A
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit dem vorliegenden Verordnungsvorschlag eine Initiative zur Neugestaltung des Energiebinnenmarktes vorlegt und dessen Marktdesign an die zunehmende Integration erneuerbarer Energien anpassen will.
- 2. Der Bundesrat begrüßt daher die Grundausrichtung der Elektrizitätsbinnenmarktverordnung, den europäischen Strombinnenmarkt zu stärken und auf den steigenden Anteil erneuerbarer Energien auszurichten. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass gut vernetzte und flexible Märkte entscheidend sind, um die Synergien des Binnenmarktes für mehr Wettbewerb und Innovation sowie für eine verbesserte Integration der erneuerbaren Energien zu nutzen.
- 3. Einige Regelungen des Verordnungsvorschlags werden dieser Zielsetzung jedoch nicht gerecht. Mit großer Besorgnis sieht der Bundesrat, dass eine Umsetzung der Vorschläge den weiteren Zubau der erneuerbaren Energien sowie das hohe Maß der Versorgungssicherheit in Deutschland erheblich gefährden würde.
- 4. Der Bundesrat stellt zudem fest, dass das in der Elektrizitätsbinnenmarktverordnung adressierte Ziel der Dekarbonisierung des Energiesystems einer Präzisierung bedarf. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich gegenüber der Kommission dahingehend einzusetzen, dass gemäß den europäischen Klimaschutzzielen durchgängig eine "weitgehende Dekarbonisierung bis 2050" angestrebt wird.
- 5. Aus Sicht des Bundesrates bestehen Bedenken gegen Artikel 11 des Verordnungsvorschlags, der den im deutschen Recht vorgesehenen generellen Einspeisevorrangs für Strom aus erneuerbaren Energien einschränkt.
- 6. Der Bundesrat ist insbesondere der Auffassung, dass Artikel 11 des Verordnungsvorschlags den im deutschen Recht vorgesehenen generellen Einspeisevorrang für Strom aus erneuerbaren Energien so stark einschränkt, dass er für den ganz überwiegenden Teil des Ausbaus der erneuerbaren Energien nicht mehr greift.
- 7. Es bestünde auch die Gefahr, dass die Einschränkung des Einspeisevorrangs die - gerade in Deutschland sehr erfolgreich verlaufende - Energiewende zum Erlahmen bringt. Dies widerspricht dem Ziel der Dekarbonisierung der Energieversorgung.
- 8. Damit wird ferner das im Vertrag über die Arbeitsweise der EU vorgesehene Recht der Mitgliedstaaten, die Nutzung ihrer Energieressourcen selbst zu bestimmen (Artikel 194 Absatz 2 Unterabsatz 2 AEUV), maßgeblich beschränkt und eine bislang wesentliche Rahmenbedingung einer erfolgreichen Energiewende abgeschafft.
- 9. Die Einschränkung des Einspeisevorrangs berührt das Recht Deutschlands, die Nutzung seiner Energieressourcen selbst zu bestimmen (Artikel 194 Absatz 2 AEUV).
- 10. Eine Einschränkung der deutschen Rechtslage durch Artikel 11 und 12 des Verordnungsvorschlags würde das Recht der Mitgliedstaaten, die Nutzung ihrer Energieressourcen selbst zu bestimmen, maßgeblich beschränken.
- 11. Es widerspricht dem Sinn und Zweck des Aufbaus eines neuen Erzeugungsparks aus erneuerbaren Energien, wenn nicht sichergestellt wird, dass der Strom aus den Anlagen auch ins Netz eingespeist und genutzt wird. Dies gilt umso mehr, als erst die Ziele der EU für den Ausbau der erneuerbaren Energien erreicht werden sollten, bevor den Mitgliedstaaten die Rahmenbedingungen dafür beschränkt werden.
- 12. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien uneingeschränkt erhalten bleibt.
- 13. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass sich der im deutschen Recht vorgesehene generelle Einspeisevorrang für Strom aus erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung bewährt hat.
