COM (2018) 267 final
Der Bundesrat hat in seiner 969. Sitzung am 6. Juli 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass der kulturelle Reichtum und die Vielfalt Europas Grundpfeiler des europäischen Einigungsprozesses und der europäischen Identität sind und Europa seine Einzigartigkeit in der Welt verleihen. Er teilt ebenfalls die Auffassung, dass das geistesgeschichtliche und kulturelle Erbe Europas zentrale Grundlagen für friedliches, respektvolles und wertschätzendes Zusammenleben der in Europa zusammenlebenden Menschen darstellt. Daher begrüßt der Bundesrat die Absicht der Kommission, der Förderung der Kultur künftig einen größeren Stellenwert beizumessen und damit das Momentum des Europäischen Jahres des Kulturerbes 2018 zu nutzen.
- 2. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die europäische Kultur auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene verwurzelt ist und dass gesamteuropäische Werte und Kulturtraditionen sich aus dem Austausch und der gegenseitigen Befruchtung dieser Kulturen ergeben. Vielfalt und Bedeutung von Kunst und Kultur gründen, in Deutschland wie anderswo, in den historisch gewachsenen dezentralen Strukturen. Aufgabe der EU ist es, unter Beachtung dieser Gegebenheiten, dort tätig zu werden, wo kulturelle Aktivitäten einen europäischen Mehrwert aufweisen und dadurch in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten ein Umfeld zu schaffen, in dem die Kultur sich bestmöglich entfalten kann.
- 3. Der Bundesrat begrüßt deshalb, dass sich die Kommission in ihrer Mitteilung ausdrücklich auf Artikel 167 AEUV stützt, in dem insbesondere hervorgehoben wird, dass die EU
- - einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes leistet;
- - künstlerisches und literarisches Schaffen sowie den nichtkommerziellen Kulturaustausch unterstützt;
- - im Sinne des "cultural mainstreaming" bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestimmungen der Verträge den kulturellen Aspekten Rechnung trägt, insbesondere zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen;
- - nur dann tätig werden darf, wenn sie unterstützend und ergänzend, nicht aber ersetzend, koordinierend oder inhaltlich gestaltend in Aktion tritt (Harmonisierungsverbot).
- 4. Vor diesem Hintergrund bedauert er es, dass die inhaltliche Ausrichtung der EU-Kulturpolitik im Zuge der neuen europäischen Agenda für Kultur noch stärker als bisher Nützlichkeitserwägungen untergeordnet sein soll. Der eigentliche Sinn der Kulturpolitik, nämlich ein reiches und qualitativ hochwertiges Kulturangebot zu fördern und durch freiheitliche Rahmenbedingungen zu ermöglichen, ist in der Kommissionsmitteilung für die Kulturagenda kaum noch abgebildet.
- 5. Der Bundesrat bemängelt hierbei konkret die Neuausrichtung der drei strategischen Ziele der Agenda. Insbesondere lehnt er es ab, dass das bisherige Ziel der Förderung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs ersetzt werden soll durch die "soziale Dimension" von Kultur, zu welcher die kulturelle Vielfalt nach den Vorstellungen der Kommission nur noch einen sekundierenden Beitrag zu leisten hat. Ebenso lehnt der Bundesrat die Begrifflichkeit der Kultur als "Ressource" in diesem Zusammenhang strikt ab. Selbstverständlich trägt ein reichhaltiges Kulturangebot essentiell zum gesellschaftlichen und sozialen Leben bei; dies ist aber nicht sein Zweck, sondern seine Folge.
- 6. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission konkrete Herausforderungen bei der freien Entfaltung von Kunst und Kultur erkannt hat, etwa die Problematiken von Teilzeitarbeitsverhältnissen oder der Doppelbesteuerung von Künstlerinnen und Künstlern, welche sich vor allem bei Stipendien stellt. Diese Probleme weiterhin zu analysieren und gemeinsam mögliche Lösungsvorschläge zu erarbeiten, hält der Bundesrat für sinnvoll.
- 7. Er unterstreicht auch seinerseits die Bedeutung der Mobilitätsförderung, sowohl für Künstlerinnen und Künstler und Kulturschaffende selbst als auch für die Zirkulation von deren Werken. Hier liegt aus seiner Sicht die eigentliche Aufgabe der EU-Kulturpolitik, mit der ein genuiner europäischer Mehrwert erzeugt werden kann. Entsprechend sollte hier der eindeutige Schwerpunkt bei der Umsetzung der Kulturagenda liegen.
