Der Bundesrat hat in seiner 873. Sitzung am 9. Juli 2010 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat misst dem Grünbuch "Erschließung des Potenzials der Kultur- und Kreativindustrien" hohe Bedeutung bei, weil es als Schwungrad für die in den Mitgliedstaaten und Regionen laufende Diskussion und als Auftakt eines Nachdenkens darüber dienen kann, welche ergänzenden Maßnahmen auf EU-Ebene sinnvoll und notwendig sind, um die optimale Entwicklung der Branche zu erreichen.
- 2. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass das Grünbuch viele Leitgedanken der im Mai 2007 unter deutscher Präsidentschaft vom Rat verabschiedeten Schlussfolgerungen zum Beitrag des Kultur- und Kreativbereichs zur Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Strategie aufnimmt, an denen die Länder maßgeblich mitgewirkt haben. Das Grünbuch, wie schon die Schlussfolgerungen des Rates, war dabei der Erkenntnis verbunden, dass es eines vertieften Zusammenwirkens von Kultur- und Wirtschaftspolitik auf allen Ebenen bedarf, um das Potential der Kultur- und Kreativindustrien auszuschöpfen.
- 3. Das Grünbuch fällt in eine Zeit des Übergangs, in der sich die EU neue ehrgeizige Ziele setzt (Europa 2020), und beschreibt den engen Zusammenhang zum Kultursektor. Der Bundesrat unterstreicht diese Verbindung und unterstützt in diesem Zusammenhang die Auffassung des Rates, den Bereich von Kultur und Kreativität in der Europa-2020-Strategie stärker zu berücksichtigen.
- 4. Der Bundesrat unterstreicht in diesem Zusammenhang den im Grünbuch zutreffend herausgearbeiteten Beitrag der Kultur zu anderen Politikfeldern (sogenannte externe Effekte), vor allem zur Förderung der Kreativität, zur Intensivierung des Innovationsgeschehens in Europa und zur Steigerung der Attraktivität der Regionen und Städte.
- 5. Der Bundesrat würdigt das dem Grünbuch zugrunde liegende umfassende Verständnis des Bereichs von Kultur und Kreativität "ungeachtet ihres potentiellen kommerziellen Wertes". Dieses Verständnis wird der Tatsache gerecht, dass kulturelle Produkte und Dienstleistungen von denselben Akteuren in ökonomisch unterschiedlicher Form erbracht werden. Es schließt etwa die Bewahrung des kulturellen Erbes und auch solche kulturellen Dienste und Produkte ein, die im Rahmen des öffentlichen Bildungsauftrages die heranwachsende Generation an das kulturelle Erbe heranführen und zur Nutzung erst befähigen.
- 6. Der Bundesrat unterstreicht die zentrale Rolle, die das Grünbuch den Chancen und Risiken der Digitalisierung in Bezug auf den Bereich von Kultur und Kreativität beimisst. Er erwartet von der Kommission für Fragen, die nur sinnvoll auf europäischer Ebene beantwortet werden können, etwa dem geistigen Eigentum oder der Digitalisierung des gemeinsamen kulturellen Erbes, konkrete Initiativen.
- 7. Der Bundesrat weist darauf hin, dass den meist freiberuflich tätigen Urhebern und Interpreten als schöpferischem Kern der Kreativwirtschaft besondere Bedeutung zukommt. Ungeachtet ihrer herausragenden Rolle als Produzenten kultureller Inhalte und unabhängig von ihrer künstlerischen Exzellenz leben insbesondere viele Künstlerinnen und Künstler in wirtschaftlich prekären Verhältnissen. Der angekündigten Leitinitiative der Kommission im Bereich des intellektuellen Eigentums sieht der Bundesrat auch aus dieser Perspektive mit Erwartung entgegen.