- 14. Die Ausführungen in der Begründung des Vorschlages, dass es sich bei der "vorrangigen Einspeisung" um preisverzerrende Bestimmungen handelt, können nicht nachvollzogen werden. Der Einspeisevorrang soll eine Diskriminierung erneuerbarer Energien verhindern und das Hineinwachsen der erneuerbaren Energieträger in den Markt gewährleisten.
- 15. Der Bundesrat lehnt es ab, dass Demonstrationsprojekte für innovative Technologien auf dem gleichen Rang wie erneuerbare Energien eingestuft werden, ohne dass diese Technologien genauer spezifiziert werden. Er fordert insbesondere, Demonstrationsprojekte für innovative Technologien in europäischen Kernkraftwerken und Kohlekraftwerken generell vom Einspeisevorrang auszunehmen.
- 16. Der Bundesrat stellt fest, dass der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz eine wesentliche Voraussetzung für den stetig wachsenden Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung in Deutschland ist. Zwar sieht Artikel 11 des Verordnungsvorschlags eine Privilegierung hinsichtlich des Netzzugangs von Erzeugungsanlagen, die erneuerbare Energiequellen nutzen, vor. Die Begrenzung dieser Sonderregelung auf Anlagen mit einer Stromerzeugungskapazität von weniger als 500 kW käme jedoch faktisch einer Abschaffung des Einspeisevorrangs gleich und benachteiligt hochmoderne und leistungsfähige Erzeugungsanlagen. Der Bundesrat fordert daher, das Tatbestandsmerkmal der Stromerzeugungskapazität von bis zu 500 kW als Voraussetzung für eine vorrangige Einspeisung von Erzeugungsanlagen, die erneuerbare Energiequellen nutzen, ersatzlos zu streichen.
- 17. Der Bundesrat stellt fest, dass in Deutschland der Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten installierten Erzeugungskapazität höher ist als 15 Prozent. Nach dem Vorschlag der Kommission ist damit im Ergebnis nur noch ein Vorrang für erneuerbare Energien und Kraft-Wärme-Kopplung mit weniger als 250 kW vorgesehen. Der Bundesrat fordert, die Begrenzung des Einspeisevorrangs auf kleine Anlagen komplett zu streichen.
- 18. Nach Artikel 11 Absatz 5 des Verordnungsvorschlags soll der vorrangige Dispatch nicht als Rechtfertigung für Einschränkungen der grenzüberschreitenden Kapazitäten dienen dürfen. Diese Regelung hätte zur Folge, dass zu bestimmten Zeiten Anlagen der erneuerbaren Energien zugunsten von Importstrom auch aus fossilen oder nuklearen Stromerzeugungsanlagen heruntergeregelt werden müssen. Der Bundesrat lehnt es ab, den Einspeisevorrang für erneuerbare Energien und den grenzüberschreitenden Stromhandel auf diese Weise gegeneinander auszuspielen. Er fordert vielmehr einen Ausbau der Grenzkuppelstellen und der europäischen Netze, der vom Einspeisevorrang für erneuerbare Energien ausgeht. Der Bundesrat fordert Lösungen, die gewährleisten, dass die Klimaschutzziele nicht durch CO₂ intensiv erzeugten Importstrom konterkariert werden. Entsprechendes gilt auch für den deutschen Ausstieg aus der Kernkraft: Wegfallende Strommengen aus Kernkraftwerken sollen durch erneuerbare Energien und nicht durch Atom- oder Kohlestrom aus Nachbarstaaten ersetzt werden.
- 19. Der Bundesrat lehnt die Kompetenzübertragung an die Kommission für die Entscheidung über die Gebotszonenkonfiguration ab.
- 20. Der Bundesrat betont die Bedeutung des Erhalts einer Strompreiszone in Deutschland und stellt fest, dass eine Verlagerung der Entscheidungsbefugnis über die Aufteilung der deutschen Strompreiszone auf die europäische Ebene gleichfalls das oben genannte Recht Deutschlands berührt, die Struktur seiner Energieversorgung selbst zu bestimmen.
