COM (2018) 391 final; Ratsdok. 9606/18
971. Sitzung des Bundesrates am 19. Oktober 2018
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Finanzausschuss (Fz) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLwie folgt Stellung zu nehmen:
A
Konzept des Wi-Ausschusses
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, mit dem vorgelegten Vorschlag für ein Reformhilfeprogramm die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) zu stärken.
- 2. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Verantwortung für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit vor allem bei den Mitgliedstaaten selbst liegt. Er sieht es vor diesem Hintergrund als entscheidend an, dass mit einem Reformhilfeprogramm den Mitgliedstaaten nicht der Anreiz genommen wird, aus eigenem Antrieb heraus Strukturreformen auf den Weg zu bringen und umzusetzen.
- 3. Der Bundesrat ist zudem der Ansicht, dass bei der Ausgestaltung des Reformhilfeprogramms insbesondere auf die Vermeidung von Mitnahmeeffekten zu achten ist. Im Hinblick auf eine Evaluation der Kommission, nach der im Zeitraum 2011 bis 2017 etwa 70 Prozent der länderspezifischen Empfehlungen zumindest teilweise auf nationaler Ebene umgesetzt wurden, auch ohne dass dafür Mittel aus einem Reformhilfeprogramm gezahlt worden wären, äußert der Bundesrat die Besorgnis, dass die starke Nachfrage nach Mitteln aus dem derzeit laufenden Programm zur Unterstützung für Strukturreformen ("Structural Reform Support Programme") auch auf Mitnahmeeffekten beruhen könnte, das heißt, dass Reformen finanziell unterstützt werden, die auch ohne das Programm durchgeführt worden wären.
- 4. Das von der Kommission vorgeschlagene Reformhilfeprogramm sieht der Bundesrat vor diesem Hintergrund kritisch. Einen Mehrwert kann er allenfalls in dem Instrument für technische Unterstützung, aus dem reformwillige Mitgliedstaaten technischadministrative Unterstützung durch den "Structural Reform Support Service" der Kommission oder durch andere Anbieter technischer Unterstützung erhalten können, erkennen.
- 5. Der Bundesrat lehnt das Reformumsetzungsinstrument ab. Er befürchtet, dass damit ein negativer Gesamteffekt auf Strukturreformen in der WWU verbunden sein kann, weil es Anreize setzt, Reformen möglichst nur gegen finanzielle Zuwendung zu unternehmen (hohe Wahrscheinlichkeit von Mitnahmeeffekten) bzw. aus eigenem Antrieb heraus zu unterlassen.
- 6. Die Schaffung eines weiteren Förderinstruments für Mitgliedstaaten, die der Eurozone beitreten wollen ("Konvergenzfazilität"), lehnt der Bundesrat ab. Er hält es nicht für erforderlich, eine künstliche Dynamik zum Beitritt zur Eurozone zu erzeugen, weil die Mitgliedschaft in der Eurozone bereits genug Anreize für Strukturreformen bieten sollte.
B
Konzept des EU-Ausschusses
- 7. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission der Durchführung von wachstumsfördernden Strukturreformen in den Mitgliedstaaten hohe Priorität einräumt.
- 8. Der Bundesrat sieht einen Mehrwert des von der Kommission vorgelegten Reformhilfeprogramms allenfalls im Instrument für technische Unterstützung, aus welchem reformwillige Mitgliedstaaten technischadministrative Unterstützung durch den "Structural Reform Support Service" der Kommission oder durch andere Anbieter technische Unterstützung erhalten können. Er schlägt vor, das Programm lediglich zu verlängern und nicht in ein Reformhilfeprogramm zu integrieren.
- 9. Der Bundesrat betont, dass es im Eigeninteresse der Mitgliedstaaten liegt, die Widerstandsfähigkeit und das Wachstum ihrer Volkswirtschaften durch die Umsetzung von Strukturreformen zu stärken. Die Einführung des Reformhilfeinstruments, welches auf europäischer Ebene finanzielle Anreize für die Umsetzung von Strukturreformen in den einzelnen Mitgliedstaaten setzt, wird daher abgelehnt.
