COM (2018) 184 final; Ratsdok. 7877/18
968. Sitzung des Bundesrates am 8. Juni 2018
Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich das Ziel, die wirksame Durchsetzung von verbraucherschützenden Regelungen der EU zu fördern.
- 2. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass sich der Richtlinienvorschlag nicht auf eine für ein Tätigwerden der EU erforderliche Rechtsgrundlage stützen lässt. Der Vorschlag trifft weitreichende Regelungen auf dem Gebiet des Zivilverfahrensrechts, für welches die Mitgliedstaaten zuständig sind. Die EU verfügt in diesem Bereich, der stark von den jeweiligen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten geprägt ist, über keine umfassende Rechtsetzungs- und Harmonisierungskompetenz.
- 3. Nach Auffassung des Bundesrates kann auch ein Verstoß gegen die Kompetenzordnung eine Subsidiaritätsrüge begründen (siehe hierzu beispielsweise BR-Drucksache 186/17(B) , Ziffer 2). Der Grundsatz der Subsidiarität ist ein Kompetenzausübungsprinzip. Die Subsidiaritätsprüfung schließt daher eine Prüfung der Zuständigkeit der EU zwingend mit ein. Es wäre nicht vermittelbar, wenn die nationalen Parlamente zwar Verstöße gegen das Subsidiaritätsprinzip, nicht aber den noch schwerer wiegenden Eingriff in ihre Rechte, den EU-Vorgaben ohne eine entsprechende Kompetenz der EU darstellen, rügen könnten.
- 4. Voraussetzung für die Inanspruchnahme der von der Kommission gewählten Rechtsgrundlage des Artikels 114 AEUV ist, dass der geplante Rechtsakt tatsächlich den Zweck hat, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern oder spürbare Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Darüber hinaus muss eine auf Artikel 114 AEUV gestützte Maßnahme auch objektiv der Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarktes dienen, indem Handelshemmnisse abgebaut oder Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden. Für ein Tätigwerden der EU reichen allerdings die bloße Feststellung von Unterschieden der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und die abstrakte Gefahr von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass diese Unterschiede tatsächlich geeignet sind, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen, und sich unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken.
- 5. Der Richtlinienvorschlag der Kommission soll durch das Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarktes beitragen. Dass durch die gegenwärtige Rechtslage, insbesondere das Fehlen einer europaweit harmonisierten Verbandsklagenregelung, der Binnenmarkt konkret beeinträchtigt wäre, wird jedoch nicht näher ausgeführt. Einen positiven Binnenmarkteffekt sieht die Kommission im Wesentlichen darin, dass ein höherer Verbraucherschutz im Binnenmarkt das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in den Binnenmarkt stärkt. Mit dieser Begründung könnte sie allerdings jegliche Verbraucherschutzinitiativen, jedenfalls im Bereich des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes, auf Artikel 114 AEUV stützen. Dies entspricht jedoch nicht der eigentlichen Intention der Binnenmarktkompetenz und führt zu einer Aushöhlung des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung.
- 6. Der Bundesrat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe a AEUV, wonach die EU durch Maßnahmen gemäß Artikel 114 AEUV auch einen Beitrag zum Verbraucherschutz leistet, keine eigenständige Rechtsgrundlage darstellt, auf die sich der Vorschlag stützen ließe. Vielmehr müssen die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Binnenmarktkompetenz vorliegen. Trifft dies nicht zu, kann die EU im Bereich des Verbraucherschutzes nur auf der Grundlage von Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe b AEUV und lediglich zur Unterstützung, Ergänzung und Überwachung der Verbraucherschutzpolitik der Mitgliedstaaten tätig werden.
- 7. Der Bundesrat stellt schließlich fest, dass es sich bei der vorgeschlagenen Verbandsklage in Wahrheit um eine EU-Vorgabe im Bereich des Zivilverfahrensrechts handelt. Er gibt zu bedenken, dass die geplante Verbandsklage angesichts ihres äußerst weiten Anwendungsbereichs anders als die bestehende Unterlassungsklage einem horizontalen Verfahrensinstrument gleichkommt, das selbst in den nicht umfassten Bereichen Anpassungsdruck auf das nationale Zivilprozessrecht ausüben dürfte. Was das Zivilverfahrensrecht anbelangt, erlaubt Artikel 81 Absatz 2 AEUV jedoch nur unter engen Voraussetzungen Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen. Voraussetzung ist stets ein grenzüberschreitender Bezug. Der Vorschlag beschränkt sich jedoch nicht auf grenzüberschreitende Sachverhalte, sondern verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Einführung einer Verbandsklage auch für rein nationale Fallgestaltungen. Die Kompetenzbegrenzung im Hinblick auf das Zivilverfahrensrecht darf nicht unter Rückgriff auf die Binnenmarktkompetenz umgangen werden.
* Die Ausschussberatungen gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG sind noch nicht abgeschlossen.