- 21. Die Regelung berührt das Recht Deutschlands, die allgemeine Struktur der Energieversorgung selbst zu bestimmen (Artikel 194 Absatz 2 AEUV).
- 22. Die Entscheidung sollte [vielmehr] {weiterhin} von den jeweils betroffenen Staaten gemeinsam auf Basis des Vorschlags der Übertragungsnetzbetreiber erfolgen.
- 23. Zudem stünde eine Aufteilung der bestehenden Gebotszonen im Widerspruch zum Ziel eines einheitlichen EU-Binnenmarktes.
- 24. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher dazu auf, sich bei der Kommission für den Erhalt einer einheitlichen Strompreiszone in Deutschland einzusetzen. Er ist der Auffassung, dass die Entscheidung über die Aufteilung von Strompreiszonen weiterhin in Abstimmung zwischen den jeweils betroffenen EU-Mitgliedstaaten auf Basis des Vorschlags der Übertragungsnetzbetreiber erfolgen sollte.
- 25. Ein Anreiz zur weiteren Zersplitterung der Strompreiszonen in der EU läuft nicht nur der Idee eines weiteren Zusammenwachsens der Mitgliedstaaten im Rahmen der Energieunion entgegen, sondern behebt auch nicht die realen Unterschiede in der Netztypologie mit unzureichenden grenzüberschreitenden Verbindungen zwischen den Marktgebieten. Die Bundesregierung wird gebeten, sich gegenüber der EU dafür einzusetzen, dass die Interkonnektivität vielmehr durch physikalische Verbindungen im Stromnetz gestärkt wird.
- 26. Eine weitere Aufsplitterung der Strompreiszonen in der EU liefe nicht nur der Idee eines weiteren Zusammenwachsens der Mitgliedstaaten im Rahmen der Energieunion entgegen, sondern würde auch die realen Unterschiede in der (nationalen) Netztypologie mit unzureichenden grenzüberschreitenden Verbindungen zwischen den Marktgebieten nicht beheben. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass die Interkonnektivität vielmehr durch physikalische Verbindungen im Stromnetz gestärkt werden sollte.
- 27. Der Bundesrat sieht in den nationalen Modellen zur Vorhaltung von Reservekraftwerken wie insbesondere der Netzreserve, die den Übertragungsnetzbetreibern jederzeit und bedarfsgerecht den Zugriff auf Reservekraftwerkskapazitäten ermöglicht, einen wesentlichen Garanten für das hohe Maß der Versorgungssicherheit in Deutschland. Vor diesem Hintergrund sieht der Bundesrat die Regelungen in Artikel 21 des Vorschlags, welche faktisch auch den Zugriff anderer Mitgliedstaaten auf inländische Reservekraftwerkskapazitäten ermöglichen könnten, äußert kritisch. Es muss daher sichergestellt sein, dass nationale Reservekraftwerke auch weiterhin ausschließlich dem Zugriff der inländischen Übertragungsnetzbetreiber unterliegen.
- 28. Der Bundesrat lehnt die in Artikel 21 Absatz 5 des Vorschlags vorgesehene Möglichkeit der Teilnahme ausländischer Kapazitätsanbieter an mehr als einem Kapazitätsmechanismus ab, da das Risiko der Nichtverfügbarkeit hierdurch unnötig erhöht wird und Versorgungsrisiken geschaffen werden. Kapazitätsmechanismen dienen insbesondere zur Absicherung des Strommarktes und damit zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit in besonders kritischen Situationen. Um Versorgungsrisiken in einer solchen Belastungssituation zu minimieren, ist die Teilnahme ausländischer Kapazitäten unbedingt auf einen Mechanismus zu beschränken.
