Der Bundesrat hat in seiner 992. Sitzung am 3. Juli 2020 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Vorlage der Kommission für eine europäische Biodiversitätsstrategie. In ihr möchte die Kommission mit ihrer Biodiversitätsstrategie eine umfassende Antwort auf die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme und Flüsse, der Verbesserung des Zustands von in der EU geschützten Lebensräumen und Arten sowie Wäldern und der Verringerung der Umweltverschmutzung in Wasser und Boden sowie zur Begrünung unserer Städte geben. Neben dem Schutz und der Wiederherstellung der Natur in der EU soll ein tiefgreifender Wandel ermöglicht und die EU auf den Weg zu einer ehrgeizigen globalen Biodiversitätsagenda gebracht werden.
- 2. Der Bundesrat unterstreicht auch in Anbetracht der Covid-19-Krise den besonderen Stellenwert einer intakten Natur und hohen Biodiversität. Er unterstützt die von der Kommission formulierten Ziele für den Naturschutz im Hinblick auf Ausweisung, Schutz und Bewirtschaftung von Schutzgebieten sowie den EU-Plan zur Wiederherstellung der Natur.
- 3. Der Bundesrat begrüßt, dass die EU-Biodiversitätsstrategie und die "Vom Hof auf den Tisch"-Strategie (vergleiche BR-Drucksache 280/20 (PDF) ) zeitgleich vorgelegt wurden. Damit kommt die inhaltliche Nähe von Umwelt- und Agrarthemen hinsichtlich zu ergreifender Maßnahmen besonders zum Ausdruck.
- 4. Er weist darauf hin, dass die umfassende neue Richtung, die die Biodiversitätsstrategie in Verbindung mit der Strategie "Vom Hof auf den Tisch" dem Agrar- und Lebensmittelsektor in der EU für die nahe Zukunft gibt, der Land- und Forstwirtschaft enorme weitere Anstrengungen und Flächenextensivierungen abverlangt. Der Bundesrat betont, dass eine Verbesserung der Biodiversität im Rahmen der Biodiversitätsstrategie gleichzeitig einen Verzicht auf eine betriebswirtschaftlich optimierte Marktleistung bedeutet. Die Bundesregierung wird deshalb darum gebeten, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, Instrumente zu schaffen, mittels derer dem Natur- und Umweltschutz ein eigener echter Marktwert gegeben wird.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich im Rahmen der Biodiversitätsstrategie sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene für Instrumente und Anreize einzusetzen, damit die klima- und umweltfreundliche EU-Landwirtschaft auch ein wirtschaftliches Erfolgsmodell wird.
- 6. Er weist allerdings darauf hin, dass insbesondere die in der EU-Biodiversitätsstrategie zur Wiederherstellung der Natur genannten Ziele - dazu zählen unter anderem die Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes um 50 Prozent, des Düngemitteleinsatzes um 20 Prozent, die Steigerung des Anteils der ökologisch bewirtschafteten landwirtschaftlichen Nutzfläche auf 25 Prozent und des Anteils von Landschaftselementen auf 10 Prozent - nur umsetzbar sind, wenn Landwirtinnen und Landwirten entsprechende Anreize insbesondere über die 1. und
- 2. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik gewährt werden. Der Bundesrat bedauert, dass die Strategie zu diesem wichtigen Aspekt lediglich unverbindliche Aussagen enthält, die einer Verknüpfung von Biodiversität und Agrarpolitik nur ungenügend Rechnung tragen.
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich sowohl bei den Verhandlungen auf EU-Ebene zum Mehrjährigen Finanzrahmen als auch im Hinblick auf die nationale Umsetzung der verschiedenen EU-Fonds in Deutschland für eine Verbesserung der EU-Naturschutzfinanzierung einzusetzen.
- 8. Der Bundesrat weist darauf hin, dass zahlreiche Schutzgebiete und Lebensräume in Deutschland erst durch die menschliche Nutzung entstanden sind. Der Erhalt dieser Schutzgebiete und Lebensräume kann daher nur durch die Beibehaltung der traditionellen Bewirtschaftung sichergestellt werden. Dies ist entsprechend zu berücksichtigen.
