A. Problem und Ziel
Die Kontrolle und Finanzierung sozialer Dienstleistungen und die damit verbundene Frage der Leistungsgerechtigkeit des Einsatzes öffentlicher Mittel steht im Bereich der Sozialhilfe vor neuen Herausforderungen.
Die Maseratiaffäre bei der Treberhilfe Berlin hat verschiedene systematische Probleme im Bereich des sozialhilferechtlichen Vertragsrechts deutlich werden lassen. Dies betrifft zum einen die Durchsetzung von Transparenz der tatsächlichen Aufwendungen der Leistungserbringer, zum anderen die Möglichkeit, dass der Träger der Sozialhilfe ungerechtfertigt erzielte Gewinne aus der Nichterfüllung der Leistungs-, Vergütungs- oder Qualitätsvereinbarungen unmittelbar zurückfordern kann.
Ziel ist es, das Vertragsrecht der Sozialhilfe dergestalt zu ändern, dass das Vergütungssystem transparenter und nachvollziehbarer wird, dass Vertragsverletzungen besser sanktioniert werden können und dass im Streitfall einheitlicher Rechtsschutz gewährleistet wird.
B. Lösung
Im Wege einer Änderung des SGB XII sollen die wegweisenden Regelungen zur Transparenz im Bereich Vergütungsfindung aus dem § 85 Absatz 3 Sätze 2 bis 5 SGB XI in Folge auch der veränderten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in das Sozialhilferecht (§ 75 Absatz 3 SGB XII) übertragen werden.
Das Bundessozialgericht hat mit seiner im letzten Jahr deutlich veränderten Rechtsprechung ausdrücklich dargelegt, dass die nachgewiesene Zahlung von Tariflöhnen stets wirtschaftlich angemessen ist und damit einer leistungsgerechten Vergütung entspricht. Das setzt die Erweiterung der Pflichten zur Offenlegung betriebswirtschaftlicher Daten voraus, die nun auch im SGB XII normiert werden soll.
Als positiver Effekt ist bereits jetzt abzusehen, dass die Vergütungen dadurch "passgenauer" werden, da die tatsächlichen Gestehungskosten wieder eine Rolle spielen; sie bilden damit die Kostenwirklichkeit ab und nicht nur den am Markt erzielbaren Preis. Die Gewinnmargen werden begrenzt.
Weitgehende Transparenzpflichten bei der Vergütungsfindung entfalten nur dann im vollen Umfang die gewünschte Wirkung, wenn sie durch ein Sanktionssystem bei Vertragsverletzung begleitet werden. Das geschieht im Bereich der Pflegeversicherung mittels § 115 Absatz 3 SGB XI, unterbleibt aber im Bereich der Sozialhilfe. Daher ist es dringend erforderlich, ein Leistungsstörungsrecht zu schaffen, das die Abschöpfung zu Unrecht erzielter Gewinne, z.B. aus der Unterschreitung vereinbarter Personalausstattungen, ermöglicht. Dies ist dem Kostenträger bislang im Bereich der Sozialhilfe in dieser Weise nicht möglich.
C. Alternativen
Keine
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Keine
E. Sonstige Kosten
Keine
Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
Der Bundesrat hat in seiner 877. Sitzung am 26. November 2010 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.
Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
Das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird nach der Angabe zu § 78 folgende Angabe eingefügt:
" § 78a Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen"
2. § 75 wird wie folgt geändert:
- a) Absatz 3 wird wie folgt geändert:
- aa) In Satz 1 Nummer 1 wird das Komma durch das Wort "und" ersetzt, in Nummer 2 das Wort "und" und Nummer 3 gestrichen.
- bb) Satz 3 wird gestrichen.
- b) In Absatz 4 werden Satz 4 und Satz 5 gestrichen.
3. § 76 wird wie folgt geändert:
- a) In Absatz 1 wird nach Satz 1 folgender Satz eingefügt:
"Die Personalausstattung für das Personal, das der unmittelbaren Förderung oder Pflege der Leistungsberechtigten zu dienen bestimmt ist, soll in Personalschlüsseln festgelegt werden."
- b) Absatz 3 wird gestrichen.
4. In § 78 Satz 2 wird die Angabe " § 76 Abs. 3" durch die Angabe " § 78a Absatz 1" ersetzt.
5. Nach § 78 wird folgender § 78a eingefügt:
" § 78a Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen
- (1) Die Einrichtungen sollen in angemessenen Zeiträumen oder auf Grund besonderen Anlasses durch den Träger der Sozialhilfe oder von diesem beauftragten Dritten geprüft werden. Gegenstand der Prüfung sind Inhalt, Umfang, Qualität und Wirtschaftlichkeit der nach § 76 Absatz 1 oder § 75 Absatz 4 Satz 2 vereinbarten Leistung. Die Unterlagen der Buchführung sind von dem Prüfungsrecht erfasst. Die Einrichtungen sind verpflichtet, die für die Prüfungen notwendigen Unterlagen vorzuhalten, auf Verlangen der Träger der Sozialhilfe oder der von diesen beauftragten Dritten zur Verfügung zu stellen und sie für einen Zeitraum von 10 Jahren nach Ablauf des Geschäftsjahres aufzubewahren. Die Träger der Sozialhilfe arbeiten mit den Heimaufsichtsbehörden und dem Medizinischen Dienst zusammen, um Doppelprüfungen zu vermeiden.