- 29. Der Bundesrat stellt fest, dass auch nach der Liberalisierung der europäischen Strommärkte die Versorgungssicherheit ein Gut der nationalen öffentlichen Daseinsvorsorge bleibt. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass nur diejenigen Kapazitäten für die nationale Versorgungssicherheit berücksichtigt werden dürfen, für die zwischenstaatliche oder europarechtlich verbindliche Regelungen bestehen. Er fordert die Bundesregierung auf, sicherzustellen, dass in einer nationalen Reserve befindliche Kraftwerke auch weiterhin ausschließlich dem Zugriff der jeweiligen inländischen Übertragungsnetzbetreiber unterliegen.
- 30. Der Bundesrat hält es für bedenklich, wenn zukünftig ein europäischer Versorgungssicherheitsbericht des Verbandes der europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) die alleinige, auf Wahrscheinlichkeitsrechnungen beruhende Grundlage sein soll, um über die Einführung nationaler Kapazitätsmechanismen zu entscheiden. Zur Bewertung von Versorgungssicherheit unter Berücksichtigung von Effekten des grenzüberschreitenden Stromaustauschs muss neben einer Marktmodellierung eine Lastflussrechnung einschließlich eines Stresstests durchgeführt werden, um ein umfassenderes Bild des Netzzustands mit Blick auf Leitungsüberlastungen und mögliche Engpässe und daraus ableitbare Handlungserfordernisse im europäischen Verbund zu generieren.
- 31. Der Bundesrat bekräftigt, dass Versorgungssicherheit in einem zusammenwachsenden europäischen Binnenmarkt nur grenzüberschreitend betrachtet werden kann. Das bestehende hohe Niveau der Versorgungssicherheit und -qualität muss dabei erhalten werden, damit Strom weiterhin jederzeit sicher verfügbar bleibt. Der Bundesrat hält es für erforderlich, nationale Leistungsbilanzen zur Beurteilung der Versorgungssicherheit zumindest übergangsweise parallel fortzuführen, bis geeignete europäische Instrumente zur Beurteilung von Versorgungssicherheit betriebsbewährt so verfügbar sind, dass auch in dem neuen System das bisherige hohe Niveau der Versorgungssicherheit und -qualität für Deutschland gewährleistet ist.
- 32. Der Bundesrat erwartet zudem, dass sich die Bundesregierung bei der Kommission dafür einsetzt, dass die mit dem vorliegenden Verordnungsvorschlag einhergehende stärkere Zentralisierung bisher nationaler Zuständigkeiten für die Energieversorgungssicherheit auf EU-Ebene auf das zwingend notwendige Mindestmaß beschränkt wird.
- 33. Der Bundesrat begrüßt die in Artikel 23 des Verordnungsvorschlags vorgesehene Emissionsobergrenze von 550 g CO₂/kWh, die gewährleistet, dass nur besonders emissionsarme Kraftwerke an einem Kapazitätsmechanismus teilnehmen können. Der Bundesrat sieht allerdings die Gefahr, dass nach der vorgeschlagenen Regelung vor allem ausländische Kernkraftwerke die Profiteure der einheitlichen Regelungen über einen Kapazitätsmechanismus sein könnten. Er fordert daher, die Emissionsobergrenze um weitere Voraussetzungen zu ergänzen und regt an, etwa technische Eigenschaften der Anlage, wie die schnelle Regelbarkeit, zum zusätzlichen Kriterium zu machen.
- 34. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich bei der Kommission entsprechend der Regelung im deutschen Strommarktgesetz dafür einzusetzen, dass Kraftwerke, die an Kapazitätsmechanismen teilnehmen, sich nicht parallel am Energy-Only-Markt betätigen dürfen. Die Nutzung bestehender Kohlekraftwerke für wenige Stunden im Jahr kann auch unter dem Gesichtspunkt der CO₂-Bilanz eine vertretbare, kostengünstige Möglichkeit zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit sein. Außerdem könnten weitere CO₂-Minderungsbeiträge dadurch erzielt werden, dass Kraftwerke, die ein bestimmtes Effizienzniveau unterschreiten, nicht mehr am Strommarkt teilnehmen, dafür aber als Kapazitätsmechanismus zur Verfügung stehen. Unter diesen Voraussetzungen ist ein Emissionsgrenzwert von 550 g CO₂/kWh entbehrlich. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich für diese Kraftwerke bei der Kommission für eine technologieneutrale Ausschreibung einzusetzen. Es dürfen keine finanziellen Anreize für den Betrieb von Atomkraftwerken gesetzt werden.
