Der Bundesrat hat in seiner 924. Sitzung am 11. Juli 2014 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates anlässlich des öffentlichen Konsultationsverfahrens der Europäischen Kommission über die Modalitäten eines Investitionsschutzabkommens mit InvestorStaat-Schiedsgerichtsverfahren im Rahmen der Verhandlungen über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA
- 1. Nach Aufforderung durch das Europäische Parlament am 23. Oktober 2012 und nach Ermächtigung durch den Rat der Europäischen Union am 14. Juni 2013 verhandelt die Kommission mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP).
- 2. Eine so umfassende und tiefgreifende Erweiterung der internationalen vertraglichen Bindung der EU - damit auch Deutschlands - kann in einer demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Gesellschaft nur nach einer ausführlichen und breit angelegten öffentlichen Diskussion beschlossen werden. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat deswegen diesbezüglich einen Beirat einberufen, dem unter anderem Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden sowie des Kulturbereichs angehören. Die Kommission muss darüber hinaus allen gesellschaftlich relevanten Gruppen die Möglichkeit einräumen, sich qualifiziert an einer diesbezüglichen Diskussion zu beteiligen. Dazu müssen alle wesentlichen Dokumente rechtzeitig veröffentlicht, alle Leitlinien, Ziele und rote Linien der Verhandlungen für alle interessierten Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar präsentiert werden. Verhandlungen von solcher Bedeutung dürfen nicht hinter verschlossenen Türen und nur den Fachleuten verständlich geführt werden.
- 3. Der Bundesrat hält es für erforderlich, größtmögliche Transparenz in den Verhandlungen herzustellen. Er bedauert daher den Beschluss des Rates der EU, das Verhandlungsmandat für Verhandlungen nicht öffentlich zu machen.
- 4. Der Bundesrat bekräftigt seine Entschließung vom 7. Juni 2013 - BR-Drucksache 464/13(B) , mit der er die für die europäische wie auch für die US-amerikanische Wirtschaft im Abschluss eines Freihandelsabkommens liegenden Chancen einerseits anerkennt. Er hat ausgeführt, dass damit ein einfacherer Marktzugang, der Abbau nicht tarifärer Handelshemmnisse, ein Zollabbau und die Harmonisierung industrieller Normen in einer Vielzahl von Marktsegmenten möglich würden. Andererseits hat er deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das Vorsorgeprinzip nicht abgeschwächt und insbesondere die jeweils höherwertigen Sozial-, Umwelt- und Klimaschutz-, Lebensmittel-, Gesundheits- und Datenschutzstandards des Partnerlandes übernommen bzw. anerkannt werden sollen.
- 5. Gleichzeitig hat der Bundesrat mit seinem Beschluss die Bundesregierung in Bezug auf die beabsichtigten Regelungen zum Investitionsschutz aufgefordert, dass in den Verhandlungen über Investitionsregeln auf einen Interessenausgleich geachtet wird.
- 6. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission ein öffentliches Konsultationsverfahren über die Modalitäten eines Investitionsschutzabkommens mit Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren im Rahmen der Verhandlungen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika als wichtigen ersten Schritt für die Beteiligung von Interessengruppen sowie einer breiteren Öffentlichkeit durchgeführt hat.
- 7. Der Bundesrat bekräftigt, dass das Recht der beiden Vertragsparteien zur Gesetzgebung und Regulierung im öffentlichen Interesse ("right to regulate") als grundlegendes Prinzip unverhandelbar ist und geschützt werden muss. Es darf durch Regelungen zum Investitionsschutz weder direkt noch indirekt beeinträchtigt werden.
- 8. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass Investoren daher grundsätzlich auf den Rechtsweg vor nationalen staatlichen Gerichten zu verweisen sind. Der Bundesrat sieht sich mit dieser Auffassung im Einklang mit gleichgerichteten Äußerungen der Bundesregierung. Der Bundesrat bittet die Kommission, ihre Auffassung zur Notwendigkeit einer Vereinbarung von Investor-StaatSchiedsverfahren im Rahmen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA vor dem Hintergrund bestehender rechtsstaatlicher Rechtsschutzmöglichkeiten zu begründen.
