Der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz
Mainz, den 3. Februar 2012
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen haben beschlossen, beim Bundesrat den in der Anlage mit Begründung beigefügten Antrag für eine Entschließung des Bundesrates zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer von 42 Prozent auf 49 Prozent einzubringen.
Ich bitte Sie, den Entschließungsantrag gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der 892. Sitzung des Bundesrates am 10. Februar 2012 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Kurt Beck
Entschließung des Bundesrates zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer von 42 Prozent auf 49 Prozent
Der Bundesrat möge beschließen
Der linearprogressive Einkommensteuertarif ist Ausdruck des Leistungsfähigkeitsprinzips im Steuerrecht, nach dem der wirtschaftlich Leistungsfähigere einen höheren Prozentsatz seines Einkommens für die Finanzierung des Staates einsetzen muss. Mit dem moderaten Anstieg der steuerlichen Belastung höherer Einkommen ist der linearprogressive Einkommensteuertarif geeignet, die Steuerpflichtigen nach dieser Maßgabe gerecht zu belasten.
Für eine gerechte Besteuerung besonders wichtig ist der Spitzensteuersatz. Angesichts der Lage der öffentlichen Haushalte hält der Bundesrat unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten einen höheren Beitrag von Besserverdienenden zur Finanzierung des Gemeinwesens als bisher für notwendig. Die Anhebung des Spitzensteuersatzes ist zudem dringend geboten, damit der Staat durch höhere Einnahmen beim Abbau der Neuverschuldung vorankommt.
Der Bundesrat spricht sich deshalb dafür aus, den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer ab einem zu versteuernden Einkommen von 100.000 € auf eine Grenzbelastung von 49% anzuheben.
Begründung:
Bund und Länder stehen nach der Wirtschafts- und Finanzkrise vor der Frage, wie zukünftig die notwendigen staatlichen Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger erbracht werden können und gleichzeitig die Haushaltskonsolidierung mit dem Abbau von Finanzierungsdefiziten vorangetrieben werden kann, um so auch eine Einhaltung der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse zu gewährleisten. Als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise belasten nämlich auch erhebliche strukturelle Defizite die Haushalte der öffentlichen Gebietskörperschaften, die sich selbst bei einer Besserung der Wirtschaftslage nicht von selbst wieder zurückbilden werden. Dies ist auch die Folge der seit Herbst 2008 in Kraft getretenen und entgegen der stabilisierungspolitischen Zielsetzung dauerhaft wirksamen Steuerentlastungen. Die verfassungsrechtlich verankerte Schuldenbremse verpflichtet die Politik zur Zurückführung dieser strukturellen Defizite spätestens bis zum Jahr 2016 (Bund) bzw. 2020 (Länder). Die bisher diskutierten und auf der Ebene des Bundes zum Teil bereits verabschiedeten Maßnahmen zur Senkung des Staatsdefizits zielen im Wesentlichen darauf ab, die Staatsausgaben zu senken. Anders als in der Öffentlichkeit dargestellt, sehen die Vorhaben der Bundesregierung zwar durchaus Maßnahmen zur Verbesserung der Einnahmen im Bundeshaushalt vor. Dabei handelt es sich aber um ökonomisch verfehlte und verteilungspolitisch undurchdachte Maßnahmen, die zudem indirekt die Haushalte von Ländern und Kommunen belasten und es diesen erschweren, ihre Haushalte wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Ohne die Steigerung der Einnahmebasis von Bund, Ländern und Kommunen sind diese Herausforderungen nicht zu bewältigen. Sparanstrengungen allein reichen nicht mehr aus, wenn soziale Gerechtigkeit Maßstab für das Handeln des Staates bleiben soll. Eine Akzeptanz für erforderliche Sparmaßnahmen kann in der Bevölkerung aber nur dann erreicht werden, wenn alle gesellschaftlichen Gruppen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zur Erreichung des Ziels handlungsfähiger öffentlicher Haushalte herangezogen werden.
Angesichts der Lage der öffentlichen Haushalte und unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten hält der Bundesrat einen höheren Beitrag von Besserverdienenden zur Finanzierung des Gemeinwesens damit für unerlässlich. Kleine und mittlere Einkommen dürfen jedoch nicht mehr stärker mit Steuern belastet werden. Das ist ein Gebot des politischen Anstands und der Fairness. Die Anhebung des Spitzensteuersatzes ist daher ein geeignetes Mittel, dem Staat höhere Einnahmen für den Abbau der Schulden zur Verfügung zu stellen. Zumal die steuerliche Belastung der Gutverdienenden in der Vergangenheit spürbar abgemildert wurde. So ist der Spitzensteuersatz seit Ende der 80er Jahre von 56% auf aktuell 42% (bzw. 45% bei Einkommen, die dem Reichensteuersatz unterliegen) abgesenkt worden. Nach der Studie "Taxing Wages - Ausgabe 201 0" der OECD haben vor allem die Bezieher höherer Einkommen in den letzten Jahren von der Senkung der Steuer- und Abgabenlast profitiert, während die Geringverdiener in Deutschland zum Teil deutlich höher mit Steuern und Abgaben belastet werden als in vergleichbaren Ländern. Eine Anhebung des Spitzensteuersatzes würde einen Beitrag zur gerechteren Lastenverteilung leisten und damit auch dem Erhalt des sozialen Friedens dienen.
Anzustreben ist ein Spitzensteuersatz von 49% ab einem Einkommen von 100.000 €.
Eine Anhebung des Spitzensteuersatzes in der vorgeschlagenen Weise würde - ohne dass breite Teile der Bevölkerung betroffen wären - zu jährlichen Steuermehreinnahmen von mindestens 5 Milliarden Euro führen.
Negative konjunkturelle Effekte sind nicht zu erwarten, denn auch die Absenkung des Spitzensteuersatzes von 53% auf 42% hatte keine signifikanten Auswirkungen auf die Konjunktur. Im internationalen Vergleich stünde die Bundesrepublik Deutschland mit einer höheren Besteuerung von Spitzenverdienern zur Finanzierung der krisenbedingten Haushaltsbelastungen keineswegs isoliert da. So haben neben Großbritannien auch Frankreich, Irland und Island ihre Steuertarife nach oben angepasst. Auch die südeuropäischen Staaten Portugal und Griechenland haben vor dem Hintergrund notleidender öffentlicher Haushalte die Steuersätze erhöht.