A. Problem und Ziel
- Die gegenwärtige Situation bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften ist durch eine hohe Arbeitsbelastung in allen Laufbahnen und Bereichen geprägt. Stelleneinzüge werden die Lage in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter verschärfen.
- Vor diesem Hintergrund muss noch mehr als bisher und so zügig sowie so nachhaltig wie möglich alles daran gesetzt werden, sämtliche personellen Binnenreserven zu mobilisieren, die den Gerichten und Staatsanwaltschaften noch zur Verfügung stehen.
- 1. Einsatz von pensionierten Staatsanwälten (Amtsanwälten) oder Rechtspflegern, die als örtliche Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft tätig waren Für die Wahrnehmung der Sitzungsvertretung bei Gerichtsverhandlungen (einschließlich der Fahrzeiten zu externen Amtsgerichten) ist bei den Staatsanwaltschaften ein nicht unerheblicher zeitlicher Aufwand erforderlich, der durch den punktuellen Einsatz von pensionierten Staatsanwälten (Amtsanwälten) oder Rechtspflegern, die als örtliche Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft tätig waren, reduziert werden könnte. Durch deren Sitzungsdienst in geeigneten, einfacher gelagerten Fällen könnten erhebliche Ressourcen bei den Staatsanwälten für die eigentliche Ermittlungsarbeit freigesetzt werden. Die sachliche Zuständigkeit für das Amt der Staatsanwaltschaft ist in § 142 GVG geregelt. Die Heranziehung des vorgenannten Personenkreises für den staatsanwaltschaftlichen Sitzungsdienst wäre nach geltendem Recht mit erheblichen revisionsrechtlichen Risiken verbunden (§ 338 Nr. 5 StPO).
- 2. Einsatz von pensionierten Rechtspflegern Dringend notwendige Arbeiten, für die wegen der hohen Geschäftsbelastung im gehobenen Justizdienst bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften (Rechtspflegerdienst) bis auf Weiteres kein zusätzliches Personal zur Verfügung gestellt werden kann können derzeit nicht oder nur unzureichend vorgenommen werden. Zur Entlastung des vorhandenen Personals könnten z.B. für dringend erforderliche systematische Registerumschreibungen oder in Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsverfahren pensionierte Rechtspfleger eingesetzt werden.
- Bei den Registerumschreibungen und den Tätigkeiten in Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsverfahren handelt es sich um hoheitliche Tätigkeiten, die im Wesentlichen den Rechtspflegern übertragen sind. Mit den Aufgaben eines Rechtspflegers kann nur ein Beamter des gehobenen Justizdienstes betraut werden, der einen Vorbereitungsdienst von drei Jahren abgeleistet und die Rechtspflegerprüfung bestanden hat (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 RPflG). Außerdem können Rechtsreferendare oder Personen mit der Befähigung zum Richteramt mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Rechtspflegers betraut werden. "Beamter" im Sinne der vorgenannten Vorschriften ist nach derzeitiger Rechtslage nur der aktive Beamte, denn Ruhestandsbeamte haben einen anderen Status und einen gegenüber aktiven Beamten reduzierten Pflichtenkreis.
B. Lösung
- Um den punktuellen und zeitlich eng umrissenen Einsatz von pensionierten Beamten als örtliche Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und als Rechtspfleger zu ermöglichen werden die Zuständigkeitsregelung des § 142 GVG auf den vorgenannten Personenkreis erweitert und § 2 Abs. 5 RPflG entsprechend ergänzt.
C. Alternativen
- Keine
D. Finanzielle Auswirkungen
- 1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Keine
- 2. Vollzugsaufwand
Ruhestandsbeamte können nur eingesetzt werden, soweit hierfür in den Justizhaushalten der Länder entsprechende Haushaltsmittel zur Verfügung stehen.
E. Sonstige Kosten
Keine Gesetzentwurf des Bundesrates Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Rechtspflegergesetzes
Der Bundesrat hat in seiner 825. Sitzung am 22. September 2006 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.
Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Rechtspflegergesetzes
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
- (1) Dem § 142 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird folgender Absatz 4 angefügt:
(4) Bei Amtsgerichten kann die Landesjustizverwaltung oder eine von ihr bestimmte Stelle Beamten des gehobenen Dienstes die Wahrnehmung des Amtes der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung übertragen, sofern der Richter allein entscheidet (örtliche Sitzungsvertreter). In geeigneten Fällen können bei dringendem dienstlichem Bedürfnis zu örtlichen Sitzungsvertretern auch Staatsanwälte oder Amtsanwälte im Ruhestand oder Beamte des gehobenen Dienstes im Ruhestand, die als örtliche Sitzungsvertreter tätig waren, bestellt werden; die §§ 146 und 147 gelten entsprechend."