- 9. Er stellt fest, dass der mit dem europäischen Grünen Deal und der Biodiversitätsstrategie vorgezeichnete Weg, die EU zum globalen Vorreiter für nachhaltige Produktionsweisen und im Ressourcenschutz zu machen, nur erfolgreich sein kann, wenn er nicht durch Importe aus Drittländern unterlaufen wird, in denen geringere Standards gelten. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung sicherzustellen, dass bei Verhandlungen zu künftigen Freihandelsabkommen und WTO-Vereinbarungen die Notwendigkeiten zur Erreichung der Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie konsequent durchgesetzt und Wettbewerbsverzerrungen durch Lebensmittelimporte aus Drittländern verhindert werden.
- 10. Der Bundesrat betont, dass die Wälder in Deutschland mit ihren vielfältigen Ökosystemleistungen und ihrer mehr als 300-jährigen Tradition einer nachhaltigen Bewirtschaftung durch verantwortungsbewusste Waldbesitzer von herausragender Bedeutung für Mensch, Natur und Umwelt und damit Blaupause für die Umsetzung der 17 Ziele einer weltweiten nachhaltigen Entwicklung sind. Dazu gehören auch der Erhalt und, wo notwendig, die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt als Grundlage für ihre Bewirtschaftung. Die Bedeutung dieses Wirtschaftsmodells für das tägliche Leben wird, beginnend mit dem "Green Recovery", in einer postfossilen Welt bei sich gleichzeitig verschärfenden Auswirkungen des Klimawandels weiter steigen.
- 11. Der Bundesrat betont ferner, dass die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder - insbesondere in Europa - nicht in Frage gestellt und deren multifunktionale Ausrichtung nicht gefährdet werden darf. Bei Bedarf soll sie durch effektive und effiziente Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt unterfüttert werden. Nach Ansicht des Bundesrates ist das internationale Ziel der verstärkten Berücksichtigung von Aspekten der biologischen Vielfalt in allen Politikbereichen nur durch verstärkte Integration und Zusammenarbeit zu erreichen. Dementsprechend sollen bei den weiteren Beratungen zur Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie die spezifischen Erfordernisse des Waldnaturschutzes herausgearbeitet und in die angekündigte ganzheitliche (360 Grad) EU-Waldstrategie eingebracht werden.
- 12. Er weist darauf hin, dass sich zumindest in Mitteleuropa der ökologische Zustand der Wälder dank verantwortungsbewusster nachhaltiger Bewirtschaftung in den letzten 50 Jahren deutlich verbessert haben dürfte. Der Bundesrat hält daher eine ganzheitliche und differenzierte Analyse zur Lage der Wälder in Europa für notwendig. Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie müssen auf der Basis von konkreten Ist-Zuständen, Trends, Ursachen und Zielen sorgfältig fachlich abgeleitet und begründet werden. Dies gilt sowohl für die EU-Ebene als auch für die Umsetzung entsprechender EU-Vorgaben auf nationaler und regionaler Ebene.
- 13. Der Bundesrat weist ferner darauf hin, dass dem Bodenschutz auf europäischer Ebene im Sinne des Ansatzes des europäischen Grünen Deals eine besondere Bedeutung zukommt. Das gilt für die Rolle der Böden im Klimageschehen, für die Entwicklung eines fairen, gesunden und umweltfreundlichen Lebensmittelsystems sowie für den Erhalt und die Wiederherstellung von Ökosystemen und Biodiversität gleichermaßen. Die von der Kommission angekündigte Aktualisierung der thematischen Strategie für den Bodenschutz der EU sollte diesbezüglich eine deutliche Positionierung enthalten. Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung gebeten, sich bei der inhaltlichen Gestaltung der aktualisierten thematischen Strategie für den Bodenschutz der EU eindringlich für die Weiterführung der Beratungen zu einem Richtlinienvorschlag zum Schutz der Böden einzusetzen.