- (2) Hält eine Einrichtung ihre Verpflichtungen aus den Vereinbarungen nach § 75 Absatz 3 in Verbindung mit § 76 ganz oder teilweise nicht ein, können die nach dem Zehnten Kapitel vereinbarten Vergütungen für die Dauer der Pflichtverletzung entsprechend gemindert werden. Der festgesetzte Kürzungsbetrag ist an den Träger der Sozialhilfe bis zu der Höhe, in welcher dieser Leistungsträger war und darüber hinaus an den Hilfeempfänger zurückzuzahlen. Der Minderungsbetrag kann nicht über die Vergütungen nach dem Zehnten Kapitel refinanziert werden. Schadensersatzansprüche der betroffenen Leistungsberechtigten nach anderen Vorschriften bleiben unberührt."
6. In § 79 Absatz 1 Satz 1 wird Nummer 4 wie folgt gefasst:
"4. die Festlegung von Personalschlüsseln für das Personal im Sinne des § 76 Absatz 1 Satz 2"
7. Dem § 81 Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:
"Die Landesregierungen können die Ermächtigung nach Satz 1 auf die für Soziales zuständigen obersten Landesbehörden übertragen."
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung:
A. Allgemeiner Teil
I. Ausgangslage
Das Sozialvertragsrecht im Bereich der Sozialhilfe (§§ 75 ff. SGB XII) basiert in Abkehr von dem früher geltenden Selbstkostendeckungsprinzip auf dem Prinzip von Leistungsvergütungen. Das bedeutet, die maßgeblichen Parameter der Leistung nach Inhalt, Umfang und Qualität sind Grundlage für die Höhe der Leistungsvergütung. Diese Leistungsvergütung ist zwar auskömmlich zu bemessen, die Gestehungskosten eines einzelnen Trägers sind dagegen nicht maßgeblich. Dieses Prinzip hat sich grundsätzlich bewährt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die gesetzlichen Vorschriften im Einzelnen noch Schwächen aufweisen. Diese Schwäche ist in erster Linie darin zu sehen, dass die derzeitigen gesetzlichen Regelungen den Sozialhilfeträgern keine effektive Möglichkeit geben, zu prüfen, ob die versprochene Leistung nach Inhalt, Umfang und Qualität tatsächlich auch erbracht worden ist. Ebenfalls fehlt eine unmittelbare gesetzliche Grundlage, die es ermöglicht, finanzielle Sanktionen in dem Falle zu ergreifen, dass die Feststellungen dazu führen, dass die erbrachten Leistungen hinsichtlich Inhalt, Umfang und Qualität defizitär waren. Der nach der derzeit noch geltenden Gesetzeslage vom Gesetzgeber vorgezeichnete Weg, die dafür erforderlichen Rechtsgrundlagen im Rahmen der Landesrahmenverträge nach § 79 Absatz 1 Nummer 4 SGB XII zu vereinbaren, hat aus nachvollziehbaren Gründen in aller Regel zu keinem Erfolg geführt, da sich die Einrichtungsträgerverbände regelmäßig nicht in der Lage sahen, derartige Vereinbarungen zu Lasten ihrer Mitglieder abzuschließen.
II. Inhalt des Entwurfs
Den neugefassten bzw. eingeführten Vorschriften gelingt es, das Vertragsrecht der Sozialhilfe an die Anforderungen an eine moderne, leistungsorientierte und transparente Finanzierung anzupassen. Dies erfolgt zum einen in der Weise, dass die Bestimmungen zu der Personalausstattung in den Einrichtungen konkretisiert werden, zum anderen dadurch, dass den Sozialhilfeträgern ein unmittelbares Prüfrecht verbunden mit einer gesetzlichen Grundlage eingeräumt wird, die es ermöglicht, Minderungen gegenüber den Einrichtungsträgern festzulegen, bei denen eine Prüfung ergeben hat, dass die Leistungen nach Inhalt, Umfang und Qualität defizitär waren.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch)
Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)
- Die Inhaltsübersicht des SGB XII nimmt am Gesetzesrang teil. Dies hat zur Folge, dass sie durch den Gesetzgeber mit geändert werden muss, soweit sich - wie hier - Änderungen des SGB XII auf die Inhaltsübersicht auswirken.
