Der Bundesrat hat in seiner 956. Sitzung am 31. März 2017 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, dass der freie Dienstleistungsverkehr weiter erleichtert und der europäische Binnenmarkt weiterentwickelt werden muss.
Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich das Anliegen der Kommission, die in den Mitgliedstaaten gegenwärtige uneinheitliche Prüfung der Regulierung von Berufen und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Bereitstellung von Dienstleistungen und die Mobilität von Berufsangehörigen im Binnenmarkt zu verringern.
Er kann grundsätzlich das Vorhaben der Kommission nachvollziehen, über die Beschreibung von Prüfkriterien die Bewertung der Verhältnismäßigkeit von nationalen Regulierungen zu klären und vereinheitlichen zu wollen.
- 2. Der Bundesrat lehnt jedoch den Vorschlag der Richtlinie über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen ab.
- 3. Der Vorschlag bedeutet einen Eingriff in das Recht der Mitgliedstaaten zur Regulierung reglementierter Berufe. Es obliegt den einzelnen Mitgliedstaaten, Regelungen in Bezug auf den Zugang zu einem Beruf oder seine Ausübung einzuführen, sofern die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Des Weiteren ist zu befürchten, dass ein so weitgehender Eingriff in das innerstaatliche System zum Erlass von Regelungen für den Berufszugang auch Auswirkungen auf die Qualitätsstandards in der Bildung und auf den Verbraucherschutz haben wird.
- 4. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach dem Mehrwert der vorgeschlagenen Maßnahme. Mögliche diskriminierende Wirkungen im Bereich der Berufsreglementierung werden bereits heute von den Mitgliedsstaaten geprüft. Es stellt sich daher die Frage, warum ein zusätzliches Verfahren rechtsverbindlich vorgegeben werden muss.
- 5. Die detaillierten Prüfungsvorgaben und umfassenden Vorgaben zur Methodik können auch im Hinblick auf die Erfordernisse von Deregulierung und Bürokratieabbau nicht nachvollzogen werden. Der damit verbundene enorme Aufwand steht in keinem Verhältnis zum möglichen Nutzen.
- 6. Der Richtlinienvorschlag widerspricht dem Willen des Bundesrates, Bürokratie abzubauen. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit soll zukünftig durch ein kompliziertes und aufwändiges Verfahren erfolgen. Artikel 59 der Berufsanerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2005/36/EG vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen) regelt bereits ein Transparenzverfahren, das bei Bedarf hätte ergänzt werden können. Einer neuen Richtlinie bedarf es aus Sicht des Bundesrates nicht. Zudem würde die neue Richtlinie auch zu zusätzlichen, nicht erforderlichen Verwaltungskosten führen.
- 7. Der Bundesrat bezweifelt, dass die Festschreibung EU-weiter Maßstäbe für die Verhältnismäßigkeitsprüfung und die dabei vorgeschriebene Methodik inhaltlich verhältnismäßig, insbesondere erforderlich und angemessen, ist.
- 8. Er ist deshalb der Auffassung, dass auch andere, weniger in die Rechte der Mitgliedstaaten einschneidende Maßnahmen als der Erlass eines Rechtsakts in Betracht kämen (Empfehlung an die Mitgliedstaaten et cetera). Eine effektive Überprüfung mitgliedstaatlicher Rechtsetzung und damit auch die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips kann über bestehende Kontrollmechanismen (wie beispielsweise Pilotverfahren und Vertragsverletzungsverfahren) erreicht werden.
- 9. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich in den Verhandlungen im Rat dafür einzusetzen, dass die Kommission den Richtlinienvorschlag zur Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgrund der Verhältnismäßigkeits- und Subsidiaritätsbedenken einiger Mitgliedstaaten entweder zurückzieht oder in Form einer nicht verbindlichen Empfehlung erneut vorlegt.
- 10. Mit seiner Stellungnahme gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV vom 10. März 2017 (BR-Drucksache 045/17(B) ) hat der Bundesrat jedoch bereits deutlich gemacht, dass der vorliegende Richtlinienvorschlag in nationale Hoheitsrechte eingreift und mit den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit nicht in Einklang steht.
- 11. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass das Subsidiaritätsprinzip und die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten zu beachten sind. Nach Auffassung des Bundesrates geht der Richtlinienentwurf über die einschlägige Rechtsprechung des EuGH hinaus und engt damit den von ihm gewährten Beurteilungsspielraum ein. Der Bundesrat befürchtet durch die geplante Richtlinie einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand für die Wirtschaft und wendet sich gegen eine verbindliche Prüfmethodik.