- (2) Dem § 2 Abs. 5 des Rechtspflegergesetzes vom 5. November 1969 (BGBl. I S. 2065), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird folgender Satz angefügt:
"Beamte im Ruhestand, die als Rechtspfleger tätig waren, können mit der zeitweiligen Wahrnehmung der Geschäfte eines Rechtspflegers betraut werden."
Artikel 2
Dieses Gesetz tritt am ... in Kraft.
Begründung:
A. Allgemeines
Die gegenwärtige Situation bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften ist durch eine hohe Arbeitsbelastung in allen Laufbahnen und Bereichen geprägt. Stelleneinzüge werden die Lage in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter verschärfen.
Vor diesem Hintergrund muss noch mehr als bisher und so zügig sowie so nachhaltig wie möglich alles daran gesetzt werden, sämtliche Binnenreserven zu mobilisieren, die den Gerichten und Staatsanwaltschaften noch zur Verfügung stehen.
Dazu gehört auch der Einsatz von Richtern und von Beamten aller Laufbahnen, die ihrem ehemaligen Tätigkeitsbereich nach dem Eintritt in den Ruhestand verbunden bleiben wollen. Die Vorteile einer Verwendung von Beamten im Ruhestand bestehen in der Entlastung der aktiven Beschäftigten, der Reduzierung der hohen Arbeitsbelastung in allen Laufbahnen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften sowie dem Erhalt des immensen Erfahrungsschatzes routinierter ehemaliger Mitarbeiter für die Justiz.
Die geltende Rechtslage schließt aber den punktuellen und zeitlich begrenzten Einsatz von Beamten im Ruhestand in Geschäften aus, bei deren Wahrnehmung sie eigenverantwortlich hoheitliche Tätigkeiten ausüben müssen, wie z.B. bei der Umschreibung von Registern oder der Tätigkeit als örtlicher Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft. Um den Einsatz von Ruhestandsbeamten für die vorgenannten hoheitlichen Tätigkeiten zu ermöglichen, ist die Änderung gesetzlicher Vorschriften zwingend erforderlich.
Verfassungsrechtlich ist die Ausübung hoheitlicher Befugnisse gemäß Artikel 33 Abs. 4 GG als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlichrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Die Merkmale des Artikels 33 Abs. 4 GG erfüllt, wer nach den Vorschriften des Beamtenrechts die Beamteneigenschaft hat; dies trifft auf Ruhestandsbeamte nicht zu. Jedoch wird durch den punktuellen und zeitlich befristeten Einsatz von Ruhestandsbeamten das in Artikel 33 Abs. 4 GG normierte Regel-Ausnahme-Verhältnis ("in der Regel") nicht verletzt.
Problematisch stellt sich die disziplinarische Ahndung bei einem Ruhestandsbeamten dar der mit den vorgenannten Tätigkeiten betraut wird. Die Folgen der Nichterfüllung von Pflichten ergeben sich für aktive Beamte aus den §§ 45 bis 47 BRRG bzw. aus den entsprechenden Landesbeamtengesetzen in Verbindung mit den einschlägigen Disziplinargesetzen (vgl. § 45 Abs. 3 BRRG). § 45 Abs. 2 BRRG bzw. entsprechende Bestimmungen in den Landesbeamtengesetzen, wie z.B. Artikel 84 Abs. 2 BayBG, nennen Verfehlungen, die bei Ruhestandsbeamten als Dienstvergehen gelten. Da bei Ruhestandsbeamten als Disziplinarmaßnahmen nur die Kürzung und die Aberkennung des Ruhegehalts möglich sind, Ahndungsmöglichkeiten für leichtere Vergehen also nicht vorgesehen sind, wird eine disziplinarische Ahndung etwaiger Verfehlungen von Ruhestandsbeamten im Zusammenhang mit der übertragenen hoheitlichen Tätigkeit in der Regel nicht möglich sein.
