Der Bundesrat hat in seiner 956. Sitzung am 31. März 2017 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt das mit dem Verordnungsvorschlag verfolgte Ziel einer grenzüberschreitend effektiveren Vermögensabschöpfung im strafrechtlichen Bereich. Nach wie vor und insbesondere in Zeiten des internationalen Terrorismus gilt: "Verbrechen darf sich nicht auszahlen". Daher unterstützt er, dass mit dem Verordnungsvorschlag ein weiteres Element des Maßnahmenpakets der Kommission zur Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung vorgelegt wird. Der Verordnungsvorschlag stellt eine im Grundsatz begrüßenswerte Fortentwicklung und Konsolidierung des auf EU-Ebene bestehenden Regimes der Vermögensabschöpfung dar.
- 2. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Regelungen des von der Kommission gemäß Artikel 82 Absatz 1 AEUV gewählten Rechtsinstruments einer unmittelbar anwendbaren Verordnung für die staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Praxis schwer handhabbar sein werden. Denn die Rechtsanwender müssten neben dem bestehenden nationalen Recht oder neben dem in Umsetzung der Richtlinie 2014/41/EU über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen ergangenen Recht zusätzlich die unmittelbar anwendbaren Regelungen des Verordnungsvorschlags beachten und sämtliche Rechtsgrundlagen in aufeinander abgestimmter Weise anwenden. Ein derartiges Regime parallel anzuwendender, unterschiedlicher Regelungsschichten ist kompliziert und wird die Akzeptanz und die Geeignetheit des Instruments im Hinblick auf die an sich erstrebte Erleichterung und Intensivierung der Durchführung grenzüberschreitender Maßnahmen zur Vermögensabschöpfung deutlich reduzieren. Eine unmittelbar anwendbare Verordnung stellt insofern einen Fremdkörper im Strafrechtsbereich dar. Der Bundesrat bittet daher zu prüfen, ob nicht das Rechtsinstrument einer Richtlinie gegenüber einer Verordnung vorzuziehen ist. Bei der Umsetzung der Regelungen einer Richtlinie in nationales Recht kann eine Einpassung in vorhandene und bewährte Strukturen und Verfahren erfolgen. Die Rechtsanwender müssten nicht parallel Regelungen verschiedener Rechtsebenen anwenden, sondern könnten sich in ihnen bekannten Strukturen und Verfahren bewegen. Das würde dem Ziel der mit der Zusammenführung der Regelungen der Rahmenbeschlüsse Sicherstellung (2003/577/JI) und Einziehung (2006/783/JI) bezweckten Vereinfachung in deutlich größerem Maße entsprechen.
- 3. Der Bundesrat weist zudem darauf hin, dass einzelne Regelungen des Verordnungsvorschlags in der aktuellen Fassung unmittelbar das nationale Strafrecht und Strafprozessrecht tangieren (so etwa Artikel 13 Absatz 1 des Verordnungsvorschlags). Damit würde der Bereich des von Artikel 82 Absatz 1 AEUV geregelten Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen verlassen und eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorgenommen, die nur unter den Voraussetzungen des Artikels 82 Absatz 2 AEUV zulässig wäre. Der Bundesrat fordert daher, dass dieser Problematik in den anstehenden Verhandlungen auf EU-Ebene durch eine sorgfältige Formulierung der in Rede stehenden Regelungen des Verordnungsvorschlags Rechnung getragen wird. In diesem Zusammenhang gibt der Bundesrat auch zu bedenken, dass gemäß Artikel 36 des Verordnungsvorschlags der Kommission die Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte nach dem in dessen Artikel 37 vorgesehenen Verfahren zur Änderung des für den Erlass und die Übermittlung einer Sicherstellungsentscheidung bestimmten Formulars (Artikel 16 in Verbindung mit dem Anhang II zum Verordnungsvorschlag) übertragen werden soll. In den anstehenden Verhandlungen sollte sichergestellt werden, dass die Kommission auf diesem Wege nicht einseitig mittelbar Änderungen an den Entscheidungsvoraussetzungen vornehmen kann.