- 12. Die Mitgliedstaaten setzen aktuell die Vorgaben der novellierten Berufsanerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen) in nationales Recht um. Die Richtlinie machte in Deutschland umfassende Novellierungsmaßnahmen im Bereich der horizontalen Anerkennungsgesetzgebung von Bund und Ländern sowie der Berufsfachrechte notwendig. Die neu geschaffenen Verfahren und Instrumente der Richtlinie müssen sich nun zunächst in der Praxis bewähren. Zu einer nachhaltigen Verankerung der Binnenmarktgesetzgebung in den Mitgliedstaaten bedarf es daher nicht nur immer neuer Regelungen, sondern vor allem einer sorgfältigen und nachhaltigen Umsetzung schon beschlossener Maßnahmen.
- 13. Die Mobilität von Selbstständigen und abhängig Beschäftigten wird über die Berufsanerkennungsrichtlinie gewährleistet. Ein Handlungserfordernis zur Mobilitätssicherung besteht daher nicht. Der Bundesrat vermisst auch eine nachvollziehbare Grundlage für die Bewertung der Kommission, dass die gegenwärtige uneinheitliche Prüfung der Regulierung von Berufen in der EU sich negativ auf die Bereitstellung von Dienstleistungen und die Mobilität von Berufsangehörigen auswirke. Vielmehr ist die Berufsanerkennungsrichtlinie erst 2013 modernisiert worden (Richtlinie 2013/55/EU). Durch diese Richtlinie wird insbesondere die grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Selbstständiger bereits umfassend gewährleistet. Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit sind somit gegeben.
- 14. Mit der bestehenden Berufsanerkennungsrichtlinie ist es über Jahre hinweg gelungen, Angehörigen reglementierter Berufe den Zugang zum Binnenmarkt zu erleichtern. Regelungen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung neuer Vorschriften bestehen bereits. Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass der vorgelegte Richtlinienentwurf nicht geeignet ist, diesen Prozess zu erleichtern. Die vorgelegten Regelungen werden den Prozess nicht klären, sondern mit einem Übermaß an bürokratischem Aufwand komplizierter gestalten.
- 15. Der Richtlinienvorschlag greift übermäßig in die berufsrechtlichen Regelungen und die Regelungsfreiheit der Mitgliedstaaten ein. Der Bundesrat unterstreicht die Feststellung der Kommission, dass in Abwesenheit harmonisierter Vorschriften auf EU-Ebene die Regulierung reglementierter Berufe weiterhin in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten falle. Er unterstützt daher die Auffassung der Kommission, es obliege den einzelnen Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob es einen Bedarf gibt, einzugreifen und Regeln und Beschränkungen in Bezug auf den Zugang zu einem Beruf oder seine Ausübung einzuführen, sofern die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben.
- 16. Der Bundesrat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Bereich der Berufsanerkennung zudem bildungspolitische Erwägungen eine große Rolle spielen. Letztere dürfen jedoch gemäß Artikel 165 Absatz 4 AEUV nicht harmonisiert werden. Der EuGH hat daher auch die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten zur Reglementierung von Berufen bestätigt. So wurde entschieden, dass bei im EU-Ausland erworbenen Berufsqualifikationen nachgewiesen werden muss, dass sie den im Inland eingeforderten Kriterien der Berufsanerkennung entsprechen.
- 17. Der Bundesrat weist ferner darauf hin, dass die Prüfung der Verhältnismäßigkeit bei Berufsanerkennungen bereits in Artikel 59 Absatz 3 der Berufsanerkennungsrichtlinie vorgeschrieben ist. Diese Kriterien entsprechen den vom EuGH entwickelten Kriterien, anhand derer die Verhältnismäßigkeit von Berufsregeln beurteilt werden kann. Die Kommission hat nicht überzeugend dargelegt, warum angesichts der bereits anerkannten Prüfkriterien eine zusätzliche Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich sein soll.
- 18. Der Bundesrat geht davon aus, dass die jeweils unabhängig vom Einzelfall zu prüfenden äußerst detaillierten Kriterien deutlich über die ständige Rechtsprechung des EuGH hinausgehen. Dadurch wird die Entscheidungsfreiheit der nationalen Gesetzgeber in autonomen Zuständigkeitsbereichen signifikant eingeengt.
- 19. Der Bundesrat erkennt an, dass die Kommission mit der vorgeschlagenen Richtlinie Prüfkriterien festlegen will, die EU-einheitlich zur Feststellung der Verhältnismäßigkeit bei neuen oder bei der Änderung bestehender Rechts-und Verwaltungsvorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder ihre Ausübung beschränken, genutzt werden sollen. Er stellt jedoch fest, dass der vorgelegte Richtlinienvorschlag bei diesem Bemühen keinerlei Klarstellung oder materielle Verbesserung gegenüber den bereits bestehenden Regelungen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung erreicht, wie sie in der Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 2006/123/EG vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt) festgelegt sind, sondern zusätzliche Unsicherheiten im Umgang mit der Prüfung der Verhältnismäßigkeit verursachen würde.
