Der Bundesrat hat in seiner 957. Sitzung am 12. Mai 2017 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die institutionelle Sonderstellung der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) grundsätzlich beibehalten wird, um die Unabhängigkeit der nationalen Energieregulierungsbehörden zu bewahren. Er ist im Übrigen der Auffassung, dass sich die ACER als Koordinierungs- und Beratungsgremium der nationalen Energieregulierungsbehörden mit den derzeitigen Entscheidungsfindungsmechanismen grundsätzlich bewährt hat.
- 2. Der Bundesrat lehnt eine Ausweitung von Letztentscheidungskompetenzen der ACER ab. Das Ziel der Kommission, Hemmnisse im Strombinnenmarkt durch uneinheitliche Entscheidungen der von grenzübergreifenden Fragen betroffenen nationalen Regulierungsbehörden zu verhindern, lässt sich auch auf mitgliedstaatlicher Ebene ausreichend erreichen. Hierzu ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass die durch die jeweilige Frage betroffenen nationalen Regulierungsbehörden bzw. Mitgliedstaaten eine einvernehmliche Problemlösung finden. Eine stärkere Letztentscheidungskompetenz der ACER in transnationalen Fragen würde sich nachteilig auf die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden auswirken.
- 3. Die Neufassung der ACER-Verordnung führt zu weiteren Aufgaben- und Kompetenzverlagerungen auf die europäische Ebene, die kritisch zu hinterfragen sind. Der ACER wurden im Rahmen ihres Auftrags bereits zahlreiche Aufgaben übertragen, die zudem durch die Entwicklung und Umsetzung der Netzkodizes in den vergangenen Jahren stetig erweitert wurden. Der Bundesrat hält den aktuellen Zuschnitt der Zuständigkeiten von ACER und ENTSO-E bei der Entwicklung der Netzkodizes für angemessen und ausreichend. Er hielte es für vorzugswürdig, wenn die ACER zunächst ihre bereits bestehenden, weitreichenden Befugnisse hinreichend wahrnehmen und ausfüllen würde, ehe über eine Erweiterung des Kompetenzkatalogs nachgedacht wird.
- 4. Der Bundesrat fordert, dass auf die geplante Abschwächung der Mehrheitserfordernisse im Regulierungs- wie im Verwaltungsrat der ACER verzichtet wird. Die grundsätzliche qualifizierte Mehrheit in diesen Gremien sichert bisher die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips bei allen Aktivitäten der ACER und dient als zusätzliche Garantie der Unabhängigkeit der nationalen Energieregulierungsbehörden. Sie ist daher zwingend erforderlich. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass es deshalb sogar der Einführung der doppelt qualifizierten Mehrheit gemäß Artikel 16 Absatz 4 EUV im Regulierungsrat der ACER bedarf.
- 5. Er sieht insbesondere in der vorgeschlagenen Regelung des Artikels 6 Absatz 8 einen Verstoß gegen das in Artikel 5 Absatz 4 EUV niedergelegte Verhältnismäßigkeitsprinzip, da durch diese Regelung eine tendenziell unbeschränkte Ausweitung von Entscheidungskompetenzen der ACER ermöglicht wird. Die vorgeschlagene Neufassung des Artikels 6 Absatz 8 überträgt der ACER die Entscheidung über potenziell alle (gegebenenfalls auch unstreitige) Regulierungsfragen, sofern sie grenzüberschreitende Bedeutung haben. Die Entscheidungskompetenz wird dabei nicht nur auf gemeinsamen Antrag der zuständigen nationalen Regulierungsbehörden ausgelöst, sondern bereits dann, wenn diese Behörden binnen einer knapp bemessenen Frist von sechs (bzw. maximal zwölf) Monaten keine Einigung über die betroffene Frage erzielen können.
- 6. Der Bundesrat sieht in der Erweiterung des Aufgabenbereichs des Gebotszonenzuschnitts einen massiven und unverhältnismäßigen Eingriff in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. Denn die optimale Gebotszonenkonfiguration ist eine nationale energiepolitische Entscheidung, die in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verbleiben muss. Eine Berücksichtigung der unterschiedlichen Erzeugungs- und Netztopologiestrukturen in den Mitgliedstaaten muss gewährleistet bleiben.
- 7. Das Modell der Kommission zu den regionalen Betriebszentren wie auch die starke Steuerung durch ACER überzeugen aus Sicht des Bundesrates nicht. Er befürchtet, dass durch die vorgesehene umfassende Befugnis der ACER, die Leistung, Ausstattung und Aufgaben der regionalen Betriebszentren zu überprüfen und auch Empfehlungen an Kommission, Rat und Europäisches Parlament auszusprechen, die nationalen Regulierungsbehörden zunehmend Einfluss auf wesentliche Prinzipien und Grundsätze bei der Systemführung, beim Balancing sowie der entsprechenden Kostentragung und -teilung verlieren.
- 8. Die Steuerung der Verwendung von Engpasserlösen beeinflusst die nationale Verwendung der Engpasserlöse maßgeblich und stellt eine weitere weitreichende Kompetenzübertragung dar. Für Netzkunden sind steigende Netzentgelte zu befürchten, da zukünftig die Möglichkeit zur Netzentgeltreduktion entfällt.
- 9. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
*) Erster Beschluss des Bundesrates vom 10. März 2017, BR-Drucksache 037/17(B)