Der Bundesrat hat in seiner 967. Sitzung am 27. April 2018 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst
Anlage
Entschließung des Bundesrates zu Maßnahmen zur optimalen Auslastung bestehender Stromnetze
- 1. Mit der zunehmenden Anzahl von dezentralen Erneuerbare-Energien-Anlagen verändern sich die Anforderungen an die Planung und den Betrieb insbesondere der Übertragungsnetze erheblich. Die historisch gewachsene Netzstruktur, die auf der Einspeisung zentraler Großkraftwerke beruhte, wird dem flächigen Zubau von Erneuerbare-Energien-Anlagen und der dadurch bedingten Verlagerung der Erzeugungsschwerpunkte nicht mehr gerecht. Um die Erzeugung und den Verbrauch von Strom über große Entfernungen auszugleichen und die Leistungsfähigkeit des Übertragungsnetzes insgesamt zu erhöhen, ist ein schnellstmöglicher Ausbau des Übertragungsnetzes und damit eine Realisierung der im Energieleitungsausbaugesetz und im Bundesbedarfsplangesetz aufgeführten Netzausbauvorhaben dringend erforderlich.
- 2. Der Bundesrat begrüßt es daher, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern nach Möglichkeiten sucht, die im Bundesbedarfsplan vorgesehenen Netzausbauvorhaben zu beschleunigen.
- 3. Bis zu der Inbetriebnahme dieser Netzausbauvorhaben müssen sämtliche Potentiale ausgeschöpft werden, um durch optimale Nutzung und Betrieb des Bestandsnetzes einen weiteren Zubau von Erneuerbare-Energien-Anlagen bei gleichzeitiger Begrenzung der Kosten für Netzstabilisierungsmaßnahmen (Redispatch und Einspeisemanagement) zu ermöglichen.
- 4. Der Einsatz von Freileitungsmonitoring und Hochtemperaturleiterseilen kann kurzfristig dazu beitragen, die Übertragungskapazitäten von Bestandsleitungen signifikant zu erhöhen. Die Übertragungsnetzbetreiber haben in den Entwürfen der Netzentwicklungspläne bereits eine Vielzahl von Vorschlägen unterbreitet, wo diese Technologien zum Einsatz kommen können.
- 5. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, unverzüglich gemeinsam mit den Übertragungsnetzbetreibern und aufbauend auf deren bisherigen Planungen weitere geeignete Trassen für den Einsatz von Freileitungsmonitoring und Hochtemperaturleiterseilen zu identifizieren und dafür Sorge zu tragen, dass die für einen umfassenden Einsatz dieser Technologien erforderlichen Informations- und Kommunikationstechnologien schnellstmöglich installiert werden. Um einen zeitnahen Einsatz dieser Technologien zu ermöglichen, sollten die erforderlichen Planungs- und Genehmigungsprozesse entsprechend gestrafft bzw. vereinfacht werden. Insbesondere sollte die Möglichkeit des Verzichts auf ein Bundesfachplanungsverfahren bei diesen Vorhaben, die weitestgehend durch Zu- oder Umbeseilung realisiert werden können, geprüft werden.
- 6. Neben dem Einsatz von Freileitungsmonitoring und Hochtemperaturleiterseilen können auch Auslastungsmonitoring und weitere lastflusssteuernde Elemente im Übertragungsnetz, wie etwa der Einsatz von Querregeltransformatoren, eine Entlastung bewirken. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Übertragungsnetzbetreibern unverzüglich die Einsatzmöglichkeiten und das Entlastungspotential der dynamischen Netzauslastung und von lastflusssteuernden Elementen im Übertragungsnetz zu prüfen.
Begründung:
Die Energiewende bedeutet nicht weniger als einen fundamentalen Umbau des Energieversorgungssystems. Von zentraler Bedeutung ist dabei der unverzügliche Ausbau des Übertragungsnetzes, wie er im Energieleitungsausbaugesetz und im Bundesbedarfsplan vorgesehen ist. Bis zur Realisierung dieser Netzausbauvorhaben werden sich die gegenwärtigen Engpässe im Übertragungsnetz allerdings noch deutlicher bemerkbar machen. Um einen weiteren Zubau der Erneuerbaren Energien zu ermöglichen und gleichzeitig die Kosten für Netzstabilisierungsmaßnahmen zu begrenzen, ist es dringend erforderlich, sämtliche Optimierungspotentiale im bestehenden Übertragungsnetz umgehend auszuschöpfen.
