satz 1 die Angabe " § 155a Absatz 4 Satz 1" durch die Angabe " § 155a Absatz 3 Satz 1" und in Nummer 8 Buchstabe b in § 87c Absatz 6 Satz 2 die Angabe " § 155a Absatz 3 Satz 2 und Absatz 5 Satz 2" durch die Angabe " § 155a Absatz 4 Satz 2" zu ersetzen.
5. Zu Artikel 2 Nummer 2 ( § 155a Absatz 3 FamFG)
Für den Fall, dass das vereinfachte Verfahren in § 155a Absatz 3 FamFG-E im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens beibehalten wird, bittet der Bundesrat, die Einfügung einer Regelung in die Vorschrift zu prüfen, die dem Familiengericht im Fall der Beschwerde gegen eine Endentscheidung im Verfahren gemäß § 155a Absatz 3 FamFG-E in Ausnahme zu § 68 Absatz 1 Satz 2 FamFG eine Abhilfeprüfung ermöglicht.
Begründung:
Gemäß § 68 Absatz 1 Satz 2 FamFG ist im Fall der Beschwerde gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache eine Abhilfeprüfung des Ausgangsgerichts nicht vorgesehen. Wird eine solche Entscheidung angefochten, die im vereinfachten Verfahren gemäß § 155a Absatz 3 FamFG-E und unter Zugrundelegung der Vermutung nach § 1626a Absatz 2 Satz 2 BGB-E erlassen worden ist, hätte dies zur Folge, dass eine erste echte Sachprüfung erst beim Oberlandesgericht stattfindet. Es erscheint aber nicht sachgerecht, die Tatsachenermittlung in Abweichung von dem Verfahren in anderen Kindschaftssachen nahezu vollständig in die zweite Instanz zu verlagern. Zudem ist aufgrund der längeren Terminstände bei den Oberlandesgerichten zu befürchten, dass sich dadurch in einer Vielzahl der Fälle das Verfahren erheblich verlängern wird, insbesondere wenn eine gültige Einigung der Eltern noch in der ersten Instanz erreicht werden könnte.
6. Zum Gesetzentwurf allgemein
Der Bundesrat stellt fest:
Um nicht miteinander verheirateten Eltern die Möglichkeit zu geben, über die Ausgestaltung des Sorgerechts für ihr Kind eine verantwortliche und dauerhaft tragfähige Entscheidung zu treffen, müssen diese über ihre Optionen und deren Folgen eingehend belehrt und bei Bedarf ergebnisoffen beraten werden. Das Gutachten des Deutschen Jugendinstituts, das das Bundesministerium der Justiz zur bisherigen Sorgerechtsregelung in Auftrag gegeben hatte, zeigt auf, dass diese Voraussetzungen in der Praxis bisher nicht immer gegeben sind, was sich oft zu Lasten der Väter auswirkt. Insbesondere Väter geben an, über die rechtlichen Möglichkeiten nur unzureichend informiert zu sein. Dieses Problem wird dadurch verstärkt, dass dem Personal des Jugendamtes - so das Gutachten - eine neutrale Beratung und Belehrung über die mögliche Ausgestaltung des Sorgerechts zum Teil schwerfällt, da es in seiner täglichen Praxis vorwiegend Mütter unterstützt und berät und Fälle des gemeinsamen Sorgerechts eher als konfliktträchtig erlebt.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, das Inkrafttreten des Gesetzes durch Maßnahmen zu flankieren, die sicherstellen, dass alle betroffenen Mütter und Väter möglichst frühzeitig über die Handlungsoptionen, die ihnen im Hinblick auf das Sorgerecht ihres Kindes zustehen, neutral, umfassend und zugleich verständlich informiert werden.