- 4. Der Bundesrat spricht sich angesichts der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Europäischen Haftbefehl, mit Blick auf das Vorhandensein einer entsprechenden Regelung in Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe f der Richtlinie 2014/41/EU über die Europäische Ermittlungsanordnung sowie mit Blick auf die Erleichterung der Rechtsanwendung durch die Praxis, für die Aufnahme eines grundrechtlichen Zurückweisungsgrundes in den Katalog des Artikels 9 und des Artikels 18 vergleichbar der Regelung in der Richtlinie 2014/41/EU über die Europäische Ermittlungsanordnung aus.
- 5. Er gibt zu bedenken, dass durch die in dem Verordnungsvorschlag vorgesehenen zahlreichen und vor allem strikten Fristen sowie die zahlreichen Informations- und Konsultationspflichten für die Praxis ein ganz erheblicher bürokratischer Aufwand entstehen wird, der zur Erreichung des Ziels einer effektiveren grenzüberschreitenden Vermögensabschöpfung in der vorliegenden Form nicht erforderlich ist und die Zielerreichung vielmehr konterkarieren wird. Der Bundesrat unterstützt zwar im Grundsatz die Vorgabe von Fristen sowie auch Vorgaben zu einem engen Informationsaustausch und gebotener Konsultation zwischen den Behörden des Entscheidungs- wie des Vollstreckungsstaats im Sinne einer zügigen und effektiven Durchführung der jeweiligen Maßnahmen. Er erkennt auch die besondere Dringlichkeit, die für die Durchführung von Sicherstellungen bestehen kann. Jedoch sind die konkret vorgesehenen starren Fristen von 24 Stunden oder 30 Tagen oder sogar die Vorgabe der Berücksichtigung des Erfordernisses sofortigen Tätigwerdens (vergleiche Artikel 10 und Artikel 19) - abgesehen davon, dass im Fall einer wie hier unmittelbar anwendbaren Verordnung die Grundlagen für die Berechnung von Fristbeginn und -ende klargestellt sein müssen - deutlich zu kurz bemessen und mit den Abläufen in der polizeilichen, der staatsanwaltschaftlichen und der gerichtlichen Praxis nicht vereinbar. Dies wird insbesondere an dem Fall deutlich, dass eine Entscheidung etwa am Freitagnachmittag bei der Vollstreckungsbehörde eingeht oder Feiertage in Rede stehen. Die zum Teil fehlende Verlängerbarkeit (vergleiche Artikel 10 Absatz 5) ist nicht hinnehmbar. Im Fall entsprechender Abstimmung zwischen Entscheidungs- und Vollstreckungsstaat dürfte nichts gegen eine unbefristete Verlängerbarkeit sprechen.
Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch, dass die vorprogrammierten Fristenverstöße wiederum Informations- und Konsultationspflichten auslösen und somit der bürokratische Aufwand potenziert wird. Flexiblere Fristenregelungen könnten ein Ansatz sein; allerdings ist dann zu beachten, dass die wesentlichen Grundlagen im Text des Verordnungsvorschlags geregelt werden müssen, um die unmittelbare Anwendbarkeit zu gewährleisten. Auch die insofern bislang verwendete, uneinheitliche Terminologie ("unverzüglich", "umgehend", "so bald wie möglich") muss im Fall einer Verordnung überdacht werden, soll damit nicht Unterschiedliches geregelt werden. Schließlich weist der Bundesrat darauf hin, dass bislang jegliche Regelungen zu den Rechtsfolgen von Fristverstößen im Verordnungsvorschlag fehlen. Schon zur Eingrenzung etwaiger Amtshaftungsrisiken, beispielsweise in Fällen, in denen durch die Nichteinhaltung von Fristen eine Rückgewinnungshilfe unmöglich wird, sollten die Rechtsfolgen von Fristverstößen geregelt werden.