- 8. Positiv nimmt der Bundesrat auch Kenntnis von Initiativen der Kommission im Bereich der grenzüberschreitenden Mobilität für den Bereich von Kultur- und Kreativität. Mobilität trägt zur Entwicklung kreativer und künstlerischer Fähigkeiten ebenso bei wie zur besseren Markterschließung. Auch hier kommt den kleinen und kleinsten Unternehmen sowie den Urhebern und Interpreten besondere Bedeutung zu, weil die Hindernisse für diese Gruppen am größten sind.
- 9. Der Bundesrat weist darauf hin, dass der im Grünbuch als Problem herausgehobene schwierige Zugang zu Finanzmitteln und Risikokapital auf die Kulturschaffenden in besonderem Maße zutrifft. Auch wenn einzelne Mitgliedstaaten und Regionen in Europa bereits innovative Finanzierungswege beschritten haben (z.B. Mikrokreditprogramme), so sind diese Finanzierungsquellen gerade für den schöpferisch tätigen Kern der Kreativwirtschaft oft nur eingeschränkt zugänglich.
- 10. Der Bundesrat unterstreicht die im Grünbuch für den kreativen Kern der Kulturwirtschaft, besonders für die Ein-Personen-Unternehmen, Freiberufler sowie Künstlerinnen und Künstler betonte Notwendigkeit verstärkter Qualifizierung. Schwerpunkt ist hier die Professionalisierung nach Abschluss von Ausbildung oder Studium im Bereich unternehmerisch relevanter Kenntnisse und Fertigkeiten. Über gute Lösungen in diesem Zusammenhang ist der verstärkte Austausch auf EU-Ebene notwendig. Der Bundesrat unterstützt deshalb Projekte auf EU-Ebene wie ECCE oder CREATIVE METROPOLES, die es den Mitgliedstaaten erlauben, voneinander zu lernen. Er tritt dafür ein, dass solche Austauschprojekte auch künftig finanzielle Unterstützung auf EU-Ebene erfahren und dass ihre Erfahrungen strukturiert in die weitere Entwicklung der Politik auf EU-Ebene einbezogen werden.
- 11. Zugleich teilt der Bundesrat die im Grünbuch vertretene Auffassung, dass viele gute Instrumente der Mitgliedstaaten zur Förderung des Bereichs von Kultur und Kreativität etwa in den Bereichen Qualifizierung, Finanzierung und Kulturtourismus durch Unterstützung aus EU-Mitteln entstanden sind, obgleich für den Bereich der Kultur bislang vergleichsweise wenig Geld zur Verfügung stand. Der Bundesrat fordert, dass der Zugang zu Förderinstrumenten auf EU-Ebene (insbesondere den Strukturfonds) für den Bereich von Kultur und Kreativität erleichtert und der im Grünbuch beschriebenen Bedeutung des Sektors angepasst wird.
- 12. Der Bundesrat würdigt, dass das Grünbuch ein Ergebnis einer vertieften horizontalen Zusammenarbeit in der Kommission zum Thema Kultur und Kreativität ist. Er erwartet, dass die Kommission entsprechend ihren Ankündigungen in der Mitteilung über eine Europäische Kulturagenda die Zusammenarbeit zwischen den Generaldirektionen zum Bereich Kultur und Kreativität nachvollziehbar werden und daraus transparent Taten folgen lässt.
- 13. In der auf Grundlage des Arbeitsplans für Kultur 2008 - 2010 eingesetzten Expertengruppe Kulturwirtschaft des Rates wurde mehrfach angemahnt, dass die Kommission bei Regelungsvorschlägen (mit und ohne Einsatz von Finanzmitteln) die Kulturverträglichkeitsklausel des Artikels 167 Absatz 4 AEUV mit Leben erfüllt. Der Bundesrat unterstützt diese Forderung und schlägt überdies vor, auch eine kulturwirtschaftliche Marktverträglichkeitsprüfung zu erproben, um die Entstehung neuer Hindernisse beispielsweise für den Zugang der Kreativwirtschaft zu Unterstützungsinstrumenten zu verhindern.