Der Bundesrat hat in seiner 989. Sitzung am 15. Mai 2020 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt das Ziel der Kommission, durch die auf fünf Jahre angelegte "Strategie der Gleichstellung der Geschlechter 2020 - 2025" die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern.
Er begrüßt diese neue Strategie der neu gewählten Kommission, die am 5. März 2020 veröffentlicht wurde. Eine eigenständige und klare Strategie auf EU-Ebene ist notwendig, um echte Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern in ganz Europa und in allen Bereichen der Gesellschaft zu erzielen.
- 2. Er erkennt an, dass sich die EU seit langer Zeit für die Umsetzung der Gleichstellung der Geschlechter einsetzt. Dennoch ist die neue Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter wichtig, um weitere Verbesserungen für die Gleichstellung von Frauen und Männern innerhalb der EU durchzusetzen. Nur so kann gewährleistet werden, dass bis zum Jahr 2025 Fortschritte erzielt und neue Impulse bei der Gleichstellung der Geschlechter geschaffen werden.
- 3. Der Bundesrat begrüßt das übergeordnete Ziel der Strategie: die Schaffung eines Europas der Gleichstellung, in dem geschlechtsspezifische Gewalt, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und strukturelle Ungleichheit zwischen Frauen und Männern der Vergangenheit angehören sollen.
- 4. Ferner begrüßt er die Schwerpunktsetzung der neuen Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter auf die Beendigung von geschlechtsspezifischer Gewalt, die Bekämpfung von Geschlechterstereotypen und die Chancengleichheit der Geschlechter. Hier sind unter anderem die Bemühungen der Kommission zum Beitritt der EU zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul) zu nennen. Ein Beitritt der gesamten EU zu diesem Übereinkommen ist aus Sicht des Bundesrates unerlässlich und eine weitere Blockadehaltung einiger Mitgliedstaaten der EU nicht hinnehmbar.
- 5. Mit Blick auf die gleiche Teilhabe und Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Wirtschaft begrüßt der Bundesrat in diesem Zusammenhang die Zusage der Kommission, bis Ende des Jahres 2020 Vorschläge und konkrete Schritte zur Schaffung von tatsächlicher Lohntransparenz zu unterbreiten. Die vorgeschaltete Konsultation gibt allen Akteuren der Gesellschaft die Möglichkeit, sich an der Diskussion zu beteiligen und Empfehlungen abzugeben.
- 6. Der Bundesrat betont die Bedeutung der Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter auch vor dem Hintergrund der familienpolitischen Relevanz. Insbesondere die Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, die angekündigte Leitlinie der EU zu finanziellen Anreizen oder Negativanreizen für Zweitverdienende, die Prüfung der Anrechnung von pflegebedingten Unterbrechungen sowie die Kindergarantie 2021 stellen wichtige Aspekte zur Ermöglichung einer partnerschaftlichen und damit ausgewogeneren Aufteilung von Erwerbstätigkeit und Sorgearbeit dar.
- 7. Einen besonderen Mehrwert sieht der Bundesrat darin, dass sich die Strategie auch neuen Themenfeldern öffnet und widmet. Im Zeitalter der Digitalisierung zeigt sich zum Beispiel, dass auch das Thema Künstliche Intelligenz (KI) im Kontext der Geschlechtergleichstellung beleuchtet werden kann. In Bezug auf die KI darf es nicht zu einer Diskriminierung von Frauen und Männern kommen, zum Beispiel durch Nutzung von bestimmten Algorithmen. Frauen sollten außerdem an der Gestaltung von KI mitwirken. Aus Sicht des Bundesrates ist es wichtig, sich diesen neuen Themenfeldern und Herausforderungen, die ebenfalls in der Zukunft wesentlich für die Gleichstellung der Geschlechter sein könnten, nicht zu verschließen.