- 20. Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass die einzelnen Vorgaben des Richtlinienvorschlags nicht geeignet sind, ihre Zielsetzung zu erfüllen. Die Liste der Prüfkriterien in Artikel 6 des Richtlinienvorschlags ist sehr umfangreich; die einzelnen Kriterien bleiben jedoch letztlich unklar und beruhen nicht auf eindeutigen qualitativen oder quantitativen Grundlagen. Sie sind im Allgemeinen auch sehr weit und nicht hinreichend abgrenzbar gefasst.
- 21. Die vorgeschlagene Richtlinie würde zudem erheblich ausgeweitete Prüf- und Begründungspflichten nach sich ziehen, die nach Auffassung des Bundesrates in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen. So würden durch die Einführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung für alle Berufsreglementierungen auch bereits bestehende Regelungen vom Verfahren erfasst, da auch Rechtsänderungen die Verhältnismäßigkeitsprüfung auslösen würden. Das bedeutet, dass bei jeder notwendigen Anpassung eines zurzeit reglementierten Berufs elf Prüfkriterien aus Artikel 6 Absatz 2 sowie weitere zehn Prüfkriterien aus Artikel 6 Absatz 4 des Richtlinienvorschlags zu beachten und anzuwenden wären. Dies hätte ein rein schematisches Abarbeiten der einzelnen Prüfpunkte zur Folge anstatt einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den entsprechenden Anträgen. Dabei sind Ausübungsberechtigungen und Ausnahmegenehmigungen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein wichtiges Instrument zur Gewährleistung der Berufsfreiheit nach Artikel 12 Grundgesetz.
- 22. Der Bundesrat kritisiert, dass die Berücksichtigung des Kriterienkatalogs insgesamt einen überbordenden bürokratischen Aufwand verursachen würde, ohne im Sinne der Kommission zu besseren Ergebnissen zu führen.
- 23. Er teilt die Bewertung der Kommission, dass eine Berufsregulierung in den meisten Fällen gerechtfertigt und sogar willkommen sei, zum Beispiel bei Fragen der Gesundheit und Sicherheit.
- 24. Der Bundesrat teilt ebenso die Bilanz der Kommission, dass die einzelnen Mitgliedstaaten im Laufe der Zeit verschiedene Regelungen eingeführt haben, die lange Traditionen widerspiegeln und in Form staatlicher Regulierung oder in Form von Selbstregulierung durch Berufsverbände festgelegt wurden. Es gibt gute Gründe für eine Regulierung, die auf der Notwendigkeit beruht, zentrale Ziele des Allgemeininteresses zu schützen, die einen Wert für die Gesellschaft darstellen - zum Beispiel indem geklärt wird, welche Fachkenntnisse, Ausbildung und Kompetenzen Berufsangehörige mitbringen müssen, um sicherzustellen, dass die Bürgerinnen und Bürger bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen geschützt sind. Dies tritt nach Auffassung des Bundesrates insbesondere auf das Handwerk und den Meisterbrief zu.
- 25. Der Bundesrat widerspricht der Darstellung der Kommission, dass trotz der intensiven Gespräche und der von der Kommission bis zu diesem Zeitpunkt bereitgestellten Orientierungshilfen die Einführung neuer einschränkender Maßnahmen ohne vorherige objektive und umfassende Analyse nicht verhindert worden sei und lediglich eine oberflächliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit erfolgt sei.
- 26. Er lehnt die Forderung, "in regelmäßigen Abständen" die Verhältnismäßigkeit der Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu überprüfen, ebenso ab wie die Mitwirkung unabhängiger Kontrollstellen bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Hiermit wird nicht nur wiederum der bürokratische Aufwand erhöht, sondern auch die Unsicherheit für die Unternehmer und Handwerker, weil keine langfristige Verlässlichkeit der Gültigkeit von Berufsreglementierungen erreicht würde. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, EU-Recht im regulären Rechtsverordnungs- und Gesetzgebungsverfahren umzusetzen. Es ist weder notwendig noch zielführend, eine zusätzliche regelmäßige Überprüfungspflicht einzuführen, da die Mitgliedstaaten Änderungen des EU-Rechts sowieso umsetzen müssen.
