Der Bundesrat hat in seiner 846. Sitzung am 4. Juli 2008 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Mitteilung der Kommission als einen wichtigen Schritt hin zu einem transparenten Konzept über einheitliche Rahmenbedingungen für EU-Agenturen. Ziel sollte es auch sein, ein inhaltliches Gesamtkonzept über die Rolle und denkbare Aufgaben von Agenturen in der EU zu erreichen.
- 2. Er sieht in der von der Kommission angekündigten Einsetzung einer interinstitutionellen Arbeitsgruppe mit dem Ziel, einheitliche Vorgaben für Errichtung, Organisationsstruktur, Arbeitsweise und Kontrolle europäischer Regulierungsagenturen zu entwickeln, einen tragfähigen Ansatz, die festgefahrene Debatte über diese Schlüsselfragen neu zu beleben.
- 3. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Kommission bereits 2005 eine verbindliche Formulierung von Rahmenbedingungen für Regulierungsagenturen im Wege einer interinstitutionellen Vereinbarung zwischen Rat, Europäischem Parlament und Kommission vorgeschlagen hat. Er bedauert, dass die Arbeiten hierzu auch nach intensiven Bemühungen zuletzt der deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 ergebnislos abgebrochen worden sind. Vor diesem Hintergrund nimmt er die Absicht der Kommission zur Kenntnis, den Vorschlag einer interinstitutionellen Vereinbarung zurückzuziehen. Ungeachtet dessen hält er die dort aufgeworfenen Fragen für eine nützliche Orientierungshilfe für die anstehenden Bemühungen der interinstitutionellen Arbeitsgruppe nach einheitlichen Grundsätzen zur Errichtung und zum Betrieb von Agenturen.
- 4. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Entwurf einer Interinstitutionellen Vereinbarung ruft der Bundesrat Kommission, Rat und Europäisches Parlament auf, zunächst über gemeinsame Leitlinien für die Errichtung und die Ausgestaltung von Agenturen Einvernehmen zu erzielen. Die Frage, welcher rechtliche Rahmen für die Formulierung allgemeiner Vorschriften am zweckmäßigsten erscheint, sollte zugunsten möglichst zeitnaher Fortschritte erst am Ende der interinstitutionellen Debatte stehen.
- 5. Der Bundesrat zeigt sich erfreut, dass die Kommission seine Auffassung teilt, wonach auch die bereits bestehenden Agenturen einer externen Überprüfung, insbesondere in Bezug auf die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit, die transparente Durchführung ihrer Aufgaben sowie die Einstellungspolitik für Personal, bis 2009/2010 zu unterziehen sind (Stellungnahme des Bundesrates vom 14. März 2008, BR-Drucksache 134/08(B) ). Er begrüßt insbesondere, dass die Kommission bereits in Aussicht stellt, im Lichte der Überprüfung gegebenenfalls auch Änderungen des jeweiligen Gründungsrechtsaktes von bereits bestehenden Agenturen vorzuschlagen. Der Bundesrat fordert die Kommission in diesem Zusammenhang auf, auch die Auflösung bzw. Zusammenlegung mit anderen Agenturen als ernsthafte Handlungsoption zu verfolgen.
- 6. Allerdings weist der Bundesrat die in diesem Zusammenhang gemachte Ankündigung der Kommission, bis zum Abschluss der Evaluierungsarbeiten keine neuen Vorschläge für Gemeinschaftsagenturen mit Ausnahme der bereits in der Diskussion befindlichen Vorschläge zur Errichtung neuer Agenturen, zum Beispiel in den Bereichen Energie, Telekommunikation und Asyl, vorzulegen, als in sich widersprüchlich und kontraproduktiv zu ihren eigenen Evaluierungsbemühungen zurück. Der von der Kommission zu Recht konstatierte Klärungsbedarf betrifft diese Agenturen in gleicher Weise wie die bereits bestehenden Agenturen. Der Bundesrat bittet daher die Kommission, auch bereits vorgeschlagene, aber noch nicht errichtete Agenturen in den angekündigten "Agenturenstopp" einzubeziehen. Im Übrigen bekräftigt der Bundesrat seine ablehnende Haltung gegenüber der Gründung von Agenturen in den Bereichen Energie, Telekommunikation und Asyl auch in der Sache (BR-Drucksachen 673/07(B) ; 863/07(B) und 414/07(B) ).
- 7. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission in ihrer Mitteilung zwischen Regulierungsagenturen und Exekutivagenturen unterscheidet. Der Bundesrat ist allerdings der Auffassung, dass nicht nur bei den Regulierungsagenturen, sondern auch bei den Exekutivagenturen Klärungsbedarf besteht. Daher fordert der Bundesrat ebenfalls deren Überprüfung. Er bekräftigt in diesem Zusammenhang seine Auffassung, wonach Exekutivagenturen nur ausnahmsweise zur EU-weiten Durchführung von Gemeinschaftsprogrammen eingesetzt werden sollten, wenn dadurch deren Verwaltung stark vereinfacht werden kann. Die Ausführung von EU-Recht sollte grundsätzlich auch unter dem Aspekt der Bürgernähe den einzelnen Mitgliedstaaten mit ihren jeweiligen zuständigen Ebenen vorbehalten bleiben.