- 8. Bei den an mehreren Stellen der Kommissionsmitteilung hergestellten Bezügen zwischen Kultur- und Bildungspolitik mahnt der Bundesrat zur Zurückhaltung. Neben der Kulturpolitik liegt auch die Bildungspolitik in der alleinigen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Der Bundesrat lehnt jedwede Vorstöße ab, bei denen über den Umweg der Kulturpolitik seitens der EU in die mitgliedstaatliche und in Deutschland von den Ländern verantwortete Bildungspolitik eingegriffen bzw. Bildungsinhalte beeinflusst werden sollen.
- 9. Er teilt die Einschätzung der Kommission, dass sich durch die Kultur auch im Bereich der Außenbeziehungen der EU wichtige Verbindungen knüpfen und ausbauen lassen. Auch hier mahnt er allerdings an, dass die Kultur nicht als Mittel zum Zweck begriffen werden darf und die künstlerische Freiheit beteiligter Kulturakteure gewährleistet werden muss. Es sollte sichergestellt werden, dass internationale Kulturbeziehungen einen Resonanzraum bilden können, in welchem der Kontakt zwischen den Gesellschaften durch interkulturellen Austausch von selbst wachsen kann.
- 10. Der Bundesrat hält die beiden bereichsübergreifend geplanten Maßnahmen, das Kulturerbe und die digitalen Technologien, für wichtige Arbeitsbereiche. Er unterstreicht aber, dass der von der Kommission angekündigte Aktionsplan für das Kulturerbe nicht dazu verpflichten kann, die auf EU-Ebene durchgeführten zehn Initiativen im Zuge des Europäischen Kulturerbejahres 2018 künftig in der nationalen Kulturpolitik fortzuschreiben. Ein entsprechendes Ansinnen wäre mit dem Harmonisierungsverbot nach Artikel 167 Absatz 5 AEUV unvereinbar.
- 11. Hinsichtlich der im Zusammenhang mit dem bereichsübergreifenden Handlungsfeld Digitales angekündigten weiteren Schritte für die europäische Digitalbibliothek "Europeana" mahnt der Bundesrat an, dass von der Kommission zunächst die Ergebnisse der Evaluierung der "Europeana" vorzulegen sind, welche ursprünglich bereits bis Oktober 2017 hätten veröffentlicht werden sollen. Vor der Diskussion neuer Vorschläge muss ausreichend Zeit für die Analyse dieser Evaluierungsergebnisse bleiben.
- 12. Hinsichtlich der konkreten Arbeitsmethoden zur Umsetzung der Kulturagenda und des damit zusammenhängenden Ratsarbeitsplans für Kultur hält der Bundesrat fest:
- - Bei Fortführung der "offenen Methode der Koordinierung" (OMK) und der entsprechenden mitgliedstaatlichen Arbeitsgruppen muss der europäische Mehrwert sichergestellt werden. Hierzu müssen Aufwand und Ertrag in ein besseres Verhältnis gesetzt werden. Die OMK-Arbeitsgruppen sollten auf Themen beschränkt bleiben, bei denen tatsächlich eine grenzüberschreitende Dimension besteht und bei denen auch konkrete, praxisrelevante Ergebnisse erwartbar sind. Ansonsten führt der große Arbeits- und Verwaltungsaufwand bei einer Mitarbeit in den OMK-Arbeitsgruppen letztlich zu keinen positiven Auswirkungen auf die Qualität und Entwicklung der Kultur in den Mitgliedstaaten oder die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Nachzudenken ist dabei auch über eine Beschränkung des Umfangs der häufig viel zu ausführlichen OMK-Abschlussberichte.
- - Der Bundesrat sieht die Ankündigung der Kommission mit großer Skepsis, den derzeitigen sogenannten strukturierten Dialog noch weiter auszuweiten, insbesondere dann, wenn er sich über den Kreis der einschlägigen Organisationen des Kultur- und Kreativsektors hinaus erstrecken soll. Er lehnt es ab, dass Interessensvertretungen aus anderen Politikfeldern als dem eigentlichen Kulturbereich durch den sogenannten strukturierten Dialog Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung von Kultur-Initiativen der Kommission erlangen.
- 13. Der Bundesrat bedauert, dass die neue Agenda als langfristiges strategisches Dokument ihren zeitlichen Fokus auf den Zeitraum von 2018 bis 2021 legt. Dies harmoniert nicht mit dem Zeithorizont des neuen Finanzrahmens sowie der neuen Programme und Instrumente der Union ab 2021 und birgt die Gefahr in sich, dass die Umsetzung der neuen Agenda nicht genügend durch die kommenden Programme abgedeckt ist.
- 14. Der Bundesrat unterstreicht die Bedeutung, die die Europäischen Investitions-und Strukturfonds für die Finanzierung von Maßnahmen der Agenda haben werden. Auf Gebieten wie zum Beispiel der Förderung des Unternehmertums unter Kunst- und Kulturschaffenden oder im Bereich des Kulturellen Erbes wurden erhebliche Fortschritte unter Nutzung europäischer Mittel erzielt. Deshalb ist es erforderlich, die Europäischen Investitions- und Strukturfonds nach 2020 in allen Regionen wieder stärker für entsprechende Maßnahmen im Kulturbereich zu öffnen und insbesondere zu vermeiden, dass ausdrücklich genannte Themen (zum Beispiel "eCulture") von den Instrumenten und Regionen tatsächlich nicht angewählt werden können, weil unterschwellige Anforderungen dies verhindern.
- 15. Er vermisst in den Ausführungen der Mitteilung zur digitalen Entwicklung des Kulturbereichs insbesondere konkrete Aussagen dazu, ob und wie die Kommission bei der Nutzung digitaler Möglichkeiten für die gewünschte breitere kulturelle Teilhabe aller Europäerinnen und Europäer die überwiegend öffentlich getragenen Kulturakteure einbeziehen will. Diese Einrichtungen (zum Beispiel Museen, Theater, Archive, Musikschulen, Gedenkstätten und Bibliotheken) sind wesentliche Anbieter und Vermittler kultureller Teilhabe. Besonderes Augenmerk verdient in diesem Zusammenhang die Transformation von Kultureinrichtungen (etwa von Bibliotheken) zu "Dritten Orten", die über ihre traditionellen Leistungen hinaus niedrigschwellige Angebote mit gesicherter Qualität für die gesamte Gesellschaft zur Verfügung stellen.
- 16. Der Bundesrat würdigt, dass die neue Agenda für Kultur die soloselbständigen Kunst- und Kulturschaffenden auch insofern ernst nimmt, als diese nicht außerhalb wirtschaftlicher Zusammenhänge stehen, sondern auf der Basis ihres künstlerischen Ansatzes ein mindestens auskömmliches Einkommen erzielen wollen. Er stellt fest, dass demzufolge nicht nur Unternehmen und Start-Ups, sondern ausdrücklich auch die solcherart tätigen Kunst- und Kulturschaffenden in Strategien der Intelligenten Spezialisierung Berücksichtigung finden können und sollten.
- 17. Der Bundesrat betont, dass es auch in Zukunft und gerade mit Blick auf die digitale Entwicklung von großer Bedeutung sein wird, auch für regionale und lokale Akteure niedrigschwellige Möglichkeiten zu eröffnen, Wissen und gute Praxis auszutauschen und voneinander zu lernen. Netzwerke wie "Eurocities" haben hier zum Beispiel mit dem Projekt "Culture for Cities and Regions" eindrückliche Beispiele für den Erfahrungsaustausch geliefert.
- 18. Der Bundesrat kann die Absicht der Kommission zur Ausweitung der Bürgschaftsfazilität im Rahmen des Programms KREATIVES Europa nur schwer nachvollziehen. Er kann diesen Schritt nur unterstützen, wenn die mittelbare Begünstigung aus dem Instrument nicht voraussetzt, dass Kunst- und Kulturschaffende ihre künstlerische Position zugunsten einer Wandlung in klassische Start-Ups mit Wachstumsperspektive bei Umsatz und Beschäftigung zurückstellen. Eine ergänzende wirtschaftliche Perspektive auf dem Kultursektor darf nicht verengt werden auf solche Kreativakteure, die als Gründer von Kapitalgesellschaften skalierbare Geschäftsmodelle entwickeln.
- 19. Der Bundesrat stellt fest, dass die Vorschläge der Kommission schwerpunktmäßig in den Kernbereich der Kulturhoheit der Länder fallen. Dies folgt nicht zuletzt auch aus den Artikeln 30 und 70 Absatz 1 des Grundgesetzes, weil diejenigen Bereiche, in denen der Bund eine Gesetzgebungskompetenz für den Kulturbereich hat (Artikel 73 Absatz 1 Nummer 5a und Nummer 9 des Grundgesetzes), hier nicht betroffen sind. Gemäß § 5 Absatz 2 Satz 1 EUZBLG ist damit die Stellungnahme des Bundesrates bei der Festlegung der Verhandlungsposition durch die Bundesregierung maßgeblich zu berücksichtigen. Überdies ist nach Artikel 23 Absatz 6 Satz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 6 Absatz 2 EUZBLG die Verhandlungsführung auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder zu übertragen.
- 20. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.