- 27. Die regulierten Berufe sichern in Deutschland nicht nur die Wertigkeit deutscher Produkte und Dienstleistungen, sie tragen auch zum Erhalt der Ausbildungsfähigkeit in den kleinbetrieblichen Strukturen im Handwerk bei. Der Erfolg der dualen Ausbildung in Deutschland ist darüber hinaus eng mit dem Erwerb der Meisterqualifikation in den Ausbildungsbetrieben verbunden. Die Berufsregeln sowie die berufsständische Selbstverwaltung im Bereich des Handwerks und der freien Berufe sind aus Sicht des Bundesrates keine Binnenmarktbarrieren. Vielmehr schaffen sie Vertrauen für die in der EU angebotenen Produkte und Dienstleistungen. Sie sichern den Wettbewerb der Qualitäts- und Ausbildungsstandards, mithin Professionalität und leisten dadurch einen Beitrag für nachhaltiges Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum.
- 28. Der Bundesrat stellt fest, dass das System der dualen Ausbildung in Deutschland sowie das bestehende Niveau an Reglementierung gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen und einen Beitrag zur Schaffung von Perspektiven für junge Menschen leisten. Die duale Ausbildung in Deutschland ist einer der Gründe, warum die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland weiterhin niedrig ist.
- 29. Er stellt weiterhin fest, dass sich die berufsrechtlichen Reglementierungen im Bereich der Pflege- und Gesundheitsberufe bewährt haben. Die berufsgesetzliche Regulierung des Berufszugangs, der Schutz bestimmter Berufsbezeichnungen durch eine staatliche Anerkennung, die Regelung von Ausbildungsinhalten und vorbehaltener Tätigkeiten (zum Beispiel bei Hebammen und Entbindungspflegern) sowie Regelungen für die Berufsausübung sind auch zukünftig erforderlich, um den Schutz der Patientinnen und Patienten hinreichend zu gewährleisten.
- 30. Auch wenn die Kommission in der Begründung zum neuen Richtlinienvorschlag zu erkennen gegeben hat, dass in den meisten Fällen eine Regulierung gerechtfertigt sei - zum Beispiel bei Fragen der Gesundheit und Sicherheit - hat der Bundesrat die Sorge, dass mit der vorgeschlagenen Richtlinie der Gesundheitsschutz aufgeweicht wird.
- 31. Der Bundesrat bittet, entweder die Gesundheitsberufe vom Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie auszunehmen oder den Patientinnen-und Patientenschutz im Richtlinientext stärker in den Fokus zu nehmen. Nach dem Richtlinienvorschlag können vorbehaltene Tätigkeiten zukünftig nur noch geregelt werden, wenn damit eine ernsthafte Gefährdung der Ziele des Allgemeininteresses verhindert wird.
- 32. Zudem hat in Deutschland der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe und Reglementierungen Verfassungsrang. Eine zusätzliche, europarechtliche Regelung speziell für die Reglementierung von Berufen sieht der Bundesrat als entbehrlich an.
- 33. Der Bundesrat stellt fest, dass die Frage, ob oder wie der Berufszugang innerstaatlich reglementiert ist, in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. In Deutschland ist der Zugang zu einer beruflichen Tätigkeit in den Fällen reglementiert, bei denen es sich um sensible berufliche Tätigkeiten handelt und bei denen es gerechtfertigt ist, den Berufszugang unter anderem aus Gründen des Verbraucher- oder Patientenschutzes an das Vorhandensein bestimmter beruflicher Qualifikationen zu knüpfen. Es sollte den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, welche Berufe sie aus Gründen des Allgemeinwohls reglementieren und bei welchen sie dies nicht für notwendig erachten.
- 34. Der Bundesrat bittet die Kommission ernsthaft zu erwägen, das Anliegen auch unterschwellig - zum Beispiel durch eine Ergänzung der Berufsanerkennungsrichtlinie durch Leitlinien oder Handlungsempfehlungen in Form einer Mitteilung - zu verwirklichen, die mehr Freiraum für individuelle Lösungen auf der Ebene der Mitgliedstaaten ermöglichen, ohne die Akzeptanz des Gesamtziels zu gefährden (offene Methode der Koordinierung). In Form einer verbindlichen Richtlinie steht er dem Vorhaben ablehnend gegenüber.
- 35. Der Bundesrat fordert die Kommission daher auf, den Richtlinienvorschlag zurückzuziehen.
- 36. Er bittet darüber hinaus die Bundesregierung, mit Nachdruck darauf hinzuwirken, dass der Richtlinienvorschlag nicht weiterverfolgt wird.
- 37. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
*) Erster Beschluss des Bundesrates vom 10.03.17, BR-Drucksache 045/17(B)