922. Sitzung des Bundesrates am 23. Mai 2014
Der Bundesrat nimmt zu dem Gesetzentwurf wie folgt Stellung:
Zum Gesetzentwurf insgesamt
- 1. Beschäftigungsverhältnisse mit hohen erfolgs- oder umsatzabhängigen Entlohnungsbestandteilen (zum Beispiel beim Taxigewerbe, im Tourismus, in der Gastronomie) können bei der Umsetzung der im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen benachteiligt sein. In vielen Fällen scheidet eine Erhöhung des Fixums zur Erreichung des Mindestlohnes aus, da dadurch zu Lasten der Unternehmen, aber auch der Beschäftigten, Leistungsanreize abgeschwächt werden. Die vorgesehene Neuregelung lässt konjunkturelle und strukturelle Besonderheiten außer Acht. Eine Regelung, welche eine zeitliche Erweiterung der Bemessungszeiträume auf mehrere Monate (Halbjahres- oder Jahreszeitraum), gerade auch bei stark saisonabhängigen Branchen, zulassen würde, könnte hier für Abhilfe sorgen.
- 2. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die vorgesehene Aberkennung der Zuverlässigkeit ohne rechtskräftige Feststellung eines Gesetzesverstoßes rechtsstaatlich sehr problematisch ist. Wird einer Vergabestelle die Prüfmöglichkeit und mithin Prüfobliegenheit übertragen, in wieweit am Verdacht einer schwerwiegenden Verfehlung "keine vernünftigen Zweifel" bestehen, können dem betroffenen Unternehmen schon aufgrund des bloßen Verdachtsmoments wirtschaftliche Nachteile entstehen. Die Vergabestelle würde innerhalb ihres Verfahrens gleichsam zum Richter über fachfremde Ordnungswidrigkeits- oder Strafverfahren. Dies begegnet rechtsstaatlichen Bedenken.
Besonders gravierend ist dabei, dass im Rahmen einer umfassenden Haftungsregelung ein Auftraggeber nicht nur in Bezug auf den Auftragnehmer unmittelbar für die Zahlung des Mindestlohns haften soll, sondern darüber hinaus auch in Bezug auf etwaige Subunternehmer.
- 3. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass die Ausnahmevorschrift des § 22 Absatz 2 Mindestlohngesetz für volljährige junge Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung einen Anreiz bietet, als Ungelernte in den Arbeitsmarkt einzusteigen und dauerhaft auf eine Berufsqualifizierung zu verzichten. Das gilt sowohl für junge Menschen, die ihre Berufsausbildung oder ihr Studium abgebrochen haben, als auch für solche, die nach Erfüllung der Schulpflicht überhaupt keine berufliche Qualifizierung aufgenommen haben. Angesichts des Fachkräftebedarfs kann sich Deutschland einen solchen Fehlanreiz nicht leisten; anstelle des vollendeten 18. Lebensjahres sollte das vorzusehende Lebensalter für Ausnahmen vom Mindestlohngesetz, daher deutlich erhöht werden.
- 4. Praktika, die auf schul- oder hochschulrechtlichen Bestimmungen beruhen, sollten nicht unter die Mindestlohnregelungen fallen. Dies muss aber gleichermaßen auch für Praktika im Rahmen des Studiums an einer Berufsakademie gelten; auch diese sollten ausdrücklich vom Mindestlohngesetz ausgenommen werden. Die Berufsakademien unterfallen in den Ländern nicht dem Hochschulgesetz.
- 5. Das bisherige Quorum einer 50prozentigen Tarifbindung nebst Erfordernis eines öffentlichen Interesses als Voraussetzung für eine Allgemeinverbindlicherklärung für die Erstreckung von Tarifverträgen wird im vorliegenden Gesetzesentwurf durch eine unbestimmte Formulierung ersetzt, wonach der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich überwiegende Bedeutung erlangen müsse. Die als Instrumentarium einer grenzenlos wirkenden Tariferstreckung eingesetzte Allgemeinverbindlicherklärung ersetzt de facto eine notwendige Tarifbindung und entwertet damit den Anreiz einer tariflichen Normsetzung durch die Tarifpartner.
Auf Bedenken stößt zudem die vorgesehene Regelung, dass ein für allgemein verbindlich erklärter Tarifvertrag vom Arbeitgeber auch dann einzuhalten ist, wenn dieser bereits an einen anderen Tarifvertrag gebunden ist. Dies wirft die Frage auf, inwieweit einer solchen Vorschrift nicht der Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes entgegenstehen könnte.
- 6. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sicherzustellen, dass die Möglichkeit der Unternehmen, flexibel auf Arbeitsspitzen und Zeiten geringer Auslastung zu reagieren durch die Vorschriften des Gesetzes nicht eingeschränkt werden. In § 2 Absatz 2 MiLoG-E ist geregelt, dass die über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehenden und auf einem schriftlich vereinbarten Arbeitszeitkonto eingestellten Arbeitsstunden spätestens innerhalb von zwölf Kalendermonaten nach ihrer monatlichen Erfassung durch bezahlte Freizeitgewährung oder Zahlung des Mindestlohns auszugleichen sind.
Die auf das Arbeitszeitkonto eingestellten Arbeitsstunden dürfen dabei monatlich jeweils 50 Prozent der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht übersteigen. Der Wortlaut des Entwurfs differenziert hierbei nicht danach, wie hoch der gezahlte Stundenlohn ist. Es sollte daher klargestellt werden, dass Begrenzungen bei Arbeitszeitkonten nicht gelten, wenn durch Tarifvertrag eine über dem Mindestlohn liegende Vergütung geregelt ist. In diesen Fällen müssen betriebliche oder tarifliche Arbeitszeitkontenregelungen von der Vorschrift des § 2 Absatz 2 MiLoG-E unberührt bleiben.