Der Bundesrat hat in seiner 821. Sitzung am 7. April 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt die Mitteilung der Kommission zur Förderung des Unternehmergeists in den Bereichen Schul- und Hochschulbildung als Beitrag zur Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft zur Kenntnis, begrüßt die von der Kommission vorgenommene breite Definition des Begriffs "Unternehmergeist" und weist auf die zahlreichen in allen deutschen Ländern in beiden Bildungsbereichen unternommenen Initiativen zur Stärkung des Unternehmergeists bei Schülern und Studierenden hin.
- 2. Der Bundesrat nimmt mit Verwunderung zur Kenntnis, dass die Kommission anregt, den von ihr konstatierten Mangel an Existenzgründern in den Mitgliedstaaten der EU über Maßnahmen im Bildungsbereich anzugehen, anstatt sich auf sachlich relevantere Kausalzusammenhänge (z.B. wirtschaftliche und ordnungspolitische Rahmenbedingungen) zu konzentrieren.
- 3. Der Bundesrat verweist auf seine Stellungnahmen zu der von der Kommission geforderten Schaffung eines Aktionsplans in Bezug auf eine europäische Agenda für unternehmerische Initiative (BR-Drucksache 165/04(B) ) sowie zu Schlüsselkompetenzen für das lebenslange Lernen (BR-Drucksache 820/05(B) ).
- 4. Der Bundesrat bekräftigt seine bereits in BR-Drucksache 165/04(B) dargestellte Zurückweisung der Kommissionsforderung, eine unternehmerische Ausbildung in die Lehrpläne aller Schulen im Primar- und Sekundarbereich aufzunehmen, und betont, dass auch unter Verweis auf Leitlinie 15 der integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung und somit über die Verknüpfung des Bildungsbereichs mit dem für die Lissabon-Strategie bedeutenden Merkmal der Beschäftigungsfähigkeit die entsprechende Kommissionsforderung als Verstoß gegen die in Artikel 149 und 150 EGV dargestellten vertraglichen Bestimmungen, die eine Zuständigkeit für Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems ausschließlich den Mitgliedstaaten zuschreiben, abzulehnen ist. Der Bundesrat erteilt in diesem Zusammenhang auch der Aufstellung von diesbezüglichen nationalen Aktionsplänen bzw. nationalen Strategien eine Absage.
- 5. Der Bundesrat sieht zwar wie die Kommission in der Erziehung zu Kreativität, Innovationsfähigkeit und -bereitschaft sowie zur Fähigkeit, Projekte zu planen und durchzuführen, einen bedeutenden Bestandteil des Erziehungsauftrags der schulischen Bildung und begrüßt daher, dass die Förderung des Unternehmergeists neben zwölf weiteren prioritären Aktionsbereichen Aufnahme in das 2002 von den EU-Bildungsministern vereinbarte Arbeitsprogramm zu den künftigen Zielen der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in Europa (in der Folge: Arbeitsprogramm "Bildung und Ausbildung 2010") gefunden hat. Der Bundesrat weist darauf hin, dass auch der unlängst veröffentlichte Kommissionsvorschlag zu Schlüsselkompetenzen für das lebenslange Lernen den Aspekt der Förderung des Unternehmergeists umfasst. Der Bundesrat kann diese mehrfache Herausstellung eines einzelnen Elements des Arbeitsprogramms als besonders prioritär für die Umsetzung der Lissabon-Strategie oder gar die Gestaltung der nationalen Bildungspolitiken nicht nachvollziehen. Der Bundesrat betont, dass die Schulen vornehmlich andere Aufgaben haben, als junge Menschen von frühester Kindheit an für das Unternehmertum als Zukunftsperspektive zu sensibilisieren. Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in Deutschland die Meisterausbildung zum postsekundären Bildungsbereich gehört und kein Bestandteil des zum Sekundärbereich gehörenden dualen Systems ist.
- 6. Sollte die Kommission dennoch beabsichtigen, den Mitgliedstaaten eine Akzentsetzung auf die Förderung des Unternehmergeists in Schule, Berufsbildung und Hochschule nahe zu legen, sollte dies nach Ansicht des Bundesrates über das von der Kommission in mehreren Bereichen bereits eingesetzte Instrument der peerlearning-Maßnahmen des Arbeitsprogramms "Bildung und Ausbildung 2010" bei freiwilliger Teilnahme interessierter Mitgliedstaaten erfolgen.
- 7. Der Bundesrat unterstreicht in diesem Zusammenhang den Wert des Arbeitsprogramms "Bildung und Ausbildung 2010", das durch die Zusammenführung von 13 prioritären thematischen Bereichen einen ausgeglichenen Ansatz darstellt und als wichtigstes Instrument der EU-Bildungskooperation einen Rahmen für die vom Bundesrat seit langem geforderte Stärkung des Informations- und Erfahrungsaustauschs auf europäischer Ebene bietet. Die in diesem Zusammenhang benannten bewährten Verfahren sind dazu geeignet, Impulse für die Gestaltung der nationalen Bildungspolitiken unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips sowie der beschränkten Gemeinschaftskompetenzen im Bildungsbereich zu geben.
- 8. Auch in fachlicher Hinsicht besteht nach Meinung des Bundesrates vor dem Hintergrund des in allen deutschen Ländern fortschreitenden Prozesses der inneren Schulentwicklung und der damit einhergehenden Profilbildung der einzelnen Schulen sowie unter Berücksichtigung der Vielzahl der im Rahmen der Öffnung der Schulen gegenüber ihrem Umfeld und vor allem gegenüber der Arbeitswelt in den Ländern stattfindenden Aktivitäten keine Notwendigkeit, konkrete Vorgaben zur Berücksichtigung des Unternehmergeists im Unterricht zu machen oder etwa wie von der Kommission gefordert, unternehmerisches Denken und Handeln als explizite Bildungsziele in den Lehrplänen zu verankern bzw. diesbezügliche Vorkehrungen für die Lehreraus- und -weiterbildung zu treffen.
- 9. Der Bundesrat stellt fest, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zur Stärkung des unternehmerischen Denkens und Handelns im Hochschulbereich von den deutschen Hochschulen in den Studienfächern, die sich dafür eignen, bereits seit langem mit großem Engagement betrieben werden. Darüber hinaus führen zahlreiche Hochschulen auch mit Unterstützung durch die europäischen Strukturfonds zusätzliche arbeitsmarktbezogene Projekte durch, die die Förderung des Unternehmergeists zum Ziel haben. Der Bundesrat weist darauf hin, dass auf Grund der Autonomie der Hochschulen einer staatlichen Lenkung der Curricula im Hochschulbereich enge Grenzen gesetzt sind und die Berücksichtigung von Maßnahmen zur Förderung des Unternehmertums der Profilbildung der jeweiligen Hochschule überlassen bleiben muss.
- 10. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, seine Stellungnahme gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen, weil die Angelegenheit im Schwerpunkt die Gestaltung von Lehrplänen und Bildungsgängen in Schule und Hochschule betrifft und damit in die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder fällt. Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, die Verhandlungsführung gemäß § 6 Abs. 2 EUZBLG auf die Länder zu übertragen.