857. Sitzung des Bundesrates am 3. April 2009
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat erkennt die Bemühungen der Kommission, durch Intensivierung der praktischen Zusammenarbeit im Asylbereich eine einheitlichere Anwendung von EU-Asylrechtsregelungen zu erreichen und hierdurch insbesondere zur Minderung der Sekundärmigration von Asylbewerbern innerhalb der EU beizutragen, an. Er weist aber darauf hin, dass die Erforderlichkeit der Neuschaffung eines Unterstützungsbüros von der Kommission bislang nicht nachgewiesen wurde. Der Bundesrat bekräftigt deshalb seine zur Mitteilung über die künftige Asylstrategie (vgl. BR-Drucksache 452/08(B) ) und zum Grünbuch über das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem (vgl. BR-Drucksache 414/07(B) ) dargelegte Auffassung, dass unnötige und kostenintensive neue bürokratische Strukturen zu vermeiden sind und vielmehr bestehende Einrichtungen als Plattform einer verstärkten praktischen Zusammenarbeit genutzt werden sollten. In jedem Fall müssen Asylverfahren weiterhin in nationaler Verantwortung betrieben werden.
- 2. Der Vorschlag zur Einrichtung des Unterstützungsbüros steht im Widerspruch zu der grundsätzlichen Haltung des Bundesrates über die Errichtung europäischer Agenturen (vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 4. Juli 2008 (BR-Drucksache 228/08(B) ) zur Mitteilung der Kommission über "Europäische Agenturen - Mögliche Perspektiven"). Auch beim Unterstützungsbüro ("als Regulierungsagentur") handelt es sich in Anbetracht seiner Struktur und seines Aufgabenbereichs in der Sache um eine (anders genannte) Agentur. Im Hinblick darauf unterstreicht der Bundesrat seine Besorgnis über die steigende Anzahl von EU-Gemeinschaftsagenturen, deren Anzahl seit dem Jahr 2000 um mehr als das Doppelte angewachsen ist. Die ausufernde Gründung und Aufgabenerweiterung von Agenturen widerspricht klar den Zielen der Lissabon-Strategie nach Bürokratieabbau und Deregulierung. Gemeinschaftsagenturen dürfen nach Auffassung des Bundesrates nur in begründeten Ausnahmefällen und nur nach Prüfung ihrer Notwendigkeit (Mehrwert) und von Alternativen im Hinblick auf Deregulierung, Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit (Kosten-Nutzen-Analyse) und Konzentration eingerichtet werden. Dies wird in dem Kommissionsvorschlag nicht nachgewiesen.
- 3. Der Bundesrat hebt hervor, dass zunächst - insbesondere im Rahmen einer Machbarkeitsstudie - die Nutzung bestehender Strukturen bei der praktischen Zusammenarbeit untersucht werden muss. Hierzu stellt der Bundesrat fest, dass die von der Kommission (in der Mitteilung der Kommission vom 11. März 2008, KOM (2008) 135 endg.) angekündigte Machbarkeitsstudie für die Einrichtung des Unterstützungsbüros, insbesondere auch zu den Strukturen der praktischen Zusammenarbeit, bislang nicht vorgelegt wurde. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Kommission zunächst eine Kosten-Nutzen-Analyse vorlegt, die auch andere Möglichkeiten der Verbesserung der praktischen Zusammenarbeit mit einbezieht.
- 4. Für den Fall, dass die Einrichtung des Unterstützungsbüros als EU-Agentur nicht verhindert werden kann, fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, sich in den Verhandlungen auf EU-Ebene hilfsweise für die folgenden Belange einzusetzen:
- - Die nationale Verantwortung für Asylverfahren darf nicht durch direkte oder indirekte Einflussnahmen der Regulierungsagentur ausgehöhlt werden. Der Bundesrat legt Wert darauf, dass der Kommissionsvorschlag zumindest seiner Forderung, ein Unterstützungsbüro mit keinen Entscheidungs-, Weisungs- oder Kontrollrechten auszustatten, Rechnung trägt. Er bekräftigt, dass die Aufgabenzuweisung und -wahrnehmung des Unterstützungsbüros in keinem Fall die Kompetenzen der Mitgliedstaaten beim Vollzug des Asylrechts beschränken darf. Dies gilt vor allem für die Bewertung der Herkunftslandinformationen auf der Grundlage der europäischen und einzelstaatlichen Asylvorschriften, die ohnehin nur im Einklang mit den Vorgaben der nationalen Rechtsprechung erfolgen kann. Zudem darf mit Fachdokumentationen (Leitlinien und Handbücher) zur Anwendung der Gemeinschaftsinstrumente (siehe Artikel 12 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags) und über die Inhalte eines europäischen Schulungsprogramms (siehe Artikel 6 des Vorschlags) auch kein indirekter Eingriff oder Anpassungsdruck auf die nationale Asylpraxis ausgeübt werden.
- - Zur vorgesehenen Entsendung von Asyl-Unterstützungsteams in besonders belastete Mitgliedstaaten weist der Bundesrat darauf hin, dass die herausgehobene Stellung eines Unterstützungsbüros bei der Vorbereitung einer - vom Bundesrat abgelehnten (siehe Stellungnahme des Bundesrates zum Vorschlag der Neufassung der Dublin-Verordnung vom 13. Februar 2009, BR-Drucksache 965/08(B) ) - Entscheidung über die Aussetzung des Dublin-Systems bei besonderen Belastungssituationen in einem Mitgliedstaat erheblichen Bedenken begegnet.
- 5. - Die enge Zusammenarbeit des Unterstützungsbüros mit anderen Akteuren im Asylbereich, insbesondere dem UNHCR, muss im Hinblick auf die Mitgliedschaft externer Stellen in den Organen der Agentur, die Planungs- und Überwachungsaufgaben wahrnehmen (siehe Artikel 27 und 30 des Vorschlags), wegen des Erfordernisses der Unabhängigkeit der Einrichtung, dem die Kommission hohe Bedeutung beimisst (siehe Erwägungsgrund Nummer 8 des Vorschlags), kritisch gesehen werden.
- - Der Bundesrat spricht sich dagegen aus, hinsichtlich der vorgesehenen unabhängigen externen Bewertung der erzielten Ergebnisse des Unterstützungsbüros nach drei Jahren (siehe Artikel 45 des Vorschlags) bereits jetzt den Bewertungsauftrag inhaltlich dahingehend zu definieren, dass dabei auf die Notwendigkeit einer Ausweitung des Aufgabenbereichs des Büros eingegangen werden soll. Die Festschreibung eines solchen Untersuchungsauftrags beinhaltet die vom Bundesrat abgelehnte Möglichkeit, ohne Ansehung der mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten die Übertragung von Weisungs- und Entscheidungsbefugnissen an das Unterstützungsbüro zu fordern. Der Bundesrat steht einer Ausweitung der Aufgaben des Unterstützungsbüros nach seiner Errichtung kritisch gegenüber. Die Entscheidung über die Befugnisse des Unterstützungsbüros ist und bleibt in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.