- 8. Die Einrichtung einer Task Force für den gesamten Bereich der Gleichstellung erachtet der Bundesrat ebenfalls als wertvoll. So kann sichergestellt werden, dass die Fragen der Gleichstellung in allen Bereichen der EU mitgedacht werden und auch in Zukunft Gehör finden können.
- 9. Der Bundesrat macht deutlich, dass eine Strategie der Gleichstellung der Geschlechter nicht nur binärgeschlechtlich ausgerichtet sein darf, sondern auch weitere Geschlechtsidentitäten (*inter, divers, gegebenenfalls weitere Optionen) Berücksichtigung finden müssen.
Die vorgeschlagene Strategie greift daher mit ihrem Ansatz der binären Geschlechterordnung von Männern und Frauen zu kurz, indem sie die Existenz weiterer Geschlechter unerwähnt und unberücksichtigt lässt.
- 10. Der Bundesrat mahnt die Wahrung des Grundrechts auf Diskriminierungsverbot nach Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 an, welches auch das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts umfasst. Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts unterstreicht dieses Grundrecht, in dem er am 10. Oktober 2017 in seinem Beschluss (1 BvR 2019/16) festgestellt hat, dass nichtbinäre Menschen vom Diskriminierungsverbot nach Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) geschützt sind. Er hat zudem festgestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG) auch die geschlechtliche Identität derjenigen schützt, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.
- 11. Die Bundesregierung wird gebeten, sich gegenüber der Kommission dafür einzusetzen, dass im Rahmen der "Strategie der Gleichstellung der Geschlechter 2020 - 2025" auch der Benachteiligung derjenigen Menschen, die sich nicht den Kategorien Frau oder Mann zuordnen lassen, entgegengewirkt und entsprechende konkrete Maßnahmen benannt werden.
Davon unberührt bleibt der besondere grundgesetzliche Auftrag gemäß Artikel 3 Absatz 2 GG zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern.
- 12. Der Bundesrat begrüßt daher die Ankündigung, dass die Überschneidungen zwischen Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts und aus anderen Gründen in allen Politikbereichen der EU behandelt werden sollen. Hervorzuheben sind hier die angekündigten Verknüpfungen der Gleichstellungsstrategie mit dem künftigen Aktionsplan für Integration und Inklusion und die strategischen Rahmen der EU für Menschen mit Behinderungen, die Integration der Roma und die Rechte des Kindes sowie insbesondere die für das 4. Quartal 2020 angekündigte "LGBTI-Gleichstellungsstrategie".
- 13. Die Strategie fokussiert auch auf das externe Handeln der EU und auf die Stärkung der Rolle der Frau weltweit. Der Bundesrat unterstreicht diesen Fokus ausdrücklich und betont die Verantwortung der EU in diesem Kontext. Durch zum Beispiel kohärente Handelspolitik können die Frauenrechte gestärkt und somit die Situation für Frauen und Mädchen weltweit verbessert werden. Dies muss der Anspruch der EU in diesem Zusammenhang sein.
- 14. Abschließend weist der Bundesrat darauf hin, dass obwohl in den vergangenen Jahren einige politisch positive Schritte in Richtung Gleichstellung der Geschlechter unternommen wurden, Frauen noch immer nicht gleichberechtigt beteiligt sind - weder in der Politik noch in der Wirtschaft oder der Verwaltung. Deshalb bleibt die Förderung der Gleichstellung auch in den kommenden Jahren eine große Herausforderung. Es ist wichtig, dass die Kommission weiterhin konsequent daran arbeitet, Ungleichheiten in der EU zu beseitigen und die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern.
- 15. Er fordert daher die konsequente Umsetzung der Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter. Dies gilt sowohl für die einzelnen Mitgliedstaaten der EU als auch für die Institutionen der EU selbst. In diesem Zusammenhang appelliert der Bundesrat deshalb auch an die Mitverantwortung der Länder, da die Gleichstellung von Frauen und Männern eine gemeinsame Aufgabe ist und es auch in Zukunft bleiben wird.
- 16. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.