Der Bundesrat hat in seiner 946. Sitzung am 17. Juni 2016 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt Bezug auf seine Stellungnahmen zum EU-Justizbarometer 2013 - BR-Drucksache 244/13(B) -, zum EU-Justizbarometer 2014 - BR-Drucksache 171/14(B) - und zum Justizbarometer 2015 - BR-Drucksache 092/15(B) - und wiederholt seine darin geäußerte grundsätzliche Kritik.
- 2. Er stellt positiv fest, dass die Zahl der Anmerkungen zu den Schaubildern im EU-Justizbarometer 2016 gegenüber den Vorjahresveröffentlichungen weiter erhöht und so vermehrt auf Besonderheiten in einzelnen Justizsystemen hingewiesen wurde. Das fortbestehende grundlegenfizit der fehlenden Vergleichbarkeit der Justizsysteme wird nach Auffassung des Bundesrates durch Einzelhinweise jedoch nicht behoben. Es wird vielmehr im unzutreffenden Umkehrschluss suggeriert, dass die Justizsysteme im Übrigen ohne Weiteres vergleichbar seien. Den unter Berücksichtigung der zahlreichen Unterschiede verbleibenden Wert eines vornehmlich quantitativen Vergleichs hält der Bundesrat für nicht groß genug, um den mit der Datenerhebung verbundenen Aufwand zu rechtfertigen.
Den Schaubildern unter Ziffer 3.1.1 des EU-Justizbarometers 2016 zur Effizienz der Justizsysteme wird nicht nur in der Fachöffentlichkeit erhebliche Bedeutung beigemessen. Die Daten für verwaltungsgerichtliche Verfahren (Schaubilder 6, 7, 9, 12) stehen allerdings unter dem großen Vorbehalt, dass ein Abgleich der unter die verwendete Begrifflichkeit fallenden Regelungsmaterien nicht stattgefunden hat. Es erschließt sich dem Bundesrat nach wie vor nicht, wie von der Zahl der anhängigen Verfahren (Schaubild 12) auf die Effizienz eines Justizsystems geschlossen werden soll. In Deutschland teilweise vorhandene verwaltungsinterne Vorverfahren, die für die Beteiligten eine unkomplizierte und zügige Überprüfung des Verwaltungshandelns bieten, werden im EU-Justizbarometer überhaupt nicht berücksichtigt.
Beispielhaft für die Bedenken des Bundesrates ist auch die Darstellung der finanziellen Anforderungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Schaubild 20 im EU-Justizbarometer 2016. So ist es mit Blick auf Deutschland eine verkürzende Darstellung, von Prozesskostenhilfe zu sprechen, ohne auch das System der (vorprozessualen) Beratungshilfe differenziert darzustellen. Die Einordnung in die vorgegebenen Kategorien ebnet die zweifellos vorhandenen Systemunterschiede vollständig ein. Eine "Prozesskostenhilfe mit teilweiser Kostenübernahme" ist in Deutschland nur im weiteren Sinne als Prozesskostenübernahme mit Ratenzahlung vorgesehen. Die zahlreichen zutreffenden - Vorbehalte in Schaubild 20 und den Erläuterungen dazu zeigen nach Auffassung des Bundesrates beispielhaft, wie gering die verbleibende Aussagekraft für einen substantiierten Vergleich ist. Andererseits laden die verallgemeinernden Formen der Darstellung zu Fehlinterpretationen ein.
- 3. Das Justizbarometer will die Effizienz und Qualität anhand von quantitativen Indikatoren und dem Vorhandensein von Qualitätsmanagementinstrumenten messen. Die Reichweite richterlicher Unabhängigkeit wird anhand ihrer Wahrnehmung in der allgemeinen Öffentlichkeit und der von Unternehmerinnen und Unternehmern gemessen. Der Bundesrat stimmt mit der Kommission überein, dass es sich bei den dargestellten Werten zunächst nur um Indikatoren handelt. Die Wirksamkeit der Garantie richterlicher Unabhängigkeit lässt sich vornehmlich in ihrer Wahrnehmung durch die geschützte Richterschaft selbst bestimmen. Die Qualität eines Justizsystems zeigt sich letztlich vor allem in der Qualität seiner Sachentscheidungen; eine so gesehen "gute Justiz" ist ein Wert an sich, der nicht zahlenmäßig bestimmbar ist.