Zu Nummer 2 (§ 75 Absatz 3 und 4)
- Bislang sind die Träger der Sozialhilfe zur Übernahme der Vergütung nur verpflichtet, wenn sie die in Nummer 3 vorgeschriebene Prüfungsvereinbarung mit dem Anbieter abgeschlossen haben. Diese Prüfungsvereinbarung wird jedoch durch die Einführung eines gesetzlichen Prüfungsrechts (§ 78a Absatz 1 Satz 1 SGB XII) ersetzt, so dass Nummer 3 zu streichen ist. Die von Satz 3 eingeräumte Befugnis der Träger der Sozialhilfe, lediglich die Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistung zu überprüfen, wird durch die Einräumung eines uneingeschränkten gesetzlichen Prüfrechts ersetzt, so dass Satz 3 zu streichen ist. In Absatz 4 Satz 4 und 5 werden nähere Regelungen im Zusammenhang mit den nach bisheriger Gesetzeslage zu treffenden Prüfungsvereinbarungen getroffen. Da in Zukunft keine Prüfungsvereinbarungen mehr abzuschließen sind, sind diese beiden Sätze zu streichen.
Zu Nummer 3 (§ 76 Absatz 1 Satz 1a - neu -, Absatz 3)
Die Leistungen in den Einrichtungen im Sinne des § 75 Absatz 1 Satz 1 SGB XII sind durch persönliche Dienstleistungen des Fach- und Unterstützungspersonals geprägt, das der unmittelbaren Förderung oder Pflege der Leistungsberechtigten zu dienen bestimmt ist. In aller Regel macht dieses Personal auch 50 Prozent (oder mehr) der Gesamtkosten der Einrichtungen aus. Es stellt somit den maßgeblichen
Parameter für Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen dar. Deshalb ist es erforderlich, die Festlegung von Personalschlüsseln gesetzlich vorzusehen, um so sicherzustellen, dass die Qualität der Leistungen auch beim Leistungsberechtigten ankommt.
In Absatz 3 werden nähere Regelungen im Zusammenhang mit den nach bisheriger Gesetzeslage zu treffenden Prüfungsvereinbarungen getroffen. Da in Zukunft keine Prüfungsvereinbarungen mehr abzuschließen sind, ist dieser Absatz zu streichen.
Zu Nummer 4 (§ 78 Satz 2)
- Nach bisheriger Gesetzeslage konnten die Vereinbarungen nach § 75 Absatz 3 SGB XII ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn sich im Zuge einer Prüfung herausgestellt hatte, dass sich die Einrichtung einer groben Pflichtverletzung schuldig gemacht hatte. Da die Prüfvereinbarung in Zukunft entfällt, ist hier daher das in § 78a Absatz 1 SGB XII neu eingeführte gesetzliche Prüfrecht in Bezug zu nehmen.
Zu Nummer 5 (§ 78a)
Die erbrachten Leistungen sollen in angemessenen Abständen geprüft werden. Dies ermöglicht es, regelmäßig oder in Abhängigkeit von vorkommenden Besonderheiten Unterschiede zwischen den Einrichtungen zu machen, führt aber keine jährliche Prüfung ein und schützt somit vor unverhältnismäßig häufig durchgeführten Prüfungen.
Inhalt, Umfang, Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistung sind die maßgeblichen Parameter für die Bemessung der Leistungsvergütung. Vor diesem Hintergrund müssen diese Faktoren Grundlage der Prüfung sein, eine alleinige Prüfung der nachgewiesenen Kosten wäre nicht zielführend. Häufig wird sich der Nachweis einer Leistung oder deren Qualität (z.B. im Hinblick auf vereinbarte Personalschlüssel) nur durch einen Einblick in die Buchführungsunterlagen erbringen lassen. Diese sind daher in das Prüfrecht des Sozialhilfeträgers einzubeziehen.
Zu Nummer 6 (§ 79 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4)
Durch die Einführung des gesetzlichen Prüfrechts in § 78a SGB XII sind in den Rahmenverträgen (§ 79 SGB XII) keine Prüfungsvereinbarungen mehr zu treffen.
Die nunmehr vorgesehene Regelung, in den Rahmenverträgen nach § 79 SGB XII Personalschlüssel festzulegen, bildet die Grundlage für die Vergleichbarkeit der Leistungen und für mehr Transparenz.
Zu Nummer 7 (§ 81 Absatz 1 Satz 2 - neu -)
- Bislang ermächtigt § 81 Absatz 1 SGB XII die Landesregierungen durch Rechtsverordnungen Vorschriften über Rahmenvertragsinhalte nach § 79 Absatz 1 SGB XII zu erlassen, wenn die Rahmenverträge innerhalb von sechs Monaten nicht zustande kommen, nachdem die Landesregierung schriftlich dazu aufgefordert hatte. Die Delegationsermächtigung an die zuständigen Landesministerien führt zu einer Verfahrensvereinfachung und verbessert die Verhandlungsposition des zuständigen Ministeriums. Indirekt wird dadurch auch die Position der Sozialhilfeträger im Verhältnis zu den Leistungserbringern gestärkt.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Übergangsvorschriften sind nicht erforderlich.