- 35. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Errichtung regionaler Betriebszentren als Ergänzung zu den bereits bestehenden Aufgaben der Übertragungsnetzbetreiber in der vorgeschlagenen Form entbehrlich ist, und lehnt diese ab. Die Kommission hat nicht dargelegt, weshalb es neben dem bereits existierenden Format der ENTSO (Strom) noch eines weiteren formellen Koordinierungsgremiums bedarf. Insbesondere wird nicht hinreichend belegt, dass die regionalen Betriebszentren zwingend mit autonomen Entscheidungskompetenzen auszustatten sind. Die von der Kommission behaupteten Wohlfahrtsgewinne durch eine solche Kompetenzverlagerung sind äußerst zweifelhaft. Es steht vielmehr zu befürchten, dass vollkommen unnötige Doppelstrukturen geschaffen werden, die letztlich zu Schwierigkeiten bei der Kompetenzabgrenzung sowie zu unklaren Letztverantwortlichkeiten und gravierenden Haftungsfragen führen.
- 36. Der Bundesrat stellt fest, dass die Übertragungsnetzbetreiber bereits vielfältig auf europäischer Ebene kooperieren und sich aus dieser Praxis kein Bedarf an der Errichtung regionaler Betriebszentren in der vorgeschlagenen Form ergibt. Eine überzeugende Begründung des Bedarfs dieser neuen Struktur und neuen Entscheidungsebene ist nicht ersichtlich. Den behaupteten Vorteilen einer Dezentralisierung stehen die Sorgen vor unnötigen Doppelstrukturen und unklaren Letztverantwortlichkeiten samt Haftungsfragen gegenüber.
- 37. Insbesondere zentrale Versorgungssicherheitsaspekte sollten auch weiterhin von den einzelnen Mitgliedstaaten eigenständig bearbeitet werden können.
- 38. Solange diese berechtigten Zweifel nicht ausgeräumt sind, sollte der Verordnungsentwurf vor dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips (Artikel 5 EUV) auch in diesem Punkt nicht weiter verfolgt werden.
- 39. Der Bundesrat sieht die Regelungen zur regionalen Zusammenarbeit und zur Einrichtung regionaler Betriebszentren äußerst kritisch. Das im europäischen Vergleich hohe Niveau der Versorgungssicherheit in Deutschland ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass die Verantwortung für die Versorgungssicherheit und die Entscheidungsbefugnis über die Netzführung in einer Hand liegen. Eine notwendige, intensivierte Zusammenarbeit der europäischen Mitgliedstaaten zur Abwendung von Stromversorgungskrisen darf keinesfalls dazu führen, dass dieses bewährte Prinzip ausgehöhlt wird.
- 40. Der Bundesrat fordert daher, dass die Regelungen zur regionalen Zusammenarbeit sowie zur Einrichtung regionaler Betriebszentren so ausgestaltet werden, dass die nationalen und für die Versorgungssicherheit in Deutschland verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber sowie die Bundesnetzagentur als zuständige Aufsichtsbehörde zwar in einem engen Austausch mit den europäischen Nachbarstaaten zur Bewältigung der Herausforderungen eines zunehmend europäisierten Netzverbunds und Energiemarkts stehen, in letzter Instanz jedoch alleine entscheidungsbefugt sind und damit das bewährte Prinzip, Verantwortung und Entscheidungsbefugnis für die Netzführung in einer Hand zu belassen, nicht durchbrochen wird.
