Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten

943. Sitzung des Bundesrates am 18. März 2016

A

Der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

Zum Gesetzentwurf allgemein

Begründung zu Ziffern 4, 6 und 12 bis 14:

Die tatsächliche Menschenrechtssituation von Lesben, Schwulen und Bisexuellen (LSB) ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten durch die Bundesregierung nur unzureichend berücksichtigt worden. Human Rights Watch, Amnesty International sowie das Deutsche Institut für Menschenrechte berichten über massive Menschenrechtsverletzungen gegenüber LSB in diesen Ländern. Ferner liegen auch deutschsprachige Medienberichte zu einzelnen Urteilen vor. In diesen Ländern stehen gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen unter Strafe (Algerien: Strafgesetzbuch Artikel 333 und 338; Marokko: Strafgesetzbuch § 489 sowie Tunesien: Strafgesetzbuch Artikel 230).

Von einer Gewährleistung des Schutzes von Lesben und Schwulen als Minderheit gemäß den "Kopenhagener Kriterien" kann in diesen Ländern aufgrund der Strafgesetzgebung wie auch der Rechtsanwendung nicht ausgegangen werden. So steht der Gesetzentwurf auch den im Anhang I der EU-Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU dargestellten Kriterien für einen sicheren Herkunftsstaat entgegen. Darin heißt es:

"Ein Staat gilt als sicherer Herkunftsstaat, wenn sich anhand der dortigen Rechtslage, der Anwendung der Rechtsvorschriften in einem demokratischen System und der allgemeinen politischen Lage nachweisen lässt, dass dort generell und durchgängig weder eine Verfolgung im Sinne des Artikels 9 der Richtlinie 2011/95/EU noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe noch Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu befürchten sind." Ähnlich vergleiche auch Artikel 16a Absatz 3 GG sowie das Urteil des EuGH in den Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12, welches feststellt:

"Artikel 9 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe c der Richtlinie 2004/83 EG ist dahin auszulegen, dass der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher keine Verfolgungshandlung darstellt. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar." Gleichzeitig ist gemäß des oben genannten Urteils zu berücksichtigen, dass "bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ... die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten [können], dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden."

Eine Anerkennung der oben genannten Länder als sichere Herkunftsstaaten für LSB bedeutet damit in der Konsequenz eine Schutzlosstellung dieser Gruppe von Verfolgten, denn entsprechende Asylanträge werden im Regelfall als offensichtlich unbegründet abgelehnt, es sei denn, der antragstellenden Person gelingt es in der Anhörung, den Gegenbeweis zu bringen. Dafür muss die asylsuchende Person Tatsachen oder Beweismittel vorbringen, die belegen, dass ihr abweichend von der Regelvermutung im Heimatland Verfolgung droht. Die Aufklärungspflicht des BAMF ist durch diesen Prüfungsmaßstab deutlich reduziert.

Die Prüfung im Fall der behaupteten Homosexualität ist allerdings komplex, zumal sie von den Betroffenen zunächst verlangt, sich gegenüber einer Behörde (hier dem BAMF) eines für sie fremden Staates zu outen, was bereits ein erhebliches Vertrauen in diese Behörde voraussetzt. Diese Komplexität erkennt der EuGH in seinem Urteil vom Urteil vom 2. Dezember 2014 in den Rechtssachen C-148/13 bis C-150/13 an, indem er in seiner Begründung auf die besondere Lage von lesbischen und schwulen Asylsuchenden verweist, die unter Umständen ihre Homosexualität nicht sofort angeben (siehe Randnummer 69).

B