Der Bundesrat hat in seiner 860. Sitzung am 10. Juli 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Vorlage der EU-Strategie für den Ostseeraum. Sie bietet der Ostseeregion die Chance, sich im Rahmen einer "maßgeschneiderten" Politik den spezifischen Herausforderungen der Region zu stellen und die vielfältigen Chancen gezielt zu nutzen. Die Kommission hat die Strategie in intensiver Zusammenarbeit und auf der Grundlage umfassender Konsultationen mit den Interessenträgern und Anrainern der betroffenen Region erstellt.
- 2. Der Bundesrat betont die Beispielfunktion der EU-Ostseestrategie. Sie verfolgt einen integrativen Ansatz, der üblicherweise getrennt behandelte Politikfelder in Zusammenhang bringt und dadurch auf das koordinierte Zusammenwirken der Akteure abzielt, wodurch wichtige Synergieeffekte erreicht werden können. Sie ist auch Ausdruck der seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Kontexten bestehenden Ostseekooperation. Die Ostseestrategie ist die erste Regionalstrategie mit einem so umfassenden Ansatz auf dem Niveau einer "Makro-Region". Der Bundesrat weist darauf hin, dass die intensive Zusammenarbeit der Kommission mit den Regionen, Mitgliedstaaten, Organisationen und anderen Interessenträgern des Ostseeraums Modellcharakter hat und Vorbild bei der Entwicklung anderer makroregionaler Strategien und Politikfelder sein sollte, beispielsweise für die Donauregion, die Nordseeanrainer oder auch die Zusammenarbeit im Mittelmeerraum oder in der Schwarzmeerregion.
- 3. Der Vorschlag greift in den definierten vier prioritären Bereichen die Anliegen auf, den Ostseeraum ökologisch nachhaltig, wohlhabend, erreichbar und attraktiv sowie sicher zu machen. Dabei ist die Strategie nicht die statische Festschreibung des Sachstandes, sondern wird der weiteren Entwicklung des Ostseeraumes einen dynamischen Rahmen geben.
- 4. Der Bundesrat unterstreicht, dass der Erfolg der EU-Ostseestrategie nicht nur den direkten Anrainern nutzen wird. So ist die mit der Ostseestrategie angestrebte Verbesserung des ökologischen Zustands der Ostsee Grundlage für eine erfolgreiche maritime Wirtschaft, deren Zulieferindustrien ihren Sitz in ganz Europa haben. Verbesserte interne und externe Verkehrsverbindungen des Ostseeraums werden nicht nur der Region, sondern auch dem globalen Handel mit Bezug zum Ostseeraum nutzen. Eine durch Zusammenführung komplementärer Kompetenzen intensivierte Forschungszusammenarbeit im Ostseeraum wird gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Nutzen weit über die Region hinaus entfalten.
- 5. Der Bundesrat unterstützt den Ansatz der Kommission, eine unterstützende Funktion im Ostseeraum einzunehmen und die bereits in großer Zahl vorhandenen, zum Teil aber noch besser auf einander abzustimmenden Netzwerke und sonstige Formen der Zusammenarbeit im Ostseeraum im Rahmen der vorgelegten Ostseestrategie zu koordinieren. Der Erfolg des Ostseeraumes und die Zielsetzungen der Aktionen werden damit weiterhin durch das Engagement und den Einsatz seiner Anrainerstaaten und -regionen sowie von Interessenträgern selbst bestimmt. Die koordinierende Funktion der Kommission ermöglicht jedoch die verstärkte Nutzung von Synergieeffekten.
- 6. Die EU-Ostseestrategie ergänzt und unterstützt die Arbeit der vorhandenen Netzwerke im Ostseeraum. Die Zusammenarbeit in der Nördlichen Dimension, auf nationaler Ebene z.B. im Ostseerat und der HELCOM und in den regionalen Netzwerken wie dem Netzwerk der Ostseeregionen "Baltic Sea States Subregional Co-Operation" (BSSSC), der Ostseekommission (Baltic Sea Commission, BSC) und der Union der Ostseestädte (Union of the Baltic Cities, UBC), behält weiterhin herausragende Bedeutung und sollte dazu genutzt werden, die Umsetzung der Ostseestrategie zu fördern. Durch sie kann auch die Einbindung von Nicht-EU-Staaten, insbesondere der Russischen Föderation, aber auch Norwegens und Islands, ermöglicht werden. Bei der Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation kommt zudem den bestehenden regionalen Partnerschaften Bedeutung zu. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich für eine Einbeziehung der Nicht-EU-Staaten in Umsetzung, Überprüfung und Fortentwicklung der Strategie einzusetzen.
- 7. Der Bundesrat teilt die Ansicht der Kommission, dass eine verstärkte Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten im Ostseeraum bei der Nutzung und Einwerbung von EU-Fördermitteln aus bestehenden Programmen erforderlich ist, um die Finanzierung der identifizierten Projekte der Ostseestrategie zu koordinieren und effizienter zu gestalten. Die Definition gemeinsamer Ziele und gemeinsam definierter und regelmäßig fortzuschreibender Prioritäten ermöglicht ein grenzübergreifendes Herangehen an grenzüberschreitende Chancen und Herausforderungen. Der Bundesrat unterstreicht, dass eine Intensivierung der Zusammenarbeit auf diesem Gebiet, insbesondere im Hinblick auf EU-Forschungsförderung, von grundsätzlichem Nutzen ist. Der Bundesrat begrüßt die Berücksichtigung des Bereichs Bildung im Aktionsplan zur EU-Ostseestrategie und unterstützt den Vorschlag der Kommission, Kooperation und Austausch in der Ostseeregion zu verstärken.
- 8. Der Bundesrat ist darüber hinaus der Auffassung, dass dem Aspekt der sozialen Dimension eine größere Bedeutung beigemessen werden sollte. Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahmen sollten Bestandteil der Ostseestrategie werden, um wirtschaftlich bedingter Abwanderung und Migration qualifizierter Arbeitskräfte und demographischem Wandel gezielt begegnen zu können.
- 9. Die Ostsee ist sowohl ökologisch als auch ökonomisch die Lebensgrundlage der Region. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass bei Umsetzung und Fortschreibung des Aktionsplans zur Ostseestrategie das Ziel, den Umweltzustand der Ostsee zu verbessern, nicht aus den Augen verloren wird. Um dem Anspruch einer Modellregion Ostseeraum gerecht zu werden, muss es gelingen, die Steigerung von Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit mit der gleichzeitigen Verbesserung und dem nachhaltigen Schutz der natürlichen Ressourcen zu verbinden. Eine nachhaltige Entwicklung setzt eine Beteiligung der Menschen in der Region voraus. Diese könnte über die bestehenden Aktivitäten der Netzwerke hinaus durch eine regionale Koordination der von den Vereinten Nationen ausgerufenen Dekade "Bildung für eine nachhaltige Entwicklung 2005 bis 2014" erreicht werden.
- 10. Der Bundesrat begrüßt es, dass die Kommission den nachhaltigen Schutz mariner Ökosysteme und eine erfolgreiche maritime Wirtschaft zu wesentlichen Pfeilern ihrer Strategie macht und die Ostsee zu einer Modellregion für "Saubere Schifffahrt" ausbauen will. Die ökologisch verträgliche Gestaltung des intensiven, stetig steigenden Schiffsverkehrs auf der Ostsee und die Verringerung von Schiffsemissionen auf See wie in den Häfen sind vorrangige Themen. Darüber hinaus kommt auch der Vermeidung schiffsbedingter Gewässerverunreinigungen durch Wasch- und Ballastwasser und einer Verbesserung des Umgangs mit Abfall und Abwasser auch aus Rauchgasbehandlung an Bord eine große Bedeutung zu. Internationale Ausstrahlung kann die Ostseeregion zum Beispiel durch einheitliche Lösungen für die umweltfreundliche Energieversorgung von Schiffen in Häfen (Landgas und -strom) entwickeln. Der Bundesrat begrüßt es deshalb, dass die freiwillige Verringerung von Schiffsemissionen in Häfen eines der Leuchtturmprojekte des Aktionsplans darstellt, und weist darauf hin, dass verbindliche Maßnahmen im internationalen Kontext zu sehen sind und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen dürfen.
- 11. Die Ostseeregion hat das Potenzial, Modellregion für den Klimaschutz zu werden. Bereits jetzt befinden sich im Ostseeraum mehrere Städte und Gebiete, die als ökologische Vorbilder ausgezeichnet wurden (z.B. Stockholm und Hamburg als "European Green Capitals") und sich im "Covenant of Mayors" engagieren. Die hier gemachten Erfahrungen sollten genutzt werden, um erfolgreiche Klimaschutzkonzepte auf weitere Städte und Regionen zu übertragen. Die regionalen Auswirkungen des Klimawandels und darauf bezogene Anpassungsstrategien für Wirtschaft und Verwaltung sind zudem Gegenstand von EU-Projekten, wie insbesondere das unter Beteiligung von Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen sowie sechs weiteren Ostseeländern bewilligte Projekt "Climate Change: The local and regional levels make the difference".
- 12. Eine vertiefte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Forschung ist von entscheidender Bedeutung nicht nur für den gesamten Ostseeraum. Der Bundesrat teilt die Ansicht der Kommission, dass die gemeinsame Nutzung und die optimale Vernetzung von Forschungsinfrastruktur hierfür eine Schlüsselfunktion einnehmen. Er nimmt mit Genugtuung zur Kenntnis, dass die Kommission der ScanBaltBioRegion einen hohen Stellenwert als einem der führenden Cluster der Zusammenarbeit in Europa beimisst. Er begrüßt, dass der Aufbau des Baltic Science Link in die Liste der Hauptprojekte der Kommission aufgenommen wurde. Mit der Standortentscheidung, die "Europäische Spallations-Neutronenquelle" (European Spallation Source, ESS) in Lund/Südschweden zu errichten, werden sich die Kooperationsmöglichkeiten vor allem im Bereich der Grundlagenforschung zusätzlich erheblich erweitern.
- 13. Die wirtschaftliche Entwicklung des Ostseeraums hängt maßgeblich von der Verbesserung der Verkehrswege und der Verkehrsanbindungen ab, u. a. auch von der Verbesserung der Verknüpfung von Regionen und Metropolen und der Förderung eines ökologisch nachhaltigen Schiffstransports. Eine verstärkte Verlagerung des Gütertransports auf das Wasser ("from road to sea") und eine optimale Nutzung der Häfen als Schnittstelle zwischen den umweltverträglichen Verkehrsträgern Wasser und Schiene nehmen dabei eine besondere Rolle ein. Der Bundesrat begrüßt es daher, dass mit der Entwicklung eines "Netzwerks der Baltischen Meeresautobahnen" und dem Ausbau der als prioritär eingestuften Transportinfrastrukturen mehrere wichtige deutsche Anliegen und Projekte auf der Liste der Leuchtturmprojekte des Aktionsplans stehen. Eine Weiterentwicklung der Ostsee als Verkehrsträger mit den Häfen als Schnittstelle verlangt auch eine Weiterentwicklung der Hafenhinterlandverkehrsverbindungen im Kontext des transeuropäischen Verkehrsnetzes. Der Bundesrat hält es daher für notwendig, die großräumige Nord-Süd- und Ost-West-Anbindung des Ostseeraumes über die vorhandenen TEN-T-Achsen auszubauen und zu verbessern.
- 14. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass der Förderung der Intermodalität große Bedeutung zukommt. Er betont in diesem Zusammenhang, dass das Überschreiten einer Ländergrenze kein Kriterium für die Bevorzugung bestimmter Güterschienenverkehrsverbindungen sein und nicht weiterhin durch unterschiedliche, den Warenaustausch und den Personenverkehr belastende Standards erschwert werden darf. Multimodale EU-Binnenverkehre müssen dem Niveau der Standards angeglichen werden, die von der Kommission für durchgehende Landverkehrsträger entwickelt wurden.
- 15. Der Bundesrat betont, dass bei der Umsetzung von Verkehrsinfrastrukturprojekten im Ostseeraum sowohl bereits bestehende als auch durch die Projektumsetzung entstehende erhöhte Folgebedarfe in der Verkehrsinfrastruktur ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Der Ertüchtigung der Schieneninfrastruktur kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.
- 16. Eine erfolgreiche Ostseestrategie muss von der Bevölkerung der Region mitgetragen werden. Voraussetzung hierfür ist die Stärkung einer gemeinsamen Identität, die auf der gemeinsamen Kultur und Geschichte des Ostseeraums aufbaut. Die Entwicklung eines gemeinsamen historischen Verständnisses ist hierbei von besonderer Bedeutung. Der Bundesrat begrüßt die Aufnahme der Initiative zur Erarbeitung eines Ostseegeschichtsbuchs in den Aktionsplan der Kommission und bittet die Bundesregierung um aktive Unterstützung entsprechender Initiativen.
- 17. Der Bundesrat hebt hervor, dass für die Prosperität der Ostseeregion neben infrastrukturellen Maßnahmen der Zusammenarbeit der Regionen im Bereich der weichen Standortfaktoren, insbesondere durch eine enge Zusammenarbeit im künstlerischen Bereich und die gemeinsame Förderung von Kreativität und Innovation, eine herausragende Bedeutung zukommt.
- 18. Der Bundesrat begrüßt die aktive Einbeziehung der betroffenen Länder durch die Bundesregierung im Rahmen des Konsultations- und Erarbeitungsprozesses für die Ostseestrategie und bittet die Bundesregierung, die gute Zusammenarbeit auch bei den weiteren Verhandlungen und im Umsetzungsprozess fortzuführen.
- 19. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.