- 6. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, eine dem Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe h des Rahmenbeschlusses Einziehung (2006/783/JI) entsprechende Regelung zur Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung im Fall der nach den Vorschriften des Vollstreckungsstaats eingetretenen Verjährung aufzunehmen. Zwar dürfte sich die Problematik durch die anstehende Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung entschärfen. Jedoch sind weiter Fälle denkbar, in denen ein an sich eingetretener Eintritt der (Vollstreckungs-)Verjährung die Vollstreckung im Inland verhindern würde. Es steht daher zu befürchten, dass - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - über die Hintertür der Vollstreckung in einem anderen europäischen Mitgliedstaat die inländische Verjährung ausgehebelt werden könnte.
- 7. Der Bundesrat spricht sich außerdem dafür aus, eine dem § 88d Absatz 3 Satz 4 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vergleichbare Regelung über die Möglichkeit der Umwandlung im Vollstreckungsstaat nicht vollstreckbarer ausländischer Entscheidungen aufzunehmen.
- 8. Er bittet die Bundesregierung zu prüfen, ob Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe g Satz 1 des Verordnungsvorschlags ungewollt auch Strafbefehle erfassen könnte mit der Folge, dass die Anerkennung und die Vollstreckung von Einziehungsentscheidungen, die im Rahmen von Strafbefehlsverfahren getroffen wurden, versagt werden können. Die in Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe g Satz 2 Nummer 3 des Verordnungsvorschlags normierten Ausnahmen betreffen ihrem Wortlaut nach nur das Wiederaufnahme- und das Berufungsverfahren. Mit Blick auf das Rechtsinstrument einer Verordnung stellt sich die Frage, ob hierunter auch ein Einspruch fällt. Zudem ist fraglich, ob die in Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe e des Rahmenbeschlusses Einziehung (2006/783/JI) ausdrücklich eröffnete Möglichkeit der Zustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten auch von der in Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe g Satz 2 gewählten Formulierung "im Einklang mit weiteren verfahrensrechtlichen Vorschriften des Entscheidungsstaats" gedeckt wäre, zumal Nummer 3 vorgibt, dass die Einziehungsentscheidung der betroffenen Person ("ihr") zuzustellen ist.
- 9. Der Verordnungsvorschlag setzt gemäß Artikel 4 für ein vollständiges Ersuchen die Übersendung einer Bescheinigung nach Anhang I und einer Einziehungsentscheidung voraus. In der gerichtlichen Praxis kommt es jedoch immer wieder vor, dass der Angeklagte auf die Rückerstattung von sichergestelltem Vermögen verzichtet und dann im Urteil keine Einziehungsentscheidung ergeht. Der Bundesrat bittet, bei den Verhandlungen darauf zu achten, dass auch in diesen Fällen eine Abschöpfung im Ausland befindlichen und gegebenenfalls bereits gesicherten Vermögens möglich ist.
- 10. Nach dem derzeit im Deutschen Bundestag beratenen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2014/42/EU vom 3. April 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der EU soll unabhängig davon, ob durch die Straftat auch Ansprüche von Verletzten auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangten entstanden sind, eine einheitliche Einziehung von Vermögensgegenständen erfolgen; die Verletzten werden dann in einem gesonderten Verfahren aus dem eingezogenen Vermögen befriedigt. Daher ist es durchaus denkbar, dass zum Zeitpunkt der Einziehung noch nicht klar ist, ob und in welcher Höhe Verletzte entschädigt werden. Aus diesem Grund sollte es daher auch möglich sein, mit der ausländischen Vollstreckungsbehörde eine Teilungsvereinbarung (Artikel 31 Absatz 1 des Verordnungsvorschlags) unter dem Vorbehalt der späteren Entschädigung von Verletzten schließen zu können.
- 11. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die weiteren Verhandlungen in diesem Sinne zu führen.
- 12. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.