Kritik am Status quo
- 8. Der Bundesrat ist besorgt über die steigende Anzahl von EU-Gemeinschaftsagenturen in den letzten Jahren. Seit 2000 ist ihre Anzahl von zwölf auf heute 23 (durch Verordnung des europäischen Gesetzgebers eingerichtete Gemeinschaftsagenturen der 1. Säule) bzw. 29 (einschließlich der sechs durch den Rat auf Grundlage des EUV eingerichteten Agenturen der 2. und 3. Säule) um mehr als das Doppelte angewachsen. Die ausufernde Gründung und Aufgabenerweiterung von Agenturen widerspricht klar den Zielen der Lissabon-Strategie nach Bürokratieabbau und Deregulierung.
- 9. Personalplanstellen und Gesamthaushalt der Agenturen sind in den vergangenen Jahren deutlich aufgestockt worden. Im Haushalt 2008 verfügen gemäß Anhang der Mitteilung (SEC(2008) 323) die 23 Gemeinschaftsagenturen der 1. Säule über ein Gesamtbudget von 1,1 Mrd. € (davon Zuschuss aus dem Gemeinschaftshaushalt ca. 526 Mio. €) bei 3729 Stellen. Der Bundesrat sieht darin das Risiko, dass die Exekutivfunktion der Kommission ausgehöhlt und in eine Fülle von Einrichtungen aufgesplittert wird. Der Bundesrat nimmt dabei zur Kenntnis, dass die Kommission die ihr zugewiesenen materiellen und personellen Ressourcen aus Rubrik 5 des Mehrjährigen Finanzrahmens dadurch zu erweitern sucht, dass sie einen zunehmenden Anteil des Personals durch die Einrichtung von Agenturen auslagert.
- 10. Zwar sind zahlreiche Agenturen explizit mit der Begründung einer Arbeitsentlastung der Kommission von operativen und regulativen Tätigkeiten geschaffen worden, der Bundesrat kann allerdings nicht feststellen, inwiefern es im Gegenzug auf Kommissionsseite zu einem entsprechenden Abbau oder nachvollziehbaren Einsatz des Personals in neuen Tätigkeitsfeldern gekommen ist. Nach Berechnungen der deutschen Ratspräsidentschaft vom Juni 2007 sind beispielsweise bei der Auslagerung der Durchführung von EU-Programmen auf Exekutivagenturen lediglich 20 Prozent der durch die Auslagerung auf die Agentur freigewordenen Stellen bei der Kommission auch tatsächlich eingespart worden.
- 11. Der Bundesrat bemängelt, dass es bislang an klaren und nachvollziehbaren Begründungserfordernissen für die Errichtung von Agenturen fehlt. Zwar haben sich EU-Agenturen insbesondere bei der Weiterentwicklung des EU-Binnenmarktes zumindest teilweise als sinnvolles Instrument bewährt, allerdings ist es gerade in jüngster Zeit in anderen Bereichen zu problematischen Neugründungen gekommen. Ergebnis ist ein Wildwuchs unterschiedlichster Einrichtungen, ohne dass ihr Mehrwert immer erkennbar ist.
- 12. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, bei der beginnenden interinstitutionellen Debatte folgende Punkte gegenüber der Kommission und dem Europäischen Parlament zu vertreten:
Grundsätze für die Neugründung und Ausweitung des Mandats von Gemeinschaftsagenturen
- 13. Der Bundesrat bekräftigt seine Auffassung, wonach Gemeinschaftsagenturen nur in begründeten Ausnahmefällen und nur nach Prüfung ihrer Notwendigkeit und von Alternativen im Hinblick auf Deregulierung, Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und Konzentration eingerichtet werden sollten (Stellungnahme vom 27. Mai 2005, BR-Drucksache 168/05(B) ). Gleiches gilt in Fällen der Ausweitung des Mandats bereits bestehender Agenturen.
- 14. Der Bundesrat fordert, dass jeder Vorschlag zur Errichtung einer Agentur von einer ausführlichen externen Kosten-Nutzen-Bewertung und einer genauen Folgenabschätzung begleitet wird. Darin muss klar zum Ausdruck kommen, dass die Agenturlösung im Vergleich zur Wahrnehmung der jeweiligen Aufgaben durch die Dienststellen der Kommission einen Mehrwert aufweist. Neben der Prüfung, ob im Sinne des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips ein administratives Handeln der Gemeinschaft überhaupt angezeigt ist und hierfür nicht auch andere Maßnahmen als die Errichtung einer Agentur in Betracht kommen können, sollte auch eine möglichst genaue Vorab-Bewertung des voraussichtlichen Kostenaufwands für Kontrolle und Koordinierung sowie der benötigten Verwaltungs- und Personalressourcen vorgenommen werden.