- 9. Der Bundesrat hält spezielle Investitionsschutzvorschriften und Streitbeilegungsmechanismen im Verhältnis Investor und Staat zwischen der EU und den USA für verzichtbar und mit hohen Risiken verbunden. Gründe dafür sind insbesondere:
- - Beide Partner gewährleisten für Investoren einen hinreichenden Rechtsschutz vor unabhängigen nationalen Gerichten. - Durch Investor-Staat-Schiedsverfahren können allgemeine und angemessene Regelungen zum Schutz von Gemeinwohlzielen, die in demokratischen Entscheidungen rechtsstaatlich zustande gekommen und rechtmäßig angewandt wurden, ausgehebelt oder umgangen werden.
- - Investitionsschutzabkommen können eine Absenkung hoher Schutzniveaus in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Arbeit, Verbraucherinnen und Verbraucher, Umwelt und Förderung der kulturellen Vielfalt bewirken, dies insbesondere durch Regelungen zum Schutz vor und Schadenersatz bei direkter und indirekter Enteignung.
- - Die Möglichkeit im Rahmen des Meistbegünstigungsprinzips, die jeweils niedrigsten Standards aus anderen Abkommen anzuwenden, kann nicht ausgeschlossen werden. - Durch den üblichen Gebrauch unbestimmter Rechtsbegriffe in Investitionsschutzvorschriften, wie den der "fairen und angemessenen Behandlung" wird Rechtsunsicherheit geschaffen, statt sie auszuräumen.
- - Der von der Kommission zu Grunde gelegte kapitalbasierte (asset based) Investitionsbegriff birgt im Gegensatz zu dem in anderen Abkommen verwandten unternehmensbasierten (enterprise based) oder direkten (Foreign direct investment) Investitionsbegriff die Gefahr der Intransparenz bezüglich des Anwendungsbereichs des Abkommens und der Ausweitung der Klagebefugnis zum Schutz auch kurzfristiger Renditeinteressen.
- - Die bisherigen Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren sind intransparent, da die verbindliche Anwendung der UNCITRAL-Regeln über die Transparenz von Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren nicht zwingend vorgesehen ist und die üblicherweise zur Anwendung kommenden Regelungen der Konvention zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten (ICSID Konvention) nicht rechtsstaatlich und transparent sind. Diese sehen insbesondere das Recht einer Partei vor, die Veröffentlichung des Schiedsspruches zu unterbinden oder auf eine Verhandlung hinter verschlossenen Türen zu dringen.
- - Die Rechtsstaatlichkeit von Investor-Staat-Schiedsverfahren ist mangelhaft, da die Unabhängigkeit der Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen nicht gesichert ist, Anforderungen an Ethik, Verhalten und Qualifikationen von Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen nicht gestellt werden, deren dauerhafte Wahl nicht ausgeschlossen und die Gerichtsbesetzung im Vorfeld nicht festgelegt ist.
- 10. Dem Bundesrat ist bewusst, dass derzeit Regelungen aus den bestehenden 131 deutschen und circa 1 400 europäischen Investitionsschutzabkommen zur Anwendung kommen können, die ebenfalls im Sinne der unter Ziffer 9 aufgeführten Kritikpunkte unzureichend sind.
- 11. Abschließend weist der Bundesrat darauf hin, dass über die Aufnahme von Regelungen zum Investitionsschutz in das Abkommen erst nach Vorliegen von Verhandlungsergebnissen durch die Mitgliedstaaten entschieden werden kann.
- 12. Der Bundesrat bekräftigt seine Ansicht, dass ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA mit den notwendigen Klarstellungen zu ArbeitsUmwelt- und Verbraucherschutz nur als gemischtes Abkommen abgeschlossen werden kann.
- 13. Der Bundesrat übermittelt diese Entschließung direkt an die Kommission.