- 41. Der Bundesrat hat Bedenken, ob die Übertragung von immer mehr Entscheidungsbefugnissen auf privatrechtlich organisierte Organisationen wie die regionalen Betriebszentren mit dem Demokratieprinzip vereinbar ist. Originäre Entscheidungsbefugnisse sollten bei den demokratisch legitimierten Verwaltungsbehörden verbleiben und nur in zwingend notwendigem Umfang auf private Vertreter einzelner Interessen übertragen werden. Überarbeitungsbedürftig ist insofern Artikel 40 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags, nach dem die Vertreter der betroffenen Regulierungsbehörden im Verwaltungsrat der regionalen Betriebszentren nur den Status eines Beobachters innehaben und ausdrücklich kein Stimmrecht erhalten.
- 42. Darüber hinaus wird die Schaffung eines neuen Verteilnetzbetreiber-Zwangsverbandes [- neben der ENTSO (Strom) -] {zur weiteren europäischen Standardisierung unter Kriterien, welche die deutschen Verteilnetzbetreiber weitestgehend ausschließen,} abgelehnt.
- 43. Einerseits bestehen auch hier Bedenken aus Sicht des Demokratieprinzips. Andererseits sind die in Artikel 51 des Verordnungsvorschlags vorgesehenen Aufgaben der Europäischen Organisation der Verteilernetzbetreiber (EUVNB) sehr unbestimmt und sehr weit definiert und gehen über das erklärte Ziel - stärkere Beteiligung der Verteilernetzbetreiber bei der Entwicklung des europäischen Strombinnenmarktes - erheblich hinaus. Darüber hinaus benachteiligt die geplante Ausgestaltung der EU-VNB in ganz erheblichem Maße kleinere und kleinste Verteilernetzbetreiber sowie klassische Stadtwerke. Nach dem Vorschlag können diese regelmäßig nicht Mitglied der EU-VNB werden, da sie in der Regel Teil eines vertikal integrierten Unternehmens bzw. (da sie die sogenannte De-MinimisAusnahme für Netzbetreiber mit weniger als 100.000 Kunden nutzen) nicht entflochten im Sinne der Verordnung sind. Aus Sicht des Bundesrates sollte es den einzelnen Netzbetreibern überlassen bleiben, ob sie sich für eine Teilnahme an der EU-VNB entscheiden wollen.
- 44. Der Bundesrat stellt fest, dass die steigenden Redispatch-Kosten durch ein Maßnahmenbündel einzugrenzen sind.
- 45. Der Bundesrat begrüßt ausdrücklich, dass der Vorschlag sich mit dem sozialpolitisch geprägten Umstand der "Energiearmut" auseinandersetzt und Handlungsbedarf sieht, sozial schwache Verbraucherinnen und Verbraucher vor steigenden Energiekosten zu schützen. Der Bundesrat stellt jedoch fest, dass der Vorschlag keine konkreten Handlungsansätze oder strategische Überlegungen vorsieht, wie betroffene Haushalte vor steigenden Energiekosten geschützt und welche wirksamen Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Vielmehr werden die Mitgliedstaaten in dem Vorschlag für die neue Marktorganisation verpflichtet, die Energiearmut nach EU-weit festgelegten Grundsätzen ausreichend zu messen und regelmäßig zu beobachten. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass statistische Erhebungen und Berichte allein jedoch keine geeigneten Instrumente sind, um die Verbraucherinnen und Verbraucher vor ansteigenden Kosten zu schützen, sondern allein als Grundlage für eine Zustandsbeschreibung dienen können.
- 46. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darüber hinaus, sich bei der Kommission gegen die zahlreichen Verordnungsermächtigungen für delegierte Rechtsakte einzusetzen, da nicht nur einzelne spezielle technische Fragen in die nachgelagerten Rechtsakte übertragen werden, sondern pauschal ganze Themenbereiche. Delegierte Rechtsakte sind gemäß Artikel 290 AEUV nur für nicht wesentliche Fragen vorgesehen. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die in Artikel 55 des Vorschlags für eine Neufassung der Elektrizitätsbinnenmarktverordnung aufgeführten Themenfelder keineswegs ausschließlich solche Fragen enthalten, die nicht wesentlich in diesem Sinne sind.