- 15. Ein kompetenzrechtlicher Rückgriff auf das Verfahren des Artikels 308 EGV sollte in Zukunft vermieden werden.
- 16. Der Bundesrat betont die Notwendigkeit nach strikter Einhaltung der haushaltspolitischen Grundsätze der Sparsamkeit und Ausgabendisziplin bei der Verwendung von personellen und finanziellen Ressourcen durch Agenturen. Insbesondere der in den letzten Jahren zu beobachtende Anstieg der Ausgaben bei bereits eingerichteten Agenturen ist vor dem Hintergrund der umfassenden Sparanstrengungen der öffentlichen Haushalte der Mitgliedstaaten nicht länger vertretbar.
- 17. Der Bundesrat fordert, dass die Mandate der einzelnen Agenturen eindeutig im Gründungsrechtsakt der Agentur festgelegt werden, um Doppelstrukturen zwischen unterschiedlichen Agenturen zu verhindern. Zudem muss vermieden werden, dass Agenturen und die Generaldirektionen der Kommission, die in denselben Themenbereichen tätig sind, bei doppelter personeller und finanzieller Ausstattung dieselbe Arbeit leisten.
- 18. Der Bundesrat fordert zudem, dass die Entscheidung über den endgültigen Sitz einer Agentur fester Bestandteil des ihr zugrunde liegenden Gründungsrechtsakts sein muss. Dabei sollte nicht der Proporz unter den Mitgliedstaaten als maßgebliches Kriterium bei der Sitzentscheidung herangezogen werden, sondern die Effizienz und Effektivität der Arbeit der Agentur bei der konkreten Ansiedlung vor Ort.
- 19. In organisatorischer Hinsicht sollten die Agenturen unter Berücksichtigung der Tätigkeitsschwerpunkte in größtmöglichem Maße vereinheitlicht werden. In Fällen, in denen die Aufgabenstellung einer Agentur nicht zwingend die Mitwirkung aller Mitgliedstaaten erfordert, sollte die Größe der Verwaltungsräte aus Gründen der Effizienz und der Sicherung seiner Arbeitsfähigkeit auf ein angemessenes Maß reduziert werden. Dabei betont der Bundesrat, dass das Mitbestimmungsrecht der Mitgliedstaaten auch in diesen Fällen gewahrt bleiben muss. Eine Besetzung der Verwaltungsräte mit Vertretern der Mitgliedstaaten nach den Rotationsbestimmungen des Vertrags von Lissabon, welche die Anzahl der EU-Kommissare reduzieren sollen, wäre hier eine mögliche Alternative.
- 20. Bei der Entscheidung über das Sprachregime einer Agentur muss Deutsch in vollem Umfang berücksichtigt werden. Der Bundesrat spricht sich in diesem Zusammenhang nachdrücklich dafür aus, dass Deutsch bei den Internetauftritten der einzelnen Agenturen eine gleichberechtigte Rolle neben Englisch und Französisch einnimmt.
- 21. Der Bundesrat fordert, dass bei allen Neugründungen geprüft wird, ob die Existenz der betreffenden Agentur zeitlich begrenzt werden kann. Im Falle einer zeitlichen Begrenzung sollte eine Verlängerung des jeweiligen Mandats einer Agentur einer separaten Entscheidung von Rat und Parlament auf Grundlage einer ausführlichen Überprüfung ihrer bisherigen Tätigkeit und weiteren Notwendigkeit vorbehalten bleiben. Insbesondere sollte hier die Möglichkeit der Rückeingliederung ihrer Aufgaben in die Kommission, die Verlagerung ihrer Arbeiten auf die Ebene der Mitgliedstaaten oder die Fusion mit anderen Agenturen zu prüfen sein.
Kontrolle und Haushalt von Gemeinschaftsagenturen
- 22. Die Gründungsakte sollen auch angemessene und einheitliche Systeme zur Kontrolle der Agenturen durch die Organe der EU und der Mitgliedstaaten vorsehen. Dabei wäre insbesondere regelmäßig an eine unmittelbare Unterstellung der Agenturen unter die Aufsicht des fachlich zuständigen Kommissionsmitglieds zu denken. Über die Tätigkeit der Agenturen, deren Kontrolle durch die Kommission und deren Evaluierung soll die Kommission in angemessenem Umfang und zeitlichen Abstand dem Europäischen Parlament und dem Rat berichten.
- 23. Daneben sollten auch umfassende Rechtsschutzregelungen gegenüber Handlungen und Entscheidungen der EU-Agenturen gefunden werden (BR-Drucksache 134/08(B) ).
- 24. Darüber hinaus ist eine effektive und transparente Kontrolle der Finanzierung der Agenturen zu gewährleisten. Insoweit sollten alle Agenturen vollständig in den Gesamthaushalt der EU integriert sowie einer einheitlichen Haushaltsführung und Finanzkontrolle unterworfen werden.
- 25. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.