Der Bundesrat möge beschließen, folgende Entschließung zu fassen:
- 1. Die Arbeitsbelastung in der Sozialgerichtsbarkeit hat in den letzten Jahren beständig zugenommen. Seit dem Jahr 2005 hat sich dieser Trend noch erheblich verstärkt. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der Katalog der Zuständigkeiten der Sozialgerichtsbarkeit mit Wirkung zum 1. Januar 2005 um die Streitigkeiten in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954), die Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialhilfe (Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) und die Streitigkeiten in Angelegenheiten des Asylbewerberleistungsrechts (7. SGGÄndG vom 9. Dezember 2004, BGBl. I S. 3302) ergänzt worden sind. Die Umsetzung dieser Zuständigkeitsverlagerungen von der Verwaltungs- auf die Sozialgerichtsbarkeit bereitet der Justiz nach wie vor personalwirtschaftliche Probleme. Denn dem beständigen Anstieg der Belastung der Sozialgerichte in den vergangenen Jahren konnte auf Grund der zunehmend kritischen Lage der öffentlichen Haushalte nicht mehr durch eine entsprechende Vergrößerung des Personalkörpers Rechnung getragen werden. Dies hat zu einer mittlerweile sehr hohen Belastung des richterlichen Personals in der Sozialgerichtsbarkeit geführt, die sich ohne Einbußen für die Qualität oder Schnelligkeit der Verfahrensbearbeitung nicht mehr relevant steigern lässt.
- 2. Die durch Zuständigkeitsänderungen herbeigeführten zusätzlichen Belastungen der Sozialgerichtsbarkeit können nur teilweise durch Übertragung richterlicher Personalkapazitäten von der Verwaltungs- auf die Sozialgerichtsbarkeit ausgeglichen werden. Denn nur wenige Richterinnen und Richter der Verwaltungsgerichtsbarkeit sind bereit, auf freiwilliger Basis in die Sozialgerichtsbarkeit zu wechseln. Die rechtlichen Möglichkeiten, Richterinnen und Richtern gegen deren Willen an Gerichte einer anderen Gerichtsbarkeit zu versetzen, sind aber angesichts der Vorgaben aus den §§ 28 ff. DRiG und der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen aus Artikel 97 Abs. 1 GG eng begrenzt. Der Bundesrat hat bereits im September 2004 und erneut im Februar 2006 mit den beim Deutschen Bundestag eingebrachten Entwürfen für ein Gesetz zur Änderung der Artikel 92 und 108 GG sowie für ein Zusammenführungsgesetz (vgl. BR-Drs. 543/04(B) und 544/04(B) sowie BR-Drs. 046/06(B) und 047/06(B) ) die Initiative ergriffen, um die Voraussetzungen für einen flexibleren Einsatz der richterlichen Personalkapazitäten zu schaffen und so auch die Lage in der Sozialgerichtsbarkeit zu entspannen.
- 3. Der Deutsche Bundestag hat mit der Verabschiedung des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 9. Dezember 2004 den Versuch unternommen, den Ländern mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 Instrumente zur Entlastung der Sozialgerichte an die Hand zu geben, indem - zeitlich befristet - die Einrichtung besonderer für bestimmte Sozialsachen zuständiger Spruchkörper der Verwaltungsgerichte ermöglicht und - dauerhaft - der Einsatz von Richtern im Nebenamt zugelassen worden ist. Diese Instrumente sind jedoch untauglich, eine nachhaltige spürbare Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit herbeizuführen.
- 4. In dieser Situation hält es der Bundesrat mit Blick auf den sozialen Frieden und die verfassungsrechtliche Gewährleistung effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für dringend geboten, das geltende Prozessrecht umzugestalten und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit Instrumente an die Hand zu geben, die es ihnen ermöglichen, die zunehmende Verfahrenslast zu bewältigen. Der Bundesrat fordert daher den Deutschen Bundestag auf, mit der zeitnahen Verabschiedung des nun vorgelegten Gesetzentwurfs, aber auch der bereits eingebrachten Gesetzentwürfe betreffend die Zusammenführung der öffentlichrechtlichen Fachgerichtsbarkeiten (BR-Drs. 543/04(B) und 544/04(B) sowie BR-Drs. 046/06(B) und 047/06(B) ) und die Aufhebung der Kostenfreiheit im sozialgerichtlichen Verfahren (vgl. BR-Drs. 663/03(B) und BR-Drs. 045/06(B) ) die gebotenen Schritte zur notwendigen Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit zu ergreifen.
- 5. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die aktuellen Bemühungen um die Verwirklichung einer Großen Justizreform ebenfalls darauf gerichtet sind, das Sozialprozessrecht in einer Weise umzugestalten, dass es die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in die Lage versetzt, auch in Zeiten hohen Verfahrensanfalls effektiven und qualitativ hochwertigen Rechtsschutz zu bieten. Der nun vorgelegte Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes soll diesen Bemühungen nicht vorgreifen. Sein Anliegen ist es vielmehr, kurzfristig eine spürbare Entlastung der Gerichte zu ermöglichen, um in der Übergangszeit bis zur Verwirklichung der Großen Justizreform zu vermeiden, dass die Sozialgerichtsbarkeit in eine verfassungsrechtlich problematische Überlastungssituation gerät.
Begründung (nur für das Plenum):
Es wird auf die Begründung der Empfehlung für eine Entschließung in BR-Drs. 684/06 (PDF) , Ziffer 8 verwiesen. Der vorgeschlagene Entschließungstext entspricht inhaltlich weit gehend und in der Zielsetzung vollständig der Empfehlung des Rechtsausschusses. Die an dieser Empfehlung vorgenommenen Änderungen beschränken sich darauf, den Text zu aktualisieren.