- 47. Darüber hinaus wird die Bundesregierung gebeten, sich bei der Kommission gegen die zahlreichen Verordnungsermächtigungen in Artikel 55 für delegierte Rechtsakte einzusetzen, da hierdurch letztlich wesentliche energiepolitische Fragen der Entscheidung der Mitgliedstaaten und der Länder entzogen werden.
- 48. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Netzentgelte und Gebotszonen. Insbesondere auf Verteilernetzebene kann eine Harmonisierung weder der Unterschiedlichkeit der Netzgebiete der unterschiedlichen Stadtwerke und regionalen Netzgesellschaften auf unteren Netzebenen gerecht werden, noch grenzüberschreitende, geschweige denn unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität unionsweite Bedeutung erlangen.
- 49. Soweit der Vorschlag auf eine Harmonisierung der Netzentgelte auf Verteilernetzebene zielt, hat der Bundesrat dieses Ansinnen bereits einmal dezidiert abgelehnt (vergleiche die Stellungnahme des Bundesrates vom 25. September 2015, BR-Drucksache 326/15(B) ). Er ist weiterhin der Auffassung, dass eine solche Uniformisierung den Besonderheiten der vielen lokalen Verteilernetzbetreibern nicht gerecht werden kann. Er weist erneut darauf hin, dass der Einfluss der Verteilnetzentgelte auf den Strompreis verhältnismäßig gering und im Übrigen örtlich begrenzt ist, so dass es im Regelfall bereits an jedweder grenzüberschreitenden Bedeutung fehlt. Die beschränkten Wirkungen der Verteilnetzentgelte auf die Strommärkte erfordern daher - auch zur Wahrung der Subsidiarität - kein europäisch koordiniertes Vorgehen. Besonders kritisch sieht der Bundesrat deshalb die geplante neue Ermächtigung der Kommission, verbindliche Leitlinien für die nationalen Verteilungstarifsysteme zu erlassen und insbesondere Netzkodizes für Verteilungstarifstrukturen vorzugeben. Gerade letztere lassen sich auf nationaler Ebene wesentlich besser schaffen als auf europäischer Ebene. Ihre Einführung stellt daher eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips dar. Beispielshaft für den Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip ist aus Sicht des Bundesrates auch Artikel 16 Absatz 9 des Verordnungsvorschlages zu nennen, der einen Bedarf an europäischer Harmonisierung zahlreicher Detailfragen suggeriert, der für die Verteilernetzebene in der Realität weder belegt ist noch besteht.
- 50. Insofern ist eine Ermächtigung der Kommission zur Schaffung verbindlicher Leitlinien für die nationalen Tarifsysteme nicht angemessen.
- 51. Der Bundesrat weist zusätzlich darauf hin, dass die Vorschläge zu den Verteilernetzentgelten auch systematisch in der vorgeschlagenen Verordnung fehl am Platz sind und zu Widersprüchen mit der ebenfalls novellierten Strombinnenmarktrichtlinie (BR-Drucksache 187/17 (PDF) ) führen könnten. Aus Sicht des Bundesrates sollte insbesondere die Vergabe von Dienstleistungsverträgen für den Betrieb und Ausbau des Netzes, anders als von Artikel 16 Absatz 8 des Verordnungsvorschlags gefordert, nicht angereizt, sondern wegen des bestehenden Potenzials zur künstlichen Überhöhung von Netzentgelten eher eingeschränkt werden.
- 52. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass die Abschaffung der Preisobergrenzen im Groß- und Einzelhandel dabei helfen kann, Privathaushalten und Unternehmen zu ermöglichen, sich aktiver am Energiemarkt zu beteiligen und auf Preissignale zu reagieren. Der Bundesrat verweist jedoch in diesem Zusammenhang auf die existenzielle Bedeutung niedriger Energiepreise für die Industrie. Er hält es daher für erforderlich, dass Preisspitzen nicht zu Wettbewerbsnachteilen, Produktionseinschränkungen oder -verlagerungen der europäischen Industrie führen.
B
- 53. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.