- 10. Der Bundesrat befürchtet, dass die im Rahmen des Reformumsetzungsinstruments gewährten Mittel ausschließlich Mitnahmeeffekten unterliegen werden. Die Zusätzlichkeit der Maßnahmen kann nicht geprüft werden.
Eine Vielzahl von im Europäischen Semester angeregten Reformen, die im Eigeninteresse der jeweiligen Mitgliedstaaten liegen, könnten durch das Reformhilfeinstrument erst gegen eine Belohnungszahlung der umgesetzt werden, auch wenn deren Umsetzung ohnehin vorgesehen war. Der Bundesrat ist daher besorgt, dass das Reformhilfeprogramm in der geplanten Form sogar einen negativen Gesamteffekt auf Strukturreformen in der Wirtschafts- und Währungsunion haben kann. Das Programm setzt Anreize, geplante Reformen zu verschieben, bis diese im Rahmen des Programms genehmigt sind und deren Umsetzung mit einer Finanzhilfe verbunden ist. Des Weiteren können nationale Entscheidungsträger mangelnden Reformeifer mit einer ungenügenden Förderung durch die begründen.
- 11. Soweit die Kommission finanzielle Anreize zur Überwindung hoher politischer Kosten von unpopulären, aber notwendigen Strukturreformen in ihre Erwägungsgründe einbezieht, hält der Bundesrat ein solches Kalkül für ungerecht gegenüber denjenigen Mitgliedstaaten, die Reformen bereits mit eigenen Anstrengungen ohne Reformhilfen der umgesetzt haben.
- 12. Der Bundesrat stellt fest, dass die Finanzhilfen wesentlich an Maßnahmen zur Umsetzung des Europäischen Semesters geknüpft sein sollen. Indes bleibt es unklar, welche konkreten Maßnahmen gefördert werden sollen und welche Wirkung diese Maßnahmen erzielen sollen. Damit zusammenhängend bleiben die Bewertungsmaßstäbe, welche für die Wirksamkeit von spezifischen Reformen vorgesehen sind, vage und intransparent und erlauben der Kommission einen zu großen Auslegungsspielraum. Es muss vermieden werden, dass die Kommission durch die Nutzung von Bewertungsspielräumen gestaltend in nationale Politiken eingreifen kann.
- 13. Der Bundesrat sieht in der Finanzierung von Reformen der Mitgliedstaaten außerdem die Gefahr der unmittelbaren Einflussnahme der Kommission auf nationale Reformbemühungen. Diese Sorge ist insbesondere darin begründet, dass die Finanzierungshilfen an Reformvorschläge zu Herausforderungen gekoppelt sind, die im Europäischen Semester identifiziert wurden.
- 14. Weder dem Grunde noch der Höhe nach ist eine ausreichende Begründung ersichtlich für die Notwendigkeit der vorgeschlagenen Mittel für das Reformumsetzungsinstrument und den Teil der Konvergenzfazilität, der finanzielle Anreize für vorbereitende Maßnahmen zu einem Euro-Beitritt vorsieht.
- 15. Der Bundesrat weist darauf hin, dass dem EU-Haushalt die Mittel für das Reformhilfeprogramm an anderer Stelle fehlen würden, um gemeinschaftliche Prioritäten zu finanzieren. Hierzu gehören insbesondere Konvergenzbemühungen im Rahmen der Strukturfonds und die Ertüchtigung der Funktionsfähigkeit des EU-Binnenmarktes. Dort sind ungleich stärkere Effekte im Sinne der Konvergenz der Mitgliedstaaten zu erwarten.
