Der Bundesrat hat in seiner 956. Sitzung am 31. März 2017 gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass sich der Verordnungsvorschlag in der vorliegenden Form nicht auf eine für ein Tätigwerden der EU erforderliche Rechtsgrundlage stützen lässt. Der Vorschlag bedeutet einen Eingriff in das Recht der Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Nutzung ihrer Energieressourcen, ihre Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur ihrer Energieversorgung selbst zu bestimmen (Artikel 194 Absatz 2 Unterabsatz 2 AEUV). Die EU verfügt in diesem Bereich über keine umfassende Rechtsetzungs- und Harmonisierungskompetenz. Der Verordnungsvorschlag steht somit nicht im Einklang mit dem EUV.
- 2. Nach Auffassung des Bundesrates kann auch ein Verstoß gegen die Kompetenzordnung eine Subsidiaritätsrüge begründen (siehe hierzu zum Beispiel BR-Drucksache 390/07(B) , Ziffer 5; BR-Drucksache 043/10(B) , Ziffer 2; BR-Drucksache 646/11(B) , Ziffer 2; BR-Drucksache 608/13(B) , Ziffer 7). Der Grundsatz der Subsidiarität ist ein Kompetenzausübungsprinzip. Die Subsidiaritätsprüfung schließt daher eine Prüfung der Zuständigkeit der EU zwingend mit ein. Es wäre nicht vermittelbar, wenn die nationalen Parlamente zwar Verstöße gegen das Subsidiaritätsprinzip, nicht aber den noch schwerer wiegenden Eingriff in ihre Rechte, den EU-Vorgaben ohne eine entsprechende Kompetenz der EU darstellen, rügen könnten.
- 3. Artikel 11 des Verordnungsvorschlags schränkt den im deutschen Recht vorgesehenen generellen Einspeisevorrang für Strom aus erneuerbaren Energien ein. Die erhebliche Einschränkung des Einspeisevorrangs greift in das Recht Deutschlands, die Nutzung seiner Energieressourcen selbst zu bestimmen, ein (Artikel 194 Absatz 2 Unterabsatz 2 AEUV). Es besteht die Gefahr, dass die Einschränkung des Einspeisevorrangs die - gerade in Deutschland sehr erfolgreich verlaufende - Energiewende zum Erlahmen bringt. Dies widerspricht auch dem Ziel der Dekarbonisierung der Energieversorgung.
- 4. Die Kompetenzübertragung auf die Kommission für die Entscheidung über die Gebotszonenkonfiguration berührt das Recht Deutschlands, die allgemeine Struktur der Energieversorgung selbst zu bestimmen (Artikel 194 Absatz 2 Unterabsatz 2 AEUV). Die Entscheidung sollte vielmehr von den jeweils betroffenen Ländern gemeinsam auf Basis des Vorschlags der Übertragungsnetzbetreiber erfolgen. Die zu befürchtende Aufteilung bestehender Gebotszonen steht zudem im Widerspruch zum Ziel eines einheitlichen EU-Binnenmarktes.
- 5. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Errichtung regionaler Betriebszentren (ROC) als Ergänzung zu den bereits bestehenden Aufgaben der Übertragungsnetzbetreiber in der vorgeschlagenen Form entbehrlich ist, und lehnt diese ab. Die Kommission hat nicht dargelegt, weshalb es neben dem bereits existierenden Format des Verbandes Europäischer Übertragungsnetzbetreiber - ENTSO (Strom) - noch eines weiteren formellen Koordinierungsgremiums bedarf. Insbesondere wird nicht hinreichend belegt, dass die ROC zwingend mit autonomen Entscheidungskompetenzen auszustatten sind. Die von der Kommission behaupteten Wohlfahrtsgewinne durch eine solche Kompetenzverlagerung sind äußerst zweifelhaft. Es steht vielmehr zu befürchten, dass vollkommen unnötige Doppelstrukturen geschaffen werden, die letztlich zu Schwierigkeiten bei der Kompetenzabgrenzung sowie zu unklaren Letztverantwortlichkeiten und gravierenden Haftungsfragen führen. Insbesondere zentrale Versorgungssicherheitsaspekte sollten auch weiterhin von den einzelnen Mitgliedstaaten eigenständig bearbeitet werden können.
- 6. Soweit der Vorschlag auf eine Harmonisierung der Netzentgelte auf Verteilernetzebene zielt, ist der Bundesrat der Auffassung, dass eine solche Uniformisierung den Besonderheiten der vielen lokalen Verteilernetzbetreiber nicht gerecht werden kann. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Einfluss der Verteilnetzentgelte auf den Strompreis verhältnismäßig gering und im Übrigen örtlich begrenzt ist, so dass es im Regelfall bereits an jedweder grenzüberschreitenden Bedeutung fehlt. Die beschränkten Wirkungen der Verteilnetzentgelte auf die Strommärkte erfordern daher - auch zur Wahrung der Subsidiarität - kein europäisch koordiniertes Vorgehen. Besonders kritisch sieht der Bundesrat deshalb die geplante neue Ermächtigung der Kommission, verbindliche Leitlinien für die nationalen Verteilungstarifsysteme zu erlassen und insbesondere Netzkodizes für Verteilungstarifstrukturen vorzugeben. Gerade letztere lassen sich auf nationaler Ebene wesentlich besser schaffen als auf europäischer Ebene. Ihre Einführung stellt daher eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips (Artikel 5 EUV) dar. Beispielhaft für den Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip ist aus Sicht des Bundesrates auch Artikel 16 Absatz 9 des Verordnungsvorschlages zu nennen, der einen Bedarf an europäischer Harmonisierung zahlreicher Detailfragen suggeriert, der für die Verteilernetzebene in der Realität weder belegt ist noch besteht.