Ein vermeintlich schlechtes Abschneiden eines Mitgliedstaats im EU-Justizbarometer ist also von vornherein nur ein (allenfalls) begrenztes Indiz für einen bestehenden Mangel. Der im EU-Justizbarometer 2016 eingangs gegebene und vom Bundesrat befürwortete Hinweis, es handele sich nicht um ein "Ranking" der Justizsysteme, sowie die Forderung nach einer vertieften Analyse im Falle eines schlechten Ergebnisses können in Anbetracht der grafischen Gestaltung des Justizbarometers als Ganzem sowie der Einzelschaubilder den Eindruck des Bundesrates nicht entkräften, dass den Indikatoren eine ungerechtfertigt hohe Aussagekraft unterstellt wird. Durch die Einstellung des EU-Justizbarometers in das Europäische Semester wird diese Bedeutung, die dem EU-Justizbarometer trotz der Vorbehalte zukommt, unterstrichen.
Beispielhaft ist Schaubild 1 zu nennen, das unter der Überschrift "Kontext: Kontinuierliche Anstrengungen zur Verbesserung der Justizsysteme" nur die legislative Aktivität der Mitgliedstaaten abbildet, ohne dass die weiteren Schaubilder unter dieser Überschrift eine qualitative Beurteilung der mitgeteilten Reformen zuließen. Für Ansatzpunkte eines erstrebten Lernens der Mitgliedstaaten voneinander ist die Aussagekraft des Schaubildes nicht hinreichend.
Im EU-Justizbarometer 2015 hatte die Kommission, ihrem Bestreben folgend, kein Ranking vorzunehmen, die Schaubilder 14, 16 und 17 zur Dauer der Verfahren in verbraucher- und wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten alphabetisch sortiert. Im EU-Justizbarometer 2016 wurde diese Zurückhaltung zum Bedauern des Bundesrates aufgegeben und nunmehr - trotz des nach eigenem Bekenntnis nur begrenzt aussagekräftigen Datenmaterials - eine zahlenmäßig aufsteigende Ordnung vorgenommen.
Auch die Untersuchung von Fortbildungs- und Qualitätsmanagementinstrumenten (Schaubilder 34, 35, 37, 38) belässt es - wegen der fehlenden Vergleichbarkeit der Justizsysteme notwendigerweise - bei einer oberflächlichen Darstellung, ob entsprechende Einrichtungen vorhanden sind. Da die Eignung und die Qualität dieser Instrumente im Einzelnen naturgemäß nicht messbar und auch nicht vergleichbar sind, handelt es sich auch insoweit nur um Indizien mit sehr begrenztem Aussagegehalt.
Der Bundesrat hält die vergleichende Auflistung von Qualitätsmanagementinstrumenten zwar für ansatzweise geeignet, die Justizsysteme in ihren Bemühungen um Verbesserung zu vergleichen. Die Darstellung in Schaubild 38, welche die Mitgliedstaaten quantitativ nach der Zahl der verschiedenartigen Monitoring- und Evaluationssysteme ordnet, begegnet jedoch Bedenken. Es werden hier Indikatoren zur Art der Qualitätsmanagementinstrumente mit solchen zur Regelmäßigkeit ihrer Anwendung vermengt. Durch die kumulierende Art der Darstellung wird letztlich der Eindruck eines Rankings erzeugt. Eine klare inhaltliche Abgrenzung der einzelnen Indikatoren ist nicht erkennbar. Inhaltlich begegnen die in den Blick genommenen Instrumente zudem Bedenken. Zweifelhaft ist in Anbetracht der in Deutschland verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit der Wert des Vorhandenseins von Gerichtspersonal für die Qualitätssicherung. Auch die Aussagekraft des Indikators "Anzahl der vertagten Verfahren" ist nach Auffassung des Bundesrates für die Beurteilung der Qualität der Justiz fraglich, zumal er wiederum eine Vergleichbarkeit der unter diese Kategorie jeweils fallenden Fälle voraussetzt. Der Bundesrat hielte, wollte die Kommission daran festhalten, eine Darstellung wie in Schaubild 42 für zielführender.
- 4. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist der Bundesrat weiterhin der Auffassung, dass seitens der Kommission weitere Anstrengungen erforderlich sind, um dem selbst gesetzten Anspruch, objektive, zuverlässige und vergleichbare Daten zur Verfügung zu stellen, gerecht zu werden. Wünschenswert wäre die sorgfältige Überprüfung und Validierung der erhobenen Daten mit Hilfe rechtsvergleichender Definitionen der verwendeten Begrifflichkeiten und ausführlicher Erläuterung systembedingter Unterschiede unter Einbeziehung der nationalen Justizverwaltungen vor der Veröffentlichung des EU-Justizbarometers. Der Bundesrat empfiehlt der Kommission, einen zweijährlichen Veröffentlichungsturnus in Anlehnung an die CEPEJ-Methodik zu prüfen.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, seine Position bei den Verhandlungen im Rat zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass aus dem EU-Justizbarometer keine zusätzlichen Belastungen für die Justiz erwachsen.
- 6. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.