- 16. Den Vorschlag zur Schaffung eines eigenständigen Reformumsetzungsinstruments für nationale Reformen zum Beispiel an den Produkt- und Arbeitsmärkten, im Steuer- oder im Bildungsbereich sieht der Bundesrat auch deswegen kritisch, weil davon auszugehen ist, dass die für diesen Fonds vorgesehenen Mittel durch die vorgeschlagene Mittelkürzung bei den ESI-Fonds finanziert werden sollen. Strukturreformen können aber nur nachhaltig wirken, wenn sie vor Ort von gezielten strukturpolitischen Maßnahmen (wie zum Beispiel Innovationsförderung und KMU-Förderung) flankiert werden, wie sie gerade die Kohäsi-onspolitik fördert. Die Kohäsionspolitik teilt die Ziele des Reformhilfeprogramms und trägt in wesentlichem Maße zum Zusammenhalt in Europa bei.
- 17. Das Programm impliziert die Gefahr des Aufwuchses der Verwaltung eines Mitgliedstaats. Damit zusammenhängend besteht die Gefahr einer weiteren Abhängigkeit von Finanzhilfen.
- 18. Die Schaffung eines weiteren Förderinstruments für Mitgliedstaaten, die der Eurozone beitreten wollen ("Konvergenzfazilität"), lehnt der Bundesrat ab. Er hält es nicht für erforderlich, eine künstliche Dynamik zum Beitritt zur Eurozone zu erzeugen, weil die Mitgliedschaft in der Eurozone bereits genug Anreize für Strukturreformen bieten sollte.
- 19. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
C
Konzept des Fz-Ausschusses
- 20. Der Bundesrat bekräftigt seine Haltung, grundsätzlich den Ansatz der Kommission zu unterstützen, notwendige Strukturreformen im Zusammenhang mit dem Europäischen Semester künftig stärker über positive Anreize als über Sanktionen zu befördern (BR-Drucksache 543/18(B) , Ziffer 52).
- 21. Er begrüßt, dass die Kommission der Durchführung von wachstumsfördernden Strukturreformen in den Mitgliedstaaten hohe Priorität einräumt.
- 22. In dem von der Kommission vorgelegten Reformhilfeprogramm sieht der Bundesrat einen Mehrwert, insbesondere im Instrument für technische Unterstützung, aus welchem reformwillige Mitgliedstaaten technischadministrative Unterstützung durch den "Structural Reform Support Service" der Kommission oder durch andere Anbieter technische Unterstützung erhalten können.
- 23. Grundsätzlich sieht der Bundesrat es im wohlverstandenen Eigeninteresse jedes Mitgliedstaats, notwendige Strukturreformen durchzuführen. Eine Vielzahl solcher Reformen ist im Rahmen des Europäischen Semesters angeregt und wartet auf ihre Umsetzung. Dabei können finanzielle Anreize seitens der zur Überwindung hoher politischer Kosten von unpopulären, aber notwendigen Strukturreformen beitragen.
- 24. Um die Widerstandsfähigkeit und das Wachstum der gesamten Union zu verbessern, kann die Unterstützung und Beschleunigung dieser Reformen durch finanzielle Anreize über ein Reformhilfeinstrument auf der Ebene der sinnvoll sein und einen echten Mehrwert für die gesamte Union bieten.
- 25. Der Bundesrat sieht das Risiko von Mitnahmeeffekten. Er bittet, bei der Umsetzung darauf zu achten, möglichen Missbrauch zu minimieren und vor allem zusätzliche Maßnahmen zu finanzieren.
D
- 26. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat darüber hinaus, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLwie folgt Stellung zu nehmen:
Der Bundesrat bekräftigt seine Forderung, dass in der Förderperiode 2021 bis 2027 die Finanzierung von Maßnahmen zur Unterstützung von Reformzusagen der Mitgliedstaaten nicht zu Lasten der in geteilter Mittelverwaltung umgesetzten ESI-Fonds und der damit einhergehenden regionalen Gestaltungsfreiheit bei der Programmierung der Mittel erfolgen darf.
E
- 27. Der Gesundheitsausschuss und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLKenntnis zu nehmen.