Das Problem ist aber beherrschbar, da die Ruhestandsbeamten nur punktuell und zeitlich eng begrenzt eingesetzt werden sollen. Kleineren Unregelmäßigkeiten kann dadurch begegnet werden, dass die Bestellung des Ruhestandsbeamten geändert bzw. von einer Neubestellung abgesehen wird. Bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Schadensverursachung wäre der Ruhestandsbeamte dem Rückgriff des Anstellungsträgers ausgesetzt. Soweit durch eine etwaige Verfehlung Straftatbestände erfüllt sind kann der Ruhestandsbeamte strafrechtlich belangt werden, da er auf Grund seiner Tätigkeit als örtlicher Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft oder als Rechtspfleger unter den Amtsträgerbegriff des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB fällt.
Im Übrigen ist die Einhaltung der Pflichten in der jeweiligen Anstellungsvereinbarung sicherzustellen.
B. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1 Abs. 1 (§ 142 Abs. 4 - neu - GVG)
Örtliche Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft können bereits bisher nach Landesrecht zur Entlastung der Staats- und Amtsanwälte für Strafrichtersitzungen beim Amtsgericht bestellt werden. Dies ist mit den §§ 142 und 150 GVG vereinbar (vgl. BVerfGE 56, 110 <118>). Durch § 142 Abs. 4 Satz 1 GVG-E wird das Institut des örtlichen Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft auf eine ausdrückliche bundesrechtliche Grundlage gestellt. Die bisherige Rechtslage wird hierdurch inhaltlich nicht geändert.
Um den punktuellen und zeitlich eng umrissenen Einsatz von pensionierten Staatsanwälten (Amtsanwälten) oder Rechtspflegern, die als örtliche Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft tätig waren, zu ermöglichen und um revisionsrechtliche Risiken zu vermeiden, wird die Zuständigkeitsregelung des § 142 GVG durch einen neuen Absatz 4 Satz 2 auf den vorgenannten Personenkreis erweitert.
Zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Artikels 33 Abs. 4 GG darf der Einsatz von Ruhestandsbeamten zur Erledigung des staatsanwaltlichen Sitzungsdienstes nicht zum Regelfall werden. Daher lässt § 142 Abs. 4 Satz 2 GVG-E die Betrauung von Ruhestandsbeamten mit der Wahrnehmung des Sitzungsdienstes nur bei Vorliegen eines dringenden dienstlichen Bedürfnisses zu, etwa bei zeitlich begrenzten Engpässen.
Nach dem Inkrafttreten der Föderalismusreform fällt die Regelung des Pensionsalters nunmehr in die Kompetenz der Länder. Es ist daher zu erwarten, dass die Pensionsaltersgrenze künftig in jedem Land unterschiedlich festgelegt werden wird.
Gleiches wird vor diesem Hintergrund für die Festlegung der Höchstaltersgrenze gelten.
Nach § 146 GVG haben die aktiven Beamten der Staatsanwaltschaft den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen (sog. Weisungsgebundenheit).
Die Dienstaufsicht über die Beamten der Staatsanwaltschaft ist in § 147 GVG geregelt. Für den Einsatz der Ruhestandsbeamten ist daher ein Verweis auf die entsprechende Anwendung der §§ 146 und 147 GVG aufzunehmen.
Zu Artikel 1 Abs. 2 (§ 2 Abs. 5 Satz 2 - neu - RPflG)
Um den punktuellen und zeitlich eng umrissenen eigenverantwortlichen Einsatz von pensionierten Rechtspflegern für hoheitliche Tätigkeiten zu ermöglichen sowie den immensen Erfahrungsschatz routinierter ehemaliger Mitarbeiter der Justiz zu erhalten, wird § 2 Abs. 5 RPflG entsprechend ergänzt.
Nach dem Inkrafttreten der Föderalismusreform fällt die Regelung des Pensionsalters nunmehr in die Kompetenz der Länder. Es ist daher zu erwarten, dass die Pensionsaltersgrenze künftig in jedem Land unterschiedlich festgelegt werden wird.
Gleiches wird vor diesem Hintergrund für die Festlegung der Höchstaltersgrenze gelten.
Der aktive Rechtspfleger ist bei der Ausübung seiner Geschäftstätigkeit sachlich unabhängig und nur an Recht und Gesetz gebunden (§ 9 RPflG). Dies gilt nach der vorgenannten Erweiterung des § 2 Abs. 5 RPflG auch für pensionierte Rechtspfleger, die punktuell und zeitlich begrenzt für Rechtspflegeraufgaben eingesetzt werden.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Artikel 2 regelt das Inkrafttreten. Um den zügigen Einsatz von pensionierten Staatsanwälten, Amtsanwälten und Rechtspflegern zu ermöglichen, soll dies möglichst zeitnah erfolgen.