Insbesondere der Einsatz von Freileitungsmonitoring und von Hochtemperaturleiterseilen ist besonders geeignet, um kurzfristig einen entlastenden Effekt im Übertragungsnetz zu bewirken. Netzengpässe entstehen, wenn ein Betriebsmittel (das kann beispielsweise eine Leitung oder ein Transformator sein) den notwendigen Leistungsbedarf nicht übertragen kann. Ausschlaggebend sind dabei insbesondere physikalische Grenzen wie etwa die mit steigendem Stromfluss ansteigende Temperatur des Betriebsmittels. Die Erwärmung eines Leiterseils etwa führt zu dessen Verlängerung und dies wiederum zu einem starken Durchhang bei Freileitungen. Diese thermische Grenze kann durch den Einsatz von Hochtemperaturleiterseilen, die auch bei starker Erwärmung nur eine geringfügige Längenveränderung aufweisen, erheblich angehoben werden, sodass die Übertragungskapazität um bis zu 100 Prozent erhöht werden kann. Die Übertragungsleistung ist zudem von weiteren, externen Faktoren wie Umgebungstemperatur, Globalstrahlung und Windgeschwindigkeit abhängig. Die nach einer DIN-Norm erfolgende Berechnung der maximalen Strombelastung legt für diese Faktoren starre Werte zugrunde, die im tatsächlichen Betrieb häufig erheblich unterschritten werden. Mit einem Freileitungsmonitoring können die Temperatur oder Durchhang oder Witterungsbedingungen vor Ort erfasst werden und so die maximal zulässige Strommenge dynamisch angepasst werden.
Ein weiteres zu prüfendes Instrument ist das in Schleswig-Holstein auf der 110 kV-Netzebene erfolgreich eingeführte Auslastungsmonitoring. Mit der intelligenten Auslastung der statischen Reservekapazitäten in den Stromtrassen kann die Übertragungskapazität von identifizierten engpassbildenden Teilstrecken, unabhängig von den Wetterbedingungen, um bis zu 50 Prozent erhöht werden, ohne dabei die Versorgungssicherheit und die Netzstabilität zu gefährden. Die Übertragung dieses digitalen intelligenten Steuerungsinstruments auf die Ebene der Übertragungsnetze kann durch Umstellung auf den netzdynamischen (n-1)-Betrieb kurzfristig einen erheblichen Beitrag zur Engpassbewältigung leisten.
Zudem kann durch Lastflusssteuerung mittels Querregeltransformatoren Strom von einer überlasteten auf eine nicht ausgelastete Leitung verlagert werden. So können auch lastflusssteuernde Elemente wie Phasenschieber bzw. Querregeltransformatoren einen kurzfristigen Entlastungseffekt bewirken, deren Potentiale und Einsatzmöglichkeiten von der Bundesregierung zu prüfen sind.
Diese, auch dem NOVA-Prinzip entsprechenden, Technologien können mit verhältnismäßig geringen und kosteneffizienten Eingriffen in das bestehende Übertragungsnetz integriert werden und die Übertragungskapazität signifikant erhöhen. Gleichzeitig erlaubt gerade das Freileitungsmonitoring eine effizientere Netzführung.
Die Bundesregierung und die Übertragungsnetzbetreiber sind daher aufgefordert, flächendeckend das Potential eines Einsatzes dieser Technologien zu analysieren und die erforderliche digitale Infrastruktur schnellstmöglich zu installieren.
Häufig sind für diese, dem NOVA-Prinzip entsprechenden, Optimierungs- und Verstärkungsmaßnahmen keine umfassenden Änderungen an bestehenden
Masten erforderlich, sodass die räumlichen Auswirkungen als geringfügig anzusehen sind.
Da die im Bundesbedarfsplan vorgesehenen Netzausbauvorhaben dringend und zeitnah benötigt werden, begrüßt der Bundesrat, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern nach Möglichkeiten sucht, den Ausbau zu beschleunigen. Dies darf aber nicht zu Lasten der Beteiligung von Bürgern gehen.