Der Bundesrat hat in seiner 864. Sitzung am 27. November 2009 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates zu dem geplanten Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Zahlungsverkehrsdaten und deren Übermittlung aus der Europäischen Union an die Vereinigten Staaten für die Zwecke des Programms zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (SWIFT-Abkommen)
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass sich das Europäische Parlament mit seiner Entschließung vom 17. September 2009 (BR-Drucksache 765/09 (PDF) ) für einen wirksamen Schutz von personenbezogenen Daten im Zusammenhang mit dem geplanten internationalen Abkommen einsetzt.
- 2. Der Bundesrat betont die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Eigentums- und Berufsfreiheit.
- 3. Der Bundesrat teilt die in der Entschließung des Europäischen Parlaments zum Ausdruck gebrachte Sorge, dass ein Zugriff auf die betroffenen Finanztransaktionsdaten die Gefahr von Wirtschafts- und Industriespionage großen Ausmaßes mit sich bringt, weil die vorhandenen Informationen Rückschlüsse über wirtschaftliches Verhalten zulassen.
- 4. Der Bundesrat erachtet eine substantielle Beteiligung der nationalen Gesetzgebungsorgane und des Europäischen Parlaments an der Verhandlung des Abkommens angesichts der weitreichenden Bedeutung für die Freiheitsrechte und die wirtschaftliche Integrität der EU für geboten. Der Bundesrat erinnert daran, dass sich die Informations- und Mitwirkungsrechte der Länder auch auf die Vorbereitung und den Abschluss völkerrechtlicher Abkommen durch die EU erstrecken.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, einem Abkommen zur Bereitstellung von Finanztransaktionsdaten im Rat nur zuzustimmen, wenn Zweck und Voraussetzungen der Datenübermittlung hinreichend klar festgelegt sind, eine Weitergabe der Daten an Drittländer ausgeschlossen und ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet ist. Der Bundesrat hält es für unverzichtbar, dass Daten nur unter Darlegung der maßgeblichen Verdachtsgründe und der spezifischen Verbindung der Person oder Organisation zu den Vereinigten Staaten von Amerika übermittelt werden.
- 6. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die Übermittlung und weitere Verarbeitung nur zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung gemäß der Definition in Artikel 1 des Rahmenbeschlusses des Rates 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 erfolgen darf. Dieser Zweck ist durch eine konkrete Bedrohungs- und Gefährdungsanalyse weiter einzugrenzen.
- 7. Der Bundesrat hält es für geboten, die Übermittlung ausschließlich auf internationale Transaktionsdaten zu begrenzen und diese nur aufgrund eines konkreten Übermittlungsersuchens (sogenanntes "push"-System) zur Verfügung zu stellen. Ein automatisiertes Abrufverfahren (sogenanntes "pull"-System), mit dem auf die Daten ohne weitere Kontrolle zugegriffen werden kann, ist in dem Abkommen ausdrücklich auszuschließen.
- 8. Der Bundesrat weist darauf hin, dass der Umfang der zu übermittelnden Daten auf das für den konkreten Verwendungszweck notwendige Maß zu reduzieren ist. Für die übermittelten Daten sind zudem angemessene Löschungsfristen festzulegen.
- 9. Der Bundesrat hält es für erforderlich, eine Zustimmungserklärung der Bundesregierung im Rat unter Ratifizierungsvorbehalt zu stellen und sich gegen eine vorläufige Geltung des Abkommens auszusprechen.
- 10. Der Bundesrat schließt sich der Forderung des Europäischen Parlaments an, das geplante Abkommen auf einen Zeitrahmen von höchstens zwölf Monaten zu befristen.
- 11. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung vor der Aufnahme neuer Verhandlungen dafür Sorge zu tragen, dass die bisher mit der Übermittlung von Finanztransaktionsdaten an die Vereinigten Staaten von Amerika gesammelten Erfahrungen evaluiert werden und dass nationale Gesetzgebungsorgane und das Europäische Parlament frühzeitig und umfassend eingebunden werden.
Begründung
Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist ein gemeinsames Anliegen der EU und der Vereinigten Staaten von Amerika. Dazu gehört auch ein entschlossenes Vorgehen gegen die Finanzierung terroristischer Verbrechen.
Gleichwohl müssen auch hier die verfassungsmäßigen Anforderungen gewahrt bleiben. Sicherheit und Freiheit gehören in einer offenen Gesellschaft untrennbar zusammen. Deshalb stehen bei der Aufdeckung und Verfolgung der Finanzierung terroristischer Straftaten das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ebenso wenig wie Eigentums- und Berufsfreiheit zur Disposition.
Das gilt in besonderem Maße für den Schutz sensibler Bankdaten. Vertrauliche Finanztransaktionen bilden die Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung.
Nach dem derzeitigen Stand ist zu besorgen, dass das geplante Abkommen einen weitreichenden Zugriff auf - internationale wie nationale - Finanztransaktionsdaten erlaubt, ohne hinreichende Vorkehrungen zum Schutz der betroffenen Grundrechtspositionen vorzusehen.
Erhebliche Bedenken bestehen insbesondere, soweit eine Datenübermittlung auch ohne einen konkreten Verdacht auf strafbare Aktivitäten der Betroffenen beabsichtigt ist. Damit erhielten die Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika Befugnisse, die den deutschen Sicherheitsbehörden von Verfassungs wegen verwehrt sind.
Hinzu kommt, dass wesentliche Verhandlungsgrundlagen bisher nicht öffentlich sind. Eine verbindliche Regelung der Übermittlung schützenswerter Bankdaten ohne transparente öffentliche Diskussion wird der Bedeutung der Angelegenheit für die Freiheitsrechte und das Wirtschaftsleben nicht gerecht.