Der Bundesrat hat in seiner 986. Sitzung am 13. März 2020 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission, das Europäische Parlament und der Rat im Jahr 2020 eine Konferenz zur Zukunft Europas einberufen wollen und damit einen Vorschlag von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aufgreifen. Er begrüßt ferner, dass mit der Zukunftskonferenz auch die vom früheren Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker angestoßene Zukunftsdebatte wiederbelebt werden soll. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, dass angesichts der aktuellen Herausforderungen die Zeit reif ist, der europäischen Demokratie einen neuen Impuls zu geben. Zugleich sollten mit der Zukunftskonferenz insbesondere bei Bürgerinnen und Bürgern jedoch keine unrealistischen Erwartungen geweckt werden, die nicht erfüllt werden können.
- 2. Der Bundesrat unterstützt nachdrücklich eine Konferenz, in der die Bürgerinnen und Bürger gehört werden. Er sieht in der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und in der Vermittlung Europas vor Ort einen richtigen Ansatz. Bei der Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Bürgerdialogen ist auf eine möglichst große Bandbreite unterschiedlicher Standpunkte zu achten. Der Bundesrat verweist insoweit auf die in mehreren Regionen erfolgreich erprobten Bürgerdialoge mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und ausgewogen zusammengesetzt wurden, wobei sich hier auch eine Kombination von Bürgerforen und Expertenforen als wertvoll erwiesen hat. Um die europäische Vielfalt abzubilden, ist es aus Sicht des Bundesrates wichtig, dass die Zukunftskonferenz neben der Zivilgesellschaft, den Organen der EU und anderen Einrichtungen der EU, wie dem Ausschuss der Regionen, ebenso den nationalen und regionalen Parlamenten, Behörden und anderen Interessenträgern zur Teilnahme offensteht.
- 3. Er setzt sich, wie die Kommission, dafür ein, dass im Rahmen der Zukunftskonferenz auch bewährte Formate der dezentralen europapolitischen Kommunikation genutzt werden. Insbesondere unterstützt er die Absicht der Kommission, durch einen Feedback-Mechanismus sicherzustellen, dass die auf der Konferenz geäußerten Ideen weiterverfolgt und von den dafür zuständigen Entscheidungsträgern der verschiedenen Ebenen in möglichst konkrete Maßnahmen umgesetzt werden.
- 4. Der Bundesrat unterstützt den Vorschlag der Kommission, wonach unter jedem turnusmäßig wechselnden Ratsvorsitz eine Veranstaltung außerhalb der Hauptstädte stattfinden soll, um so den dezentralen Charakter der Konferenz zu betonen.
- 5. Er begrüßt den Vorschlag, im Vorfeld der Zukunftskonferenz einige Themen zu benennen, die sich an den aktuellen politischen Prioritäten der EU orientieren. Im fortlaufenden Meinungsbildungsprozess der Konferenz sollte allerdings die Möglichkeit gegeben sein, diese Themensetzung zu ergänzen. Des Weiteren erwartet der Bundesrat, dass vor Beginn der Konferenz eindeutig festgelegt wird, was das Ziel des Prozesses ist und wie mit den Ergebnissen umgegangen werden soll. Er ist ferner der Auffassung, dass in der Zukunftskonferenz auch darüber debattiert werden sollte, für welche politischen Herausforderungen ein gemeinsames europäisches Vorgehen sinnvoll ist.
- 6. Aus Sicht des Bundesrates sollte sich die Zukunftskonferenz darüber hinaus mit der Frage befassen, unter welchen institutionellen Bedingungen die aktuellen Herausforderungen bewältigt werden können. Hiervon umfasst sein sollte auch eine Diskussion über die Möglichkeiten zur Stärkung der Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente. Er verweist insoweit auf seine Stellungnahme vom 15. Februar 2019 (BR-Drucksache 554/18(B) ). Insbesondere bekräftigt der Bundesrat seine Forderung nach einer Verlängerung der Frist für die Einreichung begründeter Stellungnahmen ("Subsidiaritätsrügen"), um den nationalen Parlamenten eine effizientere Kontrolle zu ermöglichen.
- 7. Der Bundesrat begrüßt die aktuellen Vorschläge, wonach den nationalen Parlamenten eine wichtige Rolle im Rahmen der Zukunftskonferenz zukommen soll. Nur durch eine effektive Mitwirkung der nationalen Parlamente kann sichergestellt werden, dass die Ideen der Konferenz möglichst viele Bürgerinnen und Bürger in der EU erreichen.
- 8. Der Bundesrat betont seinen - verfassungsrechtlich in Artikel 23 Grundgesetz verankerten - Mitwirkungsanspruch in Angelegenheiten der EU. Fragen der Weiterentwicklung der EU betreffen auch direkt die deutschen Länder, die über den Bundesrat ihrer Integrationsverantwortung nachkommen. Daher müssen föderale Strukturen - wo vorhanden - über die damit befassten Akteure im europäischen Mehrebenensystem in adäquater Weise im Rahmen der Zukunftsplanungen zentral berücksichtigt werden.
- 9. Im Sinne der Idee einer "aktiven Subsidiarität" sollten die nationalen Parlamente frühzeitig einbezogen werden. Der Bundesrat geht daher davon aus, dass der Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess im Rahmen der Konferenz so ausgestaltet sein wird, dass die nationalen Parlamente beteiligt sein werden. Der Bundesrat bittet daher die Kommission, das Europäische Parlament und den Rat, ihn - wie auch die anderen nationalen Parlamente - an der Festlegung der Ziele und Themen der Konferenz sowie an ihrer Vorbereitung und Durchführung umfassend zu beteiligen und ihn in die Arbeit der Steuerungs- und Lenkungsgremien eng einzubinden.
- 10. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang an die Teilnahme von Vertreterinnen und Vertretern der Länder als Beauftragte des Bundesrates am Europäischen Konvent als erfolgreiches Beispiel für eine gewinnbringende Zusammenarbeit.
- 11. Die Anzahl der an der Zukunftskonferenz teilnehmenden Mitglieder der nationalen Parlamente sollte mindestens der Anzahl der teilnehmenden Mitglieder des Europäischen Parlaments entsprechen.
- 12. Bei Zweikammer-Systemen - wie in Deutschland Deutscher Bundestag und Bundesrat - müssen beide Kammern gleichbehandelt werden und gleich viele Vertreter stellen können. Dies gebieten die gemeinsame, in Artikel 23 Grundgesetz verankerte Verpflichtung in Europaangelegenheiten sowie die unionsrechtliche Qualifizierung von Deutschem Bundestag und Bundesrat als gleichberechtigte parlamentarische Kammern.
- 